Beitrag vom 07.05.2013
Bayern 2 (Radio)
Hexenverfolgung in Afrika - Wenn Glaube gefährlich wird
Ein Kind stirbt, ein Nachbar wird krank oder ein Betrieb geht pleite. In vielen Regionen in Afrika ist sofort klar, das ist kein Zufall, sondern hier ist Hexerei im Spiel. Ein Vorwurf, der tödlich enden kann.
Von: Yvonne Maier und Bettina Rühl / Redaktion: Nicole Ruchlak
Auf dem Boden sitzt, die Augen mit einem roten Tuch verbunden, ein Mann. Sein magerer Körper ist übersät mit schwarzen und ockerfarbenen Farbflecken. Sie gehören zu dem Ritual, dem Kitsao Charo Chondo gleich unterzogen wird. Im Gesicht, an der linken Schulter und am linken Oberarm hat er tiefe Narben. Sie rühren von Schnitten mit Macheten. In einer Nacht im vergangenen Herbst stürmten drei Unbekannte in seine Hütte, als er schon im Bett lag und schlief. Sie hackten mit ihren Macheten auf ihn ein, versuchten, ihn zu töten. Nur knapp gelang es ihm, zu fliehen und sein Leben zu retten.
Dem Kenianer wird vorgeworfen, ein Hexer zu sein. Einer seiner Söhne hat sich vor kurzem umgebracht - die Familie wirft dem Vater vor, ihn verhext zu haben. Kitsao Charo Chondo lebt nun in einem sogenannten Hexencamp. Hier findet er Zuflucht und hofft, durch einen weißen Zauberer von der schwarzen Magie erlöst zu werden. Erst dann kann er wieder zurück nach Hause, zu seiner Frau und seinen Kindern.
Bewältigung von Unglück
Der Glaube an okkulte Kräfte und das Übersinnliche ist in Afrika, aber auch in Lateinamerika oder Südostasien weit verbreitet.
Das Jenseitige hat eine ganz reale Macht im Hier und Jetzt - so erklären sich die Menschen Unglück und Leid. Wie viele Menschen von den darauf folgenden Hexereivorwürfen genau betroffen sind, lässt sich nicht ganz genau beziffern. Experten gehen aber davon aus, dass zumindest seit Ende der Kolonialzeit in Afrika mehrere Zehntausende Menschen deswegen umgebracht worden sind. Dazu kommen zahllose Gewalttaten.
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"Ein Kind kommt auf die Welt, ist ganz gesund, und nach zwei, drei Tagen ist es dann plötzlich tot. Dass das Kind plötzlich tot in der Wiege liegt, das ist erklärungsbedürftig. Und man kann sich eigentlich nur wundern, wie weit die Entzauberung in unserer Gesellschaft in Europa vorangeschritten ist: Wenn die Diagnose von einem Fachmann kommt, sind wir bereit, zu sagen: 'Ja, Pech gehabt, Zufall.' Da liegt eben der Unterschied, dass das Konzept des Zufalls bei denjenigen, die an Hexerei glauben, abwesend ist."
Professor Wolfgang Behringer, Historiker, Universität des Saarlandes
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Wenn es keinen Zufall gibt, dann klärt das Übernatürliche die drängende Frage nach dem Grund: Warum ist gerade mein Kind gestorben und nicht ein anderes? Warum bin ich krank geworden und nicht mein Nachbar? Diejenigen, die an die Geisterwelt glauben, meinen die Ursache eines Unglücks zu kennen - sie bezichtigen dann einen Mitmenschen der Hexerei. Damit scheinen sie ihrem Schicksal nicht hilflos ausgeliefert zu sein: Sie kennen dadurch den vermeintlichen Verursacher ihres Unglücks. Und das bedeutet, dass sie scheinbar einen Einfluss auf ihn nehmen können, um das Unglück wieder abzuwenden.
Reinigungsritual durch weiße Magie
Das Paradoxe an dieser Ausprägung des Hexenglaubens ist, dass es sowohl schwarze als auch weiße Hexer gibt. Die weißen Hexer gelten als "die Guten". Sie werden nicht verfolgt, sondern ganz im Gegenteil zu Hilfe geholt - denn sie behaupten von sich, dass sie andere Menschen vor schwarzer Magie beschützen oder von schwarzer Magie befreien können. Das sind Menschen wie Kenga Mangi Mitsanze. Der ehemalige Fernfahrer gab seinen Beruf vor ein paar Jahren auf, weil er in sich selbst übernatürliche Kräfte erkannte. Er fühlte sich zum Heiler und Hexenmeister berufen. In einem mehrstufigen Reinigungsritual "befreit" er Kitsao Charo Chondo von der Zauberei. Nachbarn und Verwandte sind dabei anwesend. Das ist wichtig, denn sonst könnte er trotzdem nicht wieder zurück nach Hause.
Hexencamps in Ghana und Nigeria
Es gibt mittlerweile zahllose solcher Hexencamps in vielen afrikanischen Ländern. Hier finden die Menschen nur Zuflucht, manchmal wird ihnen dort auch die Hexerei "ausgetrieben". Der Aktivist und Forscher Leo Igwe aus Nigeria sieht solche Orte und Praktiken mit gemischten Gefühlen. Einerseits sind sie wichtige Zufluchtsorte für die verfolgten Menschen. Aber wenn ihnen dort die schwarze Magie "ausgetrieben" wird, bestätigt sich so das ganze Glaubenssystem. Leo Igwe ist sich sicher: Hexen gibt es überhaupt nicht; keine schwarzen und auch keine weißen. Doch die Bevölkerung glaubt daran. Mit rationalen Begründungen kommt man in solchen Situationen nicht weit, das hat Leo Igwe selbst erlebt.
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"Wir, die wir Hexerei kritisieren, werden sofort beschuldigt, dass wir so denken wie die Europäer. Als ob nur Europäer logisch, kritisch oder wissenschaftlich denken könnten! Die Leute sagen: 'Ah - du bringst da eine europäische, eine westliche Mentalität mit ein.' Dann stellt man mich so hin, als würde ich mich gegen etwas stellen, das 'afrikanisch' ist, dass ich mich nicht mit meiner eigenen Kultur identifizieren würde. Als ob Hexerei ein wesentlicher Bestandteil der afrikanischen Kultur sei - das ist sie nicht."
Leo Igwe, Philosoph, Universität Bayreuth/Galabar, Nigeria