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Beitrag vom 18.02.2015

Berliner Zeitung

Kongo - Ein ewiger Kampf

Von Johannes Dieterich

Seit zwei Jahrzehnten herrschen ruandische Hutu-Rebellen im Osten des Kongos. Die Vereinten Nationen wollen sie entwaffnen - doch es ist eine vom Scheitern bedrohte Mission für den UN-Sonderbeauftragten Martin Kobler.

Wann immer im Radio etwas Dramatisches gemeldet wird, sagt Gery Brasselle, weiß er, dass er sein Köfferchen packen muss. Heute ist es wieder so weit: Der Hüne mit dem kahlgeschorenen Kopf hat seine Siebensachen in die Tasche und die Pistole in den Holster gesteckt, um seinem Chef Martin Kobler zum Flughafen zu folgen. "Mit dem Mann", sagt der Bodyguard aus Belgien, "wird es nie langweilig."

Dieses Mal ging der Reise des UN-Sonderbeauftragten für die Demokratische Republik Kongo ausnahmsweise mal kein Massaker oder neuer Kriegsausbruch voraus - zu beidem könnte es allerdings noch kommen. Denn im Osten von Koblers Mandatsgebiet steht die Entwaffnung der berüchtigten Rebellentruppe FDLR (Demokratische Front zur Befreiung Ruandas) an: die zweifellos heikelste Operation der seit 15 Jahren andauernden UN-Mission. Davon wird sich dieser Tage auch der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier ein Bild machen, der bis Sonntag den Kongo, Ruanda und Kenia bereist.

Vor dem eigens eingerichteten UN-Terminal am Flughafen von Kinshasa reißt Bodyguard Brasselle die tonnenschwere Tür zum gepanzerten Geländewagen mit dem Nummernschild "UN 1" auf. Seinem eher schmächtigen Chef wäre das womöglich schwer gefallen - auch wenn Kobler vom vielen Joggen drahtig wie ein Langstreckenläufer wirkt. Auf dem Weg zur Maschine schüttelt der 61-jährige Schwabe jedem, der in der Nähe ist, die Hand - ob es sich nun um Sicherheitsbeamte, den Gepäckträger oder die Stewardess im Flugzeug handelt. An Popularität scheint dem Diplomaten höchstens noch "Bill Clinton" das Wasser zu reichen: So nennt sich ein kongolesischer Rapper mit cooler Sonnenbrille und goldener Kappe, der heute im UN-Flieger mit nach Goma kommt.

Die Hölle im Paradies

In der ostkongolesischen Stadt wird am Wochenende ein Festival stattfinden, auf dem auch Kobler sprechen soll. Anders als bei seinem ersten Besuch in Goma, als der Vertreter der damals noch verhassten Blauhelmtruppe mit Steinen beworfen wurde, ist ihm der Jubel der Festivalbesucher sicher. "Ich wünschte, er wäre unser Präsident", sagt ein Kongolese über den prominenten deutschen Diplomaten.

Der Flug quer über das Land dauert mehr als zwei Stunden. Es geht über den Urwald, der aus der Höhe wie Brokkoli aussieht und in den vergangenen 21 Jahren die Kulisse des blutigsten und kompliziertesten Konflikts des Kontinents abgab. Mindestens fünf Millionen Menschen sollen den vom Genozid im Nachbarland Ruanda ausgelösten Wirren zum Opfer gefallen sein. Unter dem Schutz von zwei Millionen Flüchtlingen hatten sich die militanten Hutus nach ihrem Völkermord vor der anrückenden Rebellentruppe der Tutsis in den Kongo verdrückt: Dort blieben sie, selbst als die meisten der zivilen Hutu-Flüchtlinge wieder in die inzwischen vom Chef der Tutsi-Rebellen, Paul Kagame, dominierte Heimat zurückkehrten.

Die mit ihren Seen, Hügeln und Wäldern paradiesisch anmutenden Ostprovinzen des Kongos sind so zur Hölle geworden. Teils mit Terror, teils mit Zwangsehen nisteten sich die militanten Hutus unter der Bevölkerung ein, während die ruandische Regierung jeden Anlass nutzte, über die von den Feinden infiltrierte Region herzufallen. Dort entstanden immer neue Bürgerwehren und Rebellengrüppchen, die Blutbad mit Blutbad rächten - selbst Experten verloren bald den Überblick über Namen und Zahl der Milizen und Banden. Dass sich der Aderlass über Jahrzehnte hinziehen konnte, war den Reichtümern der paradiesischen Hölle zu verdanken: Völkermörder, Bürgerwehren und Invasionsarmeen hielten sich an den Gold-, Coltan- und Edelholzvorkommen schadlos. Im Boden sollen sich Mineralien im Wert von 25 Trillionen Dollar befinden.

Schon 1999 wurde eine Schutztruppe in die Region entsandt, die schließlich mit 20.000 Blauhelmen zur größten, mit einem Jahresbudget von 1,4 Milliarden Dollar zur teuersten und mit null Erfolg zur nutzlosesten Friedensübung der Vereinten Nationen anwuchs. Die Blauhelme schauten der Gewalt tatenlos zu und tranken auch mal Kaffee mit den Rebellen, während die Missionschefs ihre Zeit in Kinshasas Hauptquartier absaßen. Manche der UN-Soldaten wurden gar beim Gold- und Marihuana-Handel oder mit Prostituierten erwischt.

Martin Koblers Ernennung sollte den Skandal beenden. Der Karrierediplomat war bereits bei Einsätzen im Irak und Afghanistan aufgefallen: Joschka Fischers einstiger Kanzleichef gilt als Mann, der gerne die Ärmel hochkrempelt. Ihm wurde der brasilianische General Carlos Alberto dos Santos Cruz zur Seite gestellt, der sich mit der Zerschlagung der Straßenbanden in Haiti einen Namen gemacht hatte. Beide stattete der Sicherheitsrat mit einem einzigartig robusten Mandat und einer zweitausendköpfigen "Interventionstruppe" aus, die dem wilden Rebellentreiben mit Waffengewalt ein Ende bereiten sollte. Die Zeit der Blauhelm-Schmach sollte endgültig vorbei sein.

Als Kobler im August 2013 sein Amt antrat, war mit M23 gerade mal wieder eine neue, von Ruanda unterstützte Rebellentruppe entstanden, die in Windeseile weite Teile der Nord-Kivu-Provinz unter ihre Kontrolle gebracht hatte. Doch bereits drei Monate nach Cruz' und Koblers Amtsantritt lag die M23 besiegt am Boden, und Kobler, der sich als Pazifist bezeichnet, wurde im Kongo als Held gefeiert. Dass es sich um einen Etappensieg handelte, war allen Beteiligten damals schon klar: Schließlich war nur eine von weit über zwei Dutzend Rebellentruppen aus dem Weg geräumt. Die anderen trieben weiter ihr Unwesen - allen voran die FDLR, deren Präsident derzeit in Stuttgart wegen Kriegsverbrechen vor Gericht steht.

Martin Kobler kennt fast alle FDLR-Führer persönlich. Einige von ihnen ließ er einst zu Verhandlungen aus dem Urwald nach Rom ausfliegen. Doch inzwischen ist die Zeit der Gespräche vorbei: Die auf rund 1500 Kämpfer geschätzte Miliz ließ eine vom Sicherheitsrat gesetzte Frist zur freiwilligen Entwaffnung am 2. Januar verstreichen. Warum noch kein Schuss gefallen ist, will Kobler nun in Goma herausfinden.

Besuche bei frustrierten Militärbeobachtern

Auf dem Sechs-Tage-Programm des Sonderbeauftragten stehen Besuche bei frustrierten Militärbeobachtern, entmilitarisierten Kindersoldaten und einer südafrikanischen Kompanie der Eingreiftruppe. Kobler wird unzählige Hände schütteln, mit Kombattanten Mittag essen und das Festival in der am Fuß eines Vulkanes gelegenen Stadt besuchen.

Im Mittelpunkt steht allerdings die "Elefantenrunde" - das Treffen der Missionsverantwortlichen, auf dem das jüngste Hindernis des Militärschlags gegen die FDLR erörtert werden soll. Wenige Tage vor Beginn der seit Monaten von Blauhelmen und kongolesischer Armee gemeinsam geplanten Aktion wechselte Präsident Joseph Kabila nämlich überraschend die beiden verantwortlichen Generäle aus: Er setzte ausgerechnet Offiziere ein, die von den Blauhelmen "rot" klassifiziert wurden. Das bedeutet, dass sie entweder selbst an Übergriffen auf die Zivilbevölkerung beteiligt waren oder solche unter ihrem Kommando nicht geahndet haben. Nach ihren eigenen Grundsätzen dürfen die Vereinten Nationen mit ihnen nicht zusammen arbeiten, was für Kobler auch sinnvoll ist: Anderenfalls würde der Staatenbund seinen moralischen Kompass verlieren.

Gut möglich, dass Kabila die umstrittenen Generäle absichtlich eingesetzt hat. Denn ob er die FDLR tatsächlich ausgeschaltet sehen will, ist fraglich: Ihre Umtriebe liefern dem unbeliebten Staatschef Ausflüchte für Versäumnisse und einen Vorwand, um unpopuläre Maßnahmen durchzudrücken. Dasselbe gilt für den ruandischen Nachbarn: Auch Präsident Kagame kommt die Präsenz des Erzfeinds eher gelegen, kann er auf diese Weise doch seinen repressiven Regierungsstil rechtfertigen. "80 Prozent des FDLR-Problems ist politisch und 20 Prozent militärisch", sagt Kobler, was im Klartext heißt: Wenn alle wollten, wäre die FDLR längst ausgeschaltet. Mit neun Anrainerstaaten, 15 Mitgliedern des Sicherheitsrats und sechs Nationen, die den Löwenanteil der Blauhelmtruppe stellen, beherbergt der Kongo auch einen Urwald an verschiedenen Interessen: Viele von ihnen sind von der Gier nach Bodenschätzen bestimmt.

Die Sitzung wird bereits nach einer Stunde jäh unterbrochen. Martin Kobler erhält einen Anruf aus dem Präsidentenamt, dass Seine Exzellenz unverzüglich das diplomatische Corps einschließlich des UN-Missionschefs sehen will. Hastig geht es zum Flughafen zurück, kurz darauf stellt sich allerdings heraus, dass sich der Termin sowieso nicht halten lässt und auf den übernächsten Tag verschoben werden muss. Doch Kobler sitzt bereits im Flieger und wird außer den südafrikanischen Blauhelmen auch "Bill Clinton" und das Festival verpassen, das etwas Rumba in seinen komplizierten Alltag gebracht hätte.

Die Zeit bis zum Präsidenten-Termin vergeht mit Spekulationen. Womöglich wolle Kabila über die auf der Kippe stehende FDLR-Aktion reden, wird geraten. Es könne aber auch sein, dass er seine Wut über die Schlappe im jüngsten Konflikt um die Wahlen zum Ausdruck bringen wolle. Der bereits in zweiter Amtszeit regierende Präsident hatte versucht, den nächsten Urnengang noch für ein paar Jahre hinaus zu schieben, war jedoch sowohl am wütenden Protest der Bevölkerung wie an den unmissverständlich geäußerten Bedenken der ausländischen Emissäre gescheitert. Einer der Anwesenden gratuliert Kobler zu seinem Erfolg, doch der winkt ab: "Das war das Volk", sagt er.

Der Termin beim Präsidenten stellt sich schließlich als PR-Übung heraus. Kabila hat einen Raum in seinem Amt zum Klassenzimmer umdekorieren lassen: Er sitzt am Lehrerpult, die Diplomaten wie Pennäler in Hufeisenform um ihn herum. Fast eine Stunde lang redet seine Exzellenz auf die Gesandten ein. "Wir haben gelauscht und mitgeschrieben", sagt Kobler amüsiert. Die präsidiale Belehrung wird auch im Fernsehen übertragen: Es ist der Staatschef, so die Botschaft, der hier eigentlich den Ton angibt. In der Zeitung sind am nächsten Tag Schlagzeilen wie diese zu lesen: "Kabila setzt den Punkt aufs i", "Der Ton verschärft sich", oder gar: "Die Scheidung ist vollzogen".

Ein unwilliger Potentat

Inhaltlich ging es im Wesentlichen um die FDLR-Aktion, die Kabila - zumindest beteuert er so - nun mit seiner Armee alleine stemmen will. Doch unter der Oberfläche geht es um mehr. Kabila störe sich zunehmend an der mit der UN-Mission einhergehenden Einschränkung seiner Souveränität, sagt Kobler: "Das ist für einen Staatschef schwer zu schlucken." Er bemüht sich, dem Potentaten möglichst wenig auf die Füße zu treten, denn er ist abhängig vom Kooperationswillen des Präsidenten. Kabila könnte die heikle Mission der Vereinten Nationen mit einem Federstrich beenden - mancher hatte angesichts der eilends einberufenen Unterrichtsstunde befürchtet, dass es bereits so weit gekommen war.

In Goma glaubt ohnehin kaum jemand, dass es Kabila mit der Entwaffnung der Völkermördern tatsächlich ernst meint: "Ich sehe die FDLR noch in 20 Jahren hier", sagt der Journalist Fidel Bafilema. Umgekehrt befürchten andere, dass es der Präsident mit dem Alleingang seiner Truppe ernst meint: Erinnerungen an 2009 werden wach, als ein fehlgeschlagener Versuch der FDLR-Entwaffnung zu tausend toten Zivilisten, mehr als 8 000 Vergewaltigungen und Tausenden zerstörten Häusern führte.

Kobler hofft, dass es in letzter Minute doch noch zu einer Verständigung zwischen Missionsführung und kongolesischer Regierung kommt: Doch wie die Einigung aussehen könnte, weiß er auch nicht so genau zu sagen. Beim Frühstück in seiner nach einem Neuanstrich schreienden Residenz wirkt er erstmals müde. Sein Zweijahresvertrag wird im Juli ablaufen, an eine Verlängerung ist offenbar nicht zu denken. "Wenn man den Optimismus verliert", sagt der Sonderbeauftragte, "dann ist es Zeit zu gehen".