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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 18.11.2014

FAZ

Südafrika

Zumas weiße Nemesis

Die deutschstämmige Südafrikanerin Helen Zille hat aus der Provinz Western Cape eine Erfolgsgeschichte gemacht. Auch in anderen Landesteilen treibt ihre Partei den ANC vor sich her.

von Thomas Scheen und Jochen Stahnke

Was sie in Europa vorgefunden habe, sei nicht gerade ermutigend gewesen, sagt Helen Zille. Ein ziemlicher Schock sogar. "Was ich in Belgien sah, die Ausschreitungen und Probleme in diesem multiethnischen Land, lässt mich fragen, ob es in Südafrika noch möglich ist, unser politisches Ziel zu erreichen." Zum ersten Mal, sagt die Vorsitzende von Südafrikas größter Oppositionspartei, habe sie erfahren, was für einen langen Weg auch Europa noch vor sich habe, um ein Bewusstsein zu finden, das auf gemeinsamen Werten basiert.

In Brüssel führte Zille in diesem Monat Gespräche mit Vertretern der EU-Kommission, bevor sie in Frankfurt den Freiheitspreis der Friedrich-Naumann-Stiftung erhielt. Zilles Traum ist der einer offenen Gesellschaft, wo Herkunft und angeborene Merkmale keine Rolle spielen und in der jeder die gleichen Chancen hat, sich frei zu entfalten. Doch davon sind viele Teile Südafrikas noch immer mindestens so weit entfernt wie in Belgien der flämische vom wallonischen Teil.

Der African National Congress (ANC), der das Land seit dem Ende der Apartheid 1994 regiert, steckt in einer tiefen Krise. Unter Jacob Zuma hat die Korruption in Südafrika nie gekannte Ausmaße erreicht. Sinnbild dessen ist der Präsident selbst: Gegen Zuma sind mehr als 700 Klagen anhängig. Es geht um Korruption, Betrug und Geldwäsche. Gegenstand erhitzter Parlamentsdebatten ist derzeit Zumas Anwesen in dessen Heimatort Nkandla, das sich der Zulu mit 17 Millionen Euro Steuergeldern verschönern ließ. Zilles Partei "Democratic Alliance" (DA) hat mehrere Klagen gegen Zuma eingereicht. Die meisten wurden abgewiesen oder verschleppt. "Die Politisierung unserer Gerichte und Strafverfolgungsbehörden ist enorm", sagt Zille.

Doch Zumas Macht bröckelt. Vor ein paar Tagen kündigte der Gewerkschaftsverbund Numsa dem ANC die Gefolgschaft auf. Die Gewerkschafter wollen eine eigene Partei gründen, da sich die einstige Befreiungsbewegung nicht mehr um die Rechte der Arbeiter kümmere. Andere Gewerkschaften kündigten ähnliche Schritte an.

Das dürfte Südafrikas Demokratie guttun. Für Zille ist es der Anfang vom allmählichen Ende der ANC-Herrschaft. "Eine eigene Philosophie, einen Plan haben die nicht." Zilles DA ist die Antithese zum von Flügelkämpfen gelähmten ANC, dessen Parolen längst in die Jahre gekommen sind. "Der ANC ist heute nicht mehr als eine rassistisch-nationalistische Partei", sagt Zille. Während der Apartheid habe er gegen ethnische Gräben gekämpft. Nun sei Zuma dabei, die Hegemonie der Zulu in einem Klientelnetzwerk zu verfestigen. Täglich werde sie von der ANC-Propaganda als Eindringling beschimpft, der die Apartheid wieder einführen wolle, sagt Zille. Dabei hat sie früher selbst gegen das Apartheid-Regime gekämpft. Aber sie ist weiß, und darauf zielt die ANC-Propaganda.

Rassenfragen und Ausgrenzung umgaben Zille das ganze Leben. Ihre Mutter, die die Nationalsozialisten als "Halbjüdin" einstuften, floh während der NS-Herrschaft aus Deutschland zunächst nach England und wenig später nach Südafrika. Dorthin war auch ihr Vater emigriert, ein Neffe des Berliner Milieumalers Heinrich Zille. "Meine Eltern sprachen kaum über die NS-Zeit", sagt Zille. "Sie verharrten nicht in der Vergangenheit." Auch Zille will nicht zurückblicken. "Ich gehe stets voran. Ich kann nicht anders."

Seit 2009 ist sie Regierungschefin der Provinz Western Cape, nachdem sie zuvor bereits als Bürgermeisterin von Kapstadt für Furore gesorgt hatte. Seit die DA die Provinz zwischen Atlantik und Indischem Ozean regiert, ist die Infrastruktur massiv ausgebaut worden. Mehr und mehr internationale und südafrikanische Konzerne errichten ihren Sitz in Kapstadt statt in der Wirtschaftsmetropole Johannesburg. Die ausländischen Direktinvestitionen belaufen sich gegenwärtig auf 30,1 Milliarden Rand (2,2 Milliarden Euro) für insgesamt 80 Projekte. Das sind acht Milliarden Rand (580 Millionen Euro) mehr als zu den Zeiten, in denen der ANC Western Cape regierte.

Der Erfolg einer effizienten Provinzregierung zieht in dem ansonsten kriselnden Land viele an. In den vergangenen zehn Jahren ist die Bevölkerung in Western Cape um dreißig Prozent gewachsen. "Wir haben hier mittlerweile eine völlig neue Sprache", sagt Zille, "Französisch: gesprochen von Einwanderern aus Westafrika, aus Kongo, aus Burundi." Die Widerstände der einheimischen schwarzen Bevölkerung gegen die Einwanderer seien noch viel größer als der ewig diskutierte Rassismus zwischen Weiß und Schwarz. "Und warum kommen die alle nach Western Cape? Weil hier die Wirtschaft läuft, weil wir Kliniken haben, funktionierende Schulen, weil es hier Jobs gibt und die Aussicht auf ein besseren Leben."

"Problem Nummer eins, zwei und drei"

Doch noch immer gibt es in Western Cape viermal so viele Arbeitslose wie Steuerzahler. "Du musst gut regieren, wenn du weiterkommen willst, das ist nicht leicht. Und du musst viel reparieren, was der ANC hinterlassen hat", sagt Zille. In Western Cape hat die Regierung etwa das System öffentlicher Ausschreibungen reformiert. Unter dem Deckmantel der "Black Economic Empowerment", einer Art Quote für Schwarze, wurden lukrative Staatsaufträge innerhalb des ANC meist unter der Hand an Günstlinge vergeben. Zille machte das Vergabesystem öffentlich. Jeder, der sich um eine Ausschreibung bewirbt, darf persönlich an der staatlichen Vergaberunde teilnehmen. "Nichts geht über ein bisschen Sonnenlicht, wenn man Korruption eliminieren will", sagt Zille. Immer mehr kleine Unternehmen fingen an, sich zu bewerben. Die Premierministerin gibt sich offen und ansprechbar. Über den Kurzmitteilungsdienst Twitter hat sie persönlich bereits 35.000 Nachrichten abgesetzt. "Mein Twitter ist eine Form der Dienstleistung", sagt Zille. Nahezu täglich reagiert sie auf Bürgeranfragen.

Ihr Wirtschaftsminister sieht Western Cape als "Labor", in dem an Lösungen für Südafrikas Probleme gefeilt wird. Das drängendste ist die Arbeitslosigkeit: "Das ist unser Problem Nummer eins, Nummer zwei und Nummer drei", sagt Alan Winde in Kapstadt. Als in der Township Khayelitsha am Stadtrand von Kapstadt ein neues Krankenhaus eröffnet wurde, bewarben sich auf die 600 freien Stellen 72.000 Kandidaten.

Vieles ist anders in dieser Provinz. Das fängt damit an, dass eine Interviewanfrage beantwortet und nicht ignoriert wird. "Wer hier in der Verwaltung anruft, kann sicher sein, dass jemand den Hörer abnimmt", sagt Minister Winde. Das Geheimnis des wirtschaftlichen Erfolges sei gar keines, sagt Winde: "Wir betreiben keine interventionistische Wirtschaftspolitik wie der ANC, der glaubt, sich überall einmischen zu müssen. Wir schaffen nur den Rahmen für ein gutes Wirtschaftsklima." Vor kurzem hat die Provinzregierung eine Absichtserklärung mit Werftenbetreibern unterzeichnet, um aus Kapstadt den wichtigsten Standort für Schiffsreparaturbetriebe des südlichen Afrikas zu machen. Zudem wurden Partnerschaften zwischen Universitäten und der Wirtschaft verabredet, um die akademische Ausbildung den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes anzupassen. In Südafrika sind 250 000 Akademiker arbeitslos. Gleichzeitig gibt es landesweit 700.000 freie Stellen für Hochschulabsolventen. Winde findet, es werde zu oft Soziologie und Politologie studiert statt Ingenieurswesen.

Die Lehrergewerkschaft in Südafrika unterstützt Zuma

Um eine ähnliche Lücke zu schließen, initiierte die Provinzregierung ein "Institute for Finance and Risk Management" in Kapstadt, für das es einen bescheidenen Zuschuss von umgerechnet 72.000 Euro gab. Die restlichen Kosten von umgerechnet 3,6 Millionen Euro steuerte die Industrie binnen Wochen bei. "Die haben uns die Tür eingerannt", sagt Winde. Viele der offenen Stellen finden sich in den Wirtschaftszweigen Öl, Gas oder erneuerbare Energien. Sie setzen vergleichsweise solide Bildung voraus. So etwas haben die wenigsten in den Townships, wo Kriminalität, Drogen und Alkohol Alltagsprobleme sind. "Es tut mir weh, wenn ich sehe, wie die Hubschrauber und Busse Arbeitskräfte aus anderen Ländern Afrikas oder Europas zu den Pipelines, den Werften und Ölplattformen bringen", sagt Helen Zille. Doch sei es schwer, schlechte Lehrer auszuwechseln: "Die Lehrergewerkschaft ist eine der wesentlichsten Unterstützergruppen Zumas."

Die Ausbildung von Spezialisten und die Schaffung von Arbeitsplätzen über Auslandsinvestitionen ist eine Sache. Die Unterstützung von lokalen Unternehmern eine andere. Damit tut sich auch die DA schwer. Aus staatlichen Fonds stehen der Provinzverwaltung jährlich 350 Millionen Rand (25 Millionen Euro) für die Finanzierung von Start-up-Unternehmen zur Verfügung. Die Provinz Gauteng mit den Großstädten Johannesburg und Pretoria erhält fast drei Mal so viel.

Der Grund dafür liegt im Bemessungsschlüssel: Western Cape ist besser entwickelt als Gauteng und bekommt deshalb weniger Zuwendungen pro Einwohner. Deshalb brachte auch eines der ambitioniertesten Projekte zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in der Provinz bislang nicht den erhofften Erfolg. Im "Skills Program" sollen Jugendlichen durch eine Lehre in ausgewählten Betrieben praktische Erfahrungen vermittelt werden. Seit 2009 durchliefen 4065 Kandidaten das Programm, 1958 fanden einen festen Job. "Nicht gerade viel", wie Winde zugibt. "Ich habe als Minister einer Provinzregierung keine Befugnis, den Firmen steuerliche Vorteile bei Einstellung eines jungen Mitarbeiters zu gewähren. Ich muss das aus dem Provinzetat bezahlen", sagt Winde. Dass dieses Programm eine Subventionierung von Arbeitsplätzen ist, nimmt die DA in Kauf. Auch wenn sich die DA als liberale Partei bezeichnet, befürwortet Helen Zille staatliche Subventionen für Fortbildung und Zuschüsse etwa für Strom, Wasser und Abfallbeseitigung: "Da verfolgen wir eher eine sozialdemokratische Politik."

Ob die fruchtet, wird sich bei den Kommunalwahlen 2016 zeigen. Gewählt wird auch in Gauteng sowie rund um die Großstadt Port Elizabeth. Dort hat es die DA bereits geschafft, den ANC auf rund 50 Prozent oder darunter zu drücken. Aber eine weiße Präsidentin wird es wohl nicht so bald geben. Zille sucht eine Nachfolgerin in der Parteiführung. Nicht gerade einfach, sagt sie. "Die Politik in Südafrika ist härter als irgendwo sonst." Ihre Wunschkandidatin hieß Mamphela Ramphele. Die sagte erst zu. Und sprang dann ab.