Beitrag vom 04.02.2015
FAZ
Die brüderlichen Netzwerker
Elitenkommunikation vor und nach dem Kolonialismus: Freimaurer in Afrika
Im Februar 2013 versammelten sich rund 400 afrikanische Freimaurer in einem großen Hotel inmitten der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa. Das Treffen ging diskret vor sich, es war nicht angekündigt worden, und es gab im Anschluss keine Pressekonferenz. Das Geheimnis gehört zu den zentralen Charakteristika der Freimaurer. Nur zufällig bekam ein Journalist Wind von der dreitägigen Versammlung, doch keiner der Teilnehmer war bereit, sich ausführlicher mit ihm zu unterhalten.
In vielen vor allem frankophonen Ländern südlich der Sahara haben sich in den vergangenen Jahren Logen neu etabliert oder wurden wiederbelebt. Vornehmlich junge Intellektuelle treten an, das Freimaurertum in Afrika vom Ruch der Korruption, der unmoralischen Praktiken und der dunklen Geschäfte mit der einstigen Kolonialmacht Frankreich zu befreien, der ältere politisch schwergewichtige Freimaurer, darunter eine Reihe notorisch autoritärer Staatsoberhäupter wie Omar Bongo (Gabun) oder Paul Biya (Kamerun), heftig umwehte. Über die Bedeutung der Freimaurerei für die gegenwärtigen politischen Konstellationen in Afrika und über jüngere Reformbestrebungen in vielen Logen wird allerdings nur selten berichtet. Lediglich das in Paris ansässige Wochenmagazin "Jeune Afrique" widmet sich diesen Fragen mit einer gewissen Regelmäßigkeit.
Das Freimaurertum hat in Afrika eine lange Geschichte. 1781 eröffnete der "Grand Orient de France", eine der ältesten freimaurerischen Großlogen in Europa, seine erste Loge im senegalesischen Saint-Louis. Freimaurer spielen in der Geschichte der französischen Kolonialherrschaft eine wichtige Rolle, so etwa Victor Schoelcher, dem große Bedeutung bei der 1848 verkündeten Abschaffung der Sklaverei im französischen Imperium zukam. Jules Ferry, der französische Ministerpräsident und Kolonialpolitiker, war ebenso Freimaurer wie der aus der Karibik stammende Sklavennachfahr Félix Eboué, der als Gouverneur des zentralafrikanischen Tschad General de Gaulle gegen die Vichy-Regierung unterstützte.
In den Jahren der Entkolonisierung nach dem Zweiten Weltkrieg traten immer mehr Afrikaner den Logen bei und etablierten nach der Unabhängigkeit nationale Kapitel, die den französischen meist eng verbunden blieben. Im Afrika-Establishment des Elysée nahmen Freimaurer wichtige Positionen ein, allen voran Jacques Foccart, während der Präsidentschaften de Gaulles und Pompidous die graue Eminenz der französischen Afrika-Politik.
Die Geschichtsschreibung zu Afrika hat sich mit diesem Aspekt freilich kaum auseinandergesetzt. In fast allen Handbüchern, Gesamtdarstellungen und Synthesen zur Historie des Kontinents sucht man vergeblich nach Hinweisen zur Freimaurerei. Spezialuntersuchungen lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen und stammen überdies in der Regel aus der Feder von Logenbrüdern. Die Abstinenz der historischen Afrika- und Kolonialismusforschung ist insofern erstaunlich, als Archive entgegen der freimaurerischen Reputation der Verschwiegenheit zumindest partiell durchaus zugänglich zu sein scheinen.
Nur wenige Beiträge bieten jedoch eine fundierte Analyse der Bedeutung von Freimaurern im kolonialen Staat und konzentrieren sich in diesem Zusammenhang vor allem auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Der amerikanische Historiker Owen White untersuchte vor einigen Jahren am Beispiel Französisch-Westafrikas die ideologische Orientierung und den Einfluss von Freimaurernetzwerken auf die koloniale Politik ("Networking: Freemasons and the Colonial State in French West Africa, 1895-1914", in: French History, März 2005, Oxford University Press). Der Autor zeigt, dass einzelne Freimaurer in den kolonialen Besitzungen zwar von diesen Netzwerken und der in diesem Rahmen ermöglichten Nähe zu wichtigen kolonialen Amtsträgern profitierten. Doch freimaurerische Gleichheitsvorstellungen gingen nicht so weit, Afrikaner zur Mitgliedschaft in den Logen zuzulassen. Nur selten fanden sich französische Logenbrüder in Westafrika überhaupt bereit, auf die massiven Hierarchien zwischen Schwarz und Weiß einzugehen. Ihr Hauptanliegen bestand darin, die kolonialen Behörden zur konsequenten Durchsetzung des Laizismus im kolonialen Staat zu drängen. Dies trug ihnen scharfe Kritik der Missionare ein.
In Bezug auf die trotz Abolition noch immer weitverbreitete Sklaverei herrschten unter den Freimaurern sehr unterschiedliche Ansichten. Während einige warnten, die Befreiung der Sklaven werde zum wirtschaftlichen Ruin der Kolonien führen, traten andere nachdrücklich für das sofortige Ende der Sklaverei ein. Die Mehrheit setzte auf die graduelle Abschaffung dieser Institution. Insgesamt vermochten die Freimaurer nur sehr bedingt die Geschicke Französisch-Westafrikas in ihrem Sinne zu beeinflussen. Dem stand die Überzeugung vieler von den Logen ausgeschlossener Franzosen gegenüber, das Freimaurertum bestimme in großem Maße die koloniale Politik.
Stärker afrikanisch-europäisch gemischte Freimaurerlogen fanden sich Ende des neunzehnten Jahrhunderts hingegen in der englisch beherrschten Goldküste (Augustus Casely-Hayford und Richard Rathbone: "Politics, Families and Freemasonry in the Colonial Gold Coast", in: People and Empires in African History, hrsg. von J.F. Ade Ajayi und John D.Y. Peel, Longman, New York 1992). Die 1858 gegründete Cape Coast Lodge No. 773 wurde von Vertretern wichtiger lokaler afrikanischer Familien und europäischen Kaufleuten und Beamten ins Leben gerufen und getragen. Allerdings gewannen mit der zunehmenden Etablierung kolonialer Herrschaft nach 1900 die Rassenschranken größere Bedeutung, und immer mehr ausschließlich Europäern vorbehaltene Logen wurden eingerichtet.
Parallel stieg die Zahl afrikanischer Logen nicht nur in der Goldküste, sondern auch im benachbarten Nigeria. Aus ihnen erwuchsen wichtige politische Aktivitäten früher afrikanischer Nationalisten. Zur Führungsebene des National Congress of British West Africa, einer der bedeutendsten politischen Assoziationen Westafrikas in der Zwischenkriegszeit, zählten mehrere Freimaurer.
Casely-Hayford und Rathbone hatten keinen Zugang zu Freimaurerarchiven, vermochten jedoch zahlreiche Informationen aus der lokalen Presse zusammenzutragen, die oft ausdrücklich die Zugehörigkeit von Kaufleuten, Kolonialbeamten und afrikanischen Eliten zu den Freimaurern erwähnte. Die Aktivitäten, Netzwerke und Debatten von Freimaurern in Afrika seit der Kolonialzeit versprechen viele Einsichten in die koloniale Situation, in die Verbindung zwischen Kolonie und Metropole sowie zwischen unabhängigen afrikanischen Staaten und ihren ehemaligen Kolonialherren und schließlich in laufende Entwicklungen afrikanischer Gesellschaften. Trotz ohne Zweifel substantieller Quellenprobleme bietet sich hier ein interessantes und noch wenig beackertes Forschungsfeld dar.
ANDREAS ECKERT