Beitrag vom 19.04.2012
Südkurier
Zwischen Ausbeutung und Hoffnung
Von WOLFGANG DRECHSLER
Der Schweizer Rohstoffriese Glencore profitiert laut Darstellung zweier Nichtregierungs-Organisationen von Kinderarbeit und extrem schlechten Sicherheitsvorkehrungen in Minen in der Demokratischen Republik Kongo. Glencore kaufe über Zwischenhändler Kupfer, "das unter prekären Bedingungen und von Kindern abgebaut wurde", erklärten die Organisationen "Brot für Alle" und "Fastenopfer". In einer neuen Studie werfen sie der Firma außerdem vor, sie missachte Arbeitsrechte, verursache Umweltschäden und vermeide Steuern. Bild/Autor: AFP
Glencore wies die Anschuldigungen zurück.
Neu sind die Vorwürfe nicht: Bereits vor einem Jahr hatten die Organisationen ganz ähnliche Anschuldigungen erhoben - sie wissen dabei große Teile der öffentlichen Meinung hinter sich. Denn das Bild der Konzerne wird noch immer von der Ausbeutung Afrikas durch die Weißen während der Kolonialzeit geprägt. Glencore macht es seinen Kritikern zudem dadurch leicht, dass der Konzern bis zu seinem Börsengang vor einem Jahr sehr intransparent agierte, was Argwohn gegenüber dem Management noch schürte.
Dabei ist die Lage vor Ort komplexer, als die Kritiker oft glauben machen. So gibt es im Kongo quasi keine staatlichen Strukturen und Institutionen, mit denen die Konzerne verlässlich und geregelt arbeiten können. An einer gerechten Verteilung der Rohstoffeinnahmen hat das Regime kein Interesse.
Kein Wunder, dass allein in der Bergbauprovinz Katanga mehr als eine Million sogenannte "freie Kleinschürfer" unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten, weil sie keine andere Möglichkeit zum Überleben haben - und der Staat sich weder um Arbeits- noch Umweltschutz kümmert. Auf dem Gelände der Mine Tilwezembe zum Beispiel, die in der Kritik steht, bauen diese oft minderjährigen Kleinschürfer auf eigene Faust Rohstoffe ab - Glencore stehe mit ihnen aber in keiner Verbindung, so das Unternehmen.
Statt das Regime anzuprangern, betrachten viele Aktivisten oft allein die Rohstoffkonzerne als Quelle des Übels. Zwar richten manche Unternehmen vor Ort in Afrika zweifellos Schaden an - aber erst durch das Engagement der Unternehmen wird beispielsweise im Kongo zumindest ansatzweise Wohlstand geschaffen. In den meisten Staaten Afrikas, wo oft mehr als 50 Prozent der jungen Menschen keinen Job haben, ist nicht etwa das vermeintlich unethische Auftreten internationaler Konzerne das größte Problem, sondern die Tatsache, dass es dort zu wenig Unternehmen gibt, die wenigstens ein Mindestmaß an Wohlstand schaffen.
Bezeichnend dafür ist die oft illegale Coltan-Förderung im Osten des Kongo. Seitdem westliche Unternehmen durch ein US-Gesetz gezwungen sind, die Herkunft des Metalls offenzulegen und deshalb kein billiges Coltan mehr aus dem Kongo aufkaufen, ist die Industrie dort kollabiert - und Zehntausende der Kleinschürfer sind ohne Job. Ein gut gemeintes Gesetz hat hier die schlechte Lage weiter verschärft. Man kann es Ausbeutung nennen - aber auch Industrialisierung. Und für den Kongo scheint es der einzig gangbare Weg zu etwas mehr Wohlstand zu sein.