Beitrag vom 07.01.2015
FAZ
Umweltkatastrophe in Nigeria
Shell zahlt 70 Millionen Euro
Nach einem jahrelangen Rechtstreit entschädigt Europas größter Ölkonzern Fischer und Kleinbauern im Niger-Delta. Amnesty International macht trotzdem große Vorwürfe.
von Marcus Theurer, London
Sieben Jahre ist es her, dass aus einer maroden Shell-Pipeline in Nigeria geschätzte 16 Millionen Liter Rohöl ausliefen und die Lebensgrundlage und Gesundheit zehntausender Anwohner gefährdete. Jetzt erklärt sich Europas größter Ölkonzern bereit, eine Entschädigung von 55 Millionen Pfund (rund 70 Millionen Euro) an die Leidtragenden der Umwelttragödie zu zahlen.
Nach einem jahrelangen Rechtsstreit mit den Anwälten der nigerianischen Bodo-Gemeinde sei eine außergerichtlicher Vergleich erzielt worden, teilte das britisch-niederländische Unternehmen mit. 15.600 geschädigte Bewohner des Niger-Deltas, darunter viele Fischer und Kleinbauern, sollen individuelle Kompensationszahlungen in Höhe von insgesamt 35 Millionen Pfund erhalten. Weitere 20 Millionen Pfund bekommt die Bodo-Gemeinde von Shell.
Wichtigste Einnahmequelle: Erdöl
Die Umweltverschmutzung durch die Ölförderung im Niger-Delta gilt als eines der dunkelsten Kapitel der internationalen Ölindustrie. Nigeria verfügt über die größten Ölreserven Afrikas und ausländische Energiekonzerne sind dort seit mehr als einem halben Jahrhundert aktiv.
Aber Betriebspannen und der grassierende Diebstahl von Erdöl aus Pipelines haben großflächig Boden und Gewässer vergiftet. Der Bodo-Fall ist nur ein kleiner Ausschnitt dieser ökologischen Katastrophe. Shell bezeichnete die Betriebsunfälle als "höchst bedauerlich". Man habe von Anfang an die Verantwortung dafür übernommen. Die Entschädigungszahlungen hätten sich jedoch verzögert, weil sich die Mitglieder der Bodo-Gemeinde untereinander nicht einig gewesen seien.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warf Shell dagegen vor, den Unfall durch mangelhafte Wartung seiner Anlagen heraufbeschworen zu haben. Der Ölkonzern habe außerdem das Ausmaß der Katastrophe heruntergespielt. Tatsächlich sei mehr als zwanzig Mal so viel Öl ausgetreten wie von Shell zunächst behauptet. "Wenn Shell nicht juristisch dazu gezwungen worden wäre, die Informationen freizugeben, wären die Bewohner von Bodo komplett betrogen worden", sagte Audrey Gaughran, Direktorin bei Amnesty International in London.
Shell hat inzwischen einen Teil seiner Ölfelder im Niger-Delta verkauft. Seit dem Sommer hat sich die wirtschaftliche Lage Nigerias rapide verschlechtert. Das Land zählt zu den Ölstaaten, die vom rapiden Verfall des Ölpreises am härtesten getroffen worden sind. Für den nigerianischen Staat ist das Erdöl die mit Abstand wichtigste Einnahmequelle.