Direkt zum Inhalt
Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 02.11.2014

Kölner Stadt-Anzeiger

Ein Burkina Faso macht noch keinen Frühling

Von Wolfgang Drechsler

Mit Massendemonstrationen jagten die Menschen in Burkina Faso den seit 27 Jahren herrschenden Blaise Compaoré aus seinem Amt. Doch der Machtwechsel in dem kleinen, bitterarmen Land dürfte kaum auf andere Nationen in Afrika ausstrahlen. Fast über Nacht hat Afrika scheinbar einen neuen Hoffnungsträger geboren: Ausgerechnet der kleine Binnenstaat Burkina Faso soll eine schwarzafrikanische Version des arabischen Frühlings begründen.

Schließlich ist in dem bitterarmen westafrikanischen Land erstmals das gelungen, was im Süden der Sahara bislang fast überall scheiterte: zweitägige Massendemonstrationen haben hier in Rekordzeit den seit 27 Jahren herrschenden Staatschef Blaise Compaoré aus dem Amt gejagt. Vielerorts hofft man nun, sein Sturz könne Signalwirkung für die ganze Region entfalten, insbesondere für den Kongo und Sudan, deren Führer sich ebenfalls gerade mit illegalen Kunstgriffen eine weitere Amtszeit sichern wollen.

Gleichwohl deutet wenig auf eine solche Kettenreaktion hin. Sicherlich werden nun auch andere vermeintliche Herrscher auf Lebenszeit wie Joseph Kabila (Kongo), Omar al-Bashir (Sudan) oder die beiden bisherigen Rekordhalter Eduardo dos Santos (Angola) und Teodoro Obiang (Äquatorialguinea), die inzwischen jeweils 35 Jahre im Amt sind, die Ereignisse am Rand der Sahelzone mit einem leichten Unbehagen verfolgen. Doch zumindest gegenwärtig deutet im Afrika südlich der Sahara wenig auf Unruhen mit einem revolutionärem Charakter wie im Norden des Kontinents hin.

Neben der Loyalität des Militärs liegt ein wichtiger Grund für den erstaunlichen Gleichmut vieler Afrikaner mit ihren korrupten Führern auch darin, dass die Menschen offenbar mit weit weniger zufrieden sind als in anderen Teilen der Welt - und eine enorme Leidensfähigkeit entwickelt haben. Viele Afrikaner kennen eben Schlimmeres als einen nicht am Gemeinwohl interessierten Potentaten - etwa Hungersnöte oder Bürgerkriege, ja sogar Genozids wie vor 20 Jahren in Ruanda.

Vom Abstieg bedroht

Der entscheidende Grund für die relative Ruhe in Afrika liegt jedoch in der dort noch immer allenfalls in Ansätzen vorhandenen und stets vom sozialen Abstieg bedrohten Mittelklasse. Das gilt selbst für Südafrika, das bei weitem am stärksten industrialisierte Land des Kontinents. Allenfalls 15 Prozent seiner 40 Millionen Schwarzen zählen zu dieser, für eine funktionierende Demokratie so wichtigen Gruppe. In Afrika leben hingegen noch viel mehr Menschen als am Kap unter der Armutsgrenze.

Eine Studie der Standard Bank zur Mittelklasse in Afrika kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass 85 Prozent der Haushalte in den elf am stärksten wachsenden Volkswirtschaften in Afrika zur unteren Einkommensgruppe zählen. Auch verstehen es die Eliten, die fast überall vorhandene tiefe ethnische, rassische und linguistische Kluft zum eigenen Vorteil zu nutzen. Für gewöhnlich ist die ethnische Fragmentierung wie etwa in Kenia oder Nigeria jedenfalls so groß, dass nur eine Minderheit dem Konzept einer gemeinsamen Nation verpflichtet ist und statt dessen im Tribalismus oder in Clanstrukturen verharrt.

Schon deshalb bleibt nun auch in Burkina Faso abzuwarten, ob sich der Wunsch vieler Menschen nach mehr Demokratie auch nur ansatzweise erfüllen wird. Schon jetzt wächst in der Bevölkerung zu Recht die Sorge, dass der Übergang auch hier vom Militär, das am Sonntag den öffentlichen TV-Sender übernahm, zum eigenen Vorteil missbraucht wird. In dem Land ist der demokratische Humus dünn und die Opposition zu schwach.