Beitrag vom 27.03.2013
euractiv.de
Interview mit Volker Seitz
Weshalb gehen drei Viertel aller Entwicklungsprojekte in Afrika schief?
Volker Seitz hat 17 Jahre als Diplomat in Afrika gelebt und gearbeitet, zuletzt als Botschafter in Kamerun. Im Interview mit EurActiv.de spricht er über die ausbleibenden Erfolge der Entwicklungshilfe in Afrika, wachstums- und wirtschaftsfeindlich eingestellte Hilfsorganisationen und darüber, welche Rolle die Milleniumsentwicklungsziele überhaupt noch spielen.Er ist Autor des Buches "Afrika wird armregiert" (September 2012 in sechster Auflage erschienen), in dem er sich für eine Reform der Entwicklungszusammenarbeit - früher "Entwicklungshilfe" - einsetzt. Zudem gehört er zum Initiativkreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe.
EurActiv.de: Mit der sogenannten "Agenda für den Wandel" der EU-Entwicklungspolitik will die EU einen strategischeren Ansatz zur Armutsminderung verfolgen. Entwicklungshilfe werde "strategischer, zielgerichteter und ergebnisorientierter", sagt EU-Entwicklungskommissar Andris Piebalgs. Was halten Sie von dem Ansatz?
SEITZ: Ich sehe Entwicklungshilfe vor allem in Afrika nicht nur kritisch wegen ausbleibender Erfolge, sondern auch weil Fördergelder z.B. bei der Budgethilfe oft nur dazu benutzt wurden, ein System klientelarer Beziehungen in einem Land zu bedienen.
Ein wirklich neuer Ansatz könnte sein, in dem - mit einem Pilotprojekt - die Informationen über jedes einzelne Projekt im Internet zugänglich gemacht wird, natürlich auch den wirtschaftlichen Zweck, die Kosten und die Leistungen des Landes. Die privaten lokalen Medien - die bis heute oft von den Informationen ausgeschlossen werden - könnten zu aufmerksamen Beobachtern werden. Zugleich erhielten alle Beteiligten, eine Gelegenheit ihre Beobachtungen und Meinungen einzubringen. Dann würde dafür gesorgt, dass die staatlichen Behörden auf die Wünsche, Bedürfnisse, Initiativen, Ideen der Bevölkerung eingehen und sie so gut wie möglich erfüllen. Dies würde ihnen die Selbstbestimmung und Mitgestaltung ermöglichen. Entwicklungshilfeorganisationen und die Regierung könnten dadurch deutlich Verantwortung und und Transparenz verbessern. Nur dann könnte man von Entwicklungshilfezusammenarbeit und nicht von Entwicklungshilfe sprechen.
"Heute ist Entwicklungshilfe immer dort schädlich, wo sie eigenständiges Handeln lähmt und zum Warten auf fremde Hilfe erzieht", sagt Professor Nuscheler. Auch müssten Regierungen nicht mehr Hand aufs Herz schwören, sie würden die Korruption bekämpfen. Und die Geber nicht mehr so tun, als glaubten sie ihnen. Überzeugen aber kann das nur, wenn am Ende eine Überzeugung oder zumindest eine echte Einsicht dahinter steht. Wer es wirklich gut meint mit Afrika, der sollte die Entfaltung der menschlichen Potenziale, die sich aus der reichen Vielfalt Afrikas ergeben, unterstützen.
Entwicklung lässt sich von außen nicht steuern
EurActiv.de: Konzentriert sich die Debatte beim Thema Entwicklungshilfe angesichts knapper Kassen und der Verhandlungen um den Mehrjährigen Finanzrahmen ab 2014 derzeit zu sehr auf die Forderung nach immer mehr Mitteln?
SEITZ: Es hat keinen Sinn, erst über Beträge zu sprechen und dann über Aufgaben, die damit finanziert werden sollen. Das Schlimmste an der Diskussion: Sie konzentriert sich auf finanzielle Größen - und leistet dem verheerenden Denken Vorschub, mehr Geld bringe mehr, mehr Geld bedeute mehr Entwicklung. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte, dass sich Entwicklung von außen nicht steuern lässt, werden nicht zur Kenntnis genommen. Es gibt keine überzeugenden Argumente für immer mehr Geld wenn die Impulse für Entwicklung nicht aus dem Land selbst kommen. Statt immer mehr Geld zu fordern wäre es sinnvoll , endlich mal die zahlreichen Leistungen (allein Deutschland gibt bilateral jährlich über 6,3 Milliarden Euro), die es jetzt schon gibt, ernsthaft und vor allem unabhängig auf ihre Tauglichkeit und Zielgenauigkeit zu prüfen.
Wäre es nicht wichtig zu wissen weshalb drei Viertel aller Entwicklungsprojekte in Afrika schief gehen? Wenn dies nicht endlich unabhängig geprüft werden kann, wird weiter eine passive Bedienungsmentalität und eine kleine Geldelite gefördert. Es fehlt vielerorts in Afrika an gemeinwohlorientiertem Handeln und echten Kontrollinstanzen repräsentativ-demokratischer Prozesse. Es gibt keine grundsätzliche Überarbeitung der Konzepte oder eine inhaltliche Anpassung, da es keine Wirkungsstudien über die seit Jahrzehnten gegebene Hilfe gibt. Gerne wird übersehen, dass fast alle mit staatlicher ausländischer oder privater Hilfe errichteten Projekte nicht mehr weitergeführt werden, wenn ausländische Subventionen versiegen.
Fehleranalysen und Wirkungskontrollen
EurActiv.de: Sie sagen, in der Entwicklungshilfebranche sei Qualitätsmanagement ein Fremdwort. Warum?
SEITZ: Unter Qualitätsmanagement verstehe ich, dass es Fehleranalysen und Wirkungskontrollen geben muss, um die Effizienz der Hilfe zu erhöhen. Anhand eines "Archivs des Scheiterns" wie ich es in meinem Buch genannt habe, muss diese Analyse auch dazu führen, dass sich die Methoden ändern. Bei den Programmen der deutschen und europäischen Entwicklungshilfe sollte größerer Wert als bisher darauf gelegt werden, nachvollziehbare Zwischenschritte einzubauen, die jeweils mit festen Zielvorgaben verbunden sind. Bei Nichterreichen der Ziele müssen in jedem Fall spürbare Konsequenzen vorgesehen sein, bis hin zum Ausstieg.
Instrumente, die eine solche Kontrolle nicht zulassen, sollten gemieden werden. Wichtig ist die Weiterentwicklung und ständige Infragestellung der eigenen Ansatze und Methoden. Wohltätigkeit beseitigt nicht die Wurzeln der Armut. Hilfsorganisationen sind zu sehr auf soziale Hilfe konzentriert und wachstums- und wirtschaftsfeindlich eingestellt. Bevor man über eine Erhöhung von Entwicklungshilfe redet, sollte man sich auf die Mittel konzentrieren, die auch wirklich Effekte bringen.
Arbeitsplätze der Helfer hängen von der Fortsetzung der Hilfsprojekte ab
EurActiv.de: Wie bewerten Sie die Rolle und die Arbeit der Hilfsorganisationen?
SEITZ: Es gibt keine Organisation, die die Frage beantworten kann, wann Entwicklungshilfe z.B. in dem Land X eingestellt werden könnte. Natürlich auch weil sich die Frage niemand stellen will. Auch das BMZ nicht. Die Kontrolle der entwicklungspolitischen Aktivitäten ist deshalb unterentwickelt, weil die Durchführungsorganisationen sich zum größten Teil immer noch selbst begutachten und von der Hilfe leben. Entwicklungshelfer haben ein wesentliches Interesse daran, für den Rest des Arbeitslebens in der Entwicklungshilfe zu bleiben. Die Arbeitsplätze der Helfer hängen von der Fortsetzung der Hilfsprojekte ab. Infolgedessen ist es nicht ihr Interesse, die Zelte in einem Land abzubrechen.
An Geld mangelt es nach meinen Erfahrungen kaum einer Hilfsorganisation auf dem Kontinent. Aber es fehlt immer öfter an Möglichkeiten den Zustrom des Geldes sinnvoll einzusetzen. Afrikanische Regierungen und die Entwicklungshilfeindustrie sollten nicht mehr an ihren Versprechungen, sondern an ihrer Bilanz gemessen werden. Noch gibt es viele Entscheidungsträger in Afrika, die nicht das karge Leben ihrer Mitmenschen kennen. Dieses ist von Erniedrigung, Entbehrung und harter Arbeit gekennzeichnet. Machteliten handeln eher im Eigeninteresse, statt das Gemeinwohl zu fördern. Deshalb fließt das Geld aus Rohstoffen nicht in gute Straßen, in die Strom- und Wasserversorgung, in die Landwirtschaft und saubere Städte. Selbst in reichen Ländern wie dem Kongo, Gabun, Äquatorialguinea, Angola, Nigeria leben die meisten Menschen in bitterer Armut. Letztere werden gerne der Fürsorge der Industrieländer überantwortet und wir machen das Spiel mit.
Mobilisierung der Öffentlichkeit für immer mehr finanzielle Mittel
EurActiv.de: Welche Rolle spielen die Milleniumsentwicklungsziele derzeit noch?
SEITZ: Die Milleniumsziele spielen nur noch eine zentrale Rolle bei der Mobilisierung der Öffentlichkeit für immer mehr finanzielle Mittel. Wichtig wäre es endlich offiziell zu sagen, dass bei der Verabschiedung der Milleniumsziele im September 2000 die Entwicklungsziele unzulänglich formuliert wurden und unzureichend sind. Weder gute Amts- und Regierungspraxis noch die Achtung der Menschenrechte konnten als Ziele durchgesetzt werden.
Aber wer wird denn kleinlich darüber streiten, dass Empfehlungen für den Aufbau von gerechteren Gesellschaftsformen - selbstverständlich aus übergeordneten politischen Motiven - ad acta gelegt wurden. Deshalb war für alle Experten absehbar, dass die Ziele bis 2015 weitgehend verfehlt werden. Jetzt gibt es folgerichtig bereits Vorschläge zur "Agenda beyond 2015â€. Das Thema Wassermanagement z.B. wurde im Jahre 2000 als verbindliches Ziel formuliert, die Zahl der Menschen, die über keinen Zugang zu Trinkwasser verfügen, bis 2015 um die Hälfte zu reduzieren. Weltweit wird dieses Ziel erreicht, aber nicht in Afrika.
Schlimmer ist es noch bei einfachsten sanitären Anlagen. Der Wassersektor hat in Afrika fast überall einen niedrigen politischen Stellenwert. Es reicht nicht aus, einige Fernziele zu formulieren, ohne sich darum zu kümmern, wie sie erreicht werden können. Auslandshilfe untergräbt meist die Selbsthilfe der Empfänger. Es wird nicht deutlich, dass es Hilfe zur Selbsthilfe ist - und ein Ende hat. Es gibt zu wenig Druck, die eigenen Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen.
Was können wir tun?
EurActiv.de: Welche Forderungen stellen Sie an die Bundesregierung beim Thema Entwicklungspolitik?
SEITZ: Viele afrikanische Regierungen sehen der Forderung nach Korruptionsbekämpfung in erster Linie eine Einmischung in interne und politisch sensible Angelegenheiten. Man erwartet von uns, dass wir das Wohl der Machteliten nicht durch unbequeme Fragen nach dem Volkswohl stören. Was wir bei unseren eigenen Regierungen für selbstverständlich erachten und kritisch beobachten, fordern wir in Afrika nicht ein: Zu einer guten Regierungsführung gehört zu allererst, die eigene Bevölkerung nicht zu missachten. Zu Reformen sagen sie regelmäßig ja, ohne sie anwenden zu wollen. Jede Kritik wird als destruktiv angesehen.
Folglich machen wir eilfertig Zugeständnisse (etwa weil wir deren Stimmen in internationalen Gremien brauchen), die prompt darauf getestet werden, ob sie nicht ausbaufähig sind. Aber die langjährige Duldung der autoritären Regimes in Afrika wird Europas Regierungen einholen. Es wird nicht mehr lange dauern, dass die Unzufriedenen, Frustrierten und diejenigen, die reale Veränderungen wollen, sich kraftvoll zu Wort melden werden. Sie haben heute schon genug von Staatschefs und Regierungen, die den Ausverkauf der Landwirtschaft sowie den Niedergang des Gesundheits- und Bildungssystems zu verantworten haben.
Auch zu Menschenrechtsverletzungen in vielen Staaten des Kontinents verhalten sich die Länder der EU erstaunlich zurückhaltend. Aber die Zeiten haben sich geändert, auch für afrikanische Autokraten. Die Sichtbarkeit und Überprüfung ihres Verhaltens wächst - nicht zuletzt durch die neuen Medien - stetig. Alles wird früher oder später öffentlich. In den Genuss ausländischer Solidarität sollten nur noch Länder gelangen, die nachweislich alles in ihrer Macht stehende getan haben, um ihre Notlage zu beseitigen. Erst dann sollten Wege für zeitlich begrenzte Hilfen beschritten werden.
Es lohnt sich einen optimistischen Blick auf den Senegal, Niger und Guinea zu werfen. Insbesondere der im März 2012 zum Präsidenten vom Senegal gewählte Macky Sall vermittelt - nach allem was man hört - den Senegalesen ein Gefühl von Zielvorstellungen und von Optimismus. Auf der privaten Webseite mackymetre.com können die Bürger seit dem 17. Januar 2013 die Politik seiner Regierung benoten. Auch im Niger und in Guinea könnten sich die Verhältnisse zum Besseren wenden, wenn die vielen Muster der politischen (Un)Kultur aufgebrochen werden können. Diese Staaten sollten verstärkt unterstützt werden.
Was können wir tun? Die effizienteste Hilfe ist die Bildungs- und Wirtschaftsforderung. Ein größerer Teil der Milliarden Euro europäischer und deutscher Hilfe könnte in Risikokapital umgewandelt werden. Mit Hilfe bei der Aufstellung von Businessplänen könnte freies Unternehmertum gefördert und damit Arbeitsplätze geschaffen werden. Mit Krediten könnten dann beispielsweise Konserven-, Seifen, oder Zementfabriken errichtet werden. Arbeitsplätze könnte die Menschen aus der Armut befreien. In Kamerun werden Tonnen von Gemüse exportiert, die dann in Frankreich in die Dose kommen. Warum kann das Gemüse nicht in Afrika verarbeitet und dann exportiert werden?
Interview: Daniel Tost