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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 29.03.2012

DIE ZEIT

Kein Erbarmen!

Ein Gespräch mit dem kenianischen Publizisten James Shikwati, der einst den Stopp jeglicher Entwicklungshilfe forderte. Bleibt er dabei?

DIE ZEIT: Es ist nun ein paar Jahre her, dass Leute wie Sie und Dambisa Moyo und andere Wortführer aus den afrikanischen Eliten durch die Talkshows der Welt zogen und riefen: Stoppt die Entwicklungshilfe für Afrika!

James Shikwati: Das Problem ist doch bis heute Folgendes: Die ganze Diskussion der Geber dreht sich ständig um Entwicklungshilfe. Aber wenn man dann genauer auf die Details schaut, geht es gar nicht wirklich um Hilfen für die Entwicklung Afrikas. Es geht ums Geschäftemachen, und es geht um eigene geopolitische Interessen. Und Afrika hat sein eigenes Interesse bis jetzt noch gar nicht an den Verhandlungstisch gebracht. Das ändert sich nun gerade. Wir haben jetzt afrikanische Politiker, die sagen: Wir wollen dies und jenes, und wir wollen es auch durchsetzen.

ZEIT: Warum, glauben Sie, haben Ihre streitbaren Thesen seinerzeit auch im Westen solche Wellen geschlagen?

Shikwati: Ich denke, dass es zunächst an der plötzlichen Aufmerksamkeit für Afrika lag. Tony Blair hatte damals eine Kommission eingesetzt, die Hilfsmöglichkeiten untersuchen sollte ...

ZEIT: ... das war 2004.

Shikwati: Diese Kommission bestand aus Leuten, die annahmen, dass sie Antworten für Afrika hätten, und zwar besonders solche Antworten aus der Denkschule von Tony Blair. Dagegen standen Leute wie ich. Und interessant war ja: Während Blair ein Bild der Verzweiflung zeichnete und an das Gewissen der Welt appellierte, luden die Chinesen in aller Stille die Staatschefs Afrikas ein, um den Kontinent zu feiern. Sie boten eine freundliche Partnerschaft an. Seither gibt es eine Menge ermutigender Zeichen. Es gibt Wirtschaftswachstum.

ZEIT: Das ist ja mal eine gewagte These: Das Geschäftemachen der Chinesen mit afrikanischen Herrschern ist gut, die Entwicklungshilfe des Westens aber ist durch die Bank schlecht. Ist das nicht zu pauschal? Es gibt ja alle möglichen Arten westlicher Entwicklungshilfe - von humanitären Stützen über subventionierte bis hin zu nicht subventionierten Unternehmenskrediten.

Shikwati: In Afrika müssen wir davon ausgehen, was die Entwicklungshilfe-Industrie, die heute mehr als 200 Milliarden Dollar ausmacht, bei den Regierungen und der Bevölkerung angerichtet hat. Wenn ich das mal in Computersprache ausdrücken darf: Das Betriebssystem der afrikanischen Köpfe, die Software, ist korrumpiert worden durch die Entwicklungshilfe-Industrie, wie wir sie kennen. Zu denken, man lebe auf einem armen Kontinent, obwohl man natürliche Ressourcen hat, um die die reichen Länder kämpfen, ist ein Resultat dieser geistigen Korruption. Es ist die ganze Idee der Entwicklungshilfe, dass man sich hilfsbedürftig fühlt, obwohl man eigentlich alles hat, um selber mehr Einkommen zu generieren.

ZEIT: Ist das eine Kritik an den Entwicklungshelfern oder an den Regierungen in Afrika?

Shikwati: An den sogenannten Regierungen in Afrika. Wie wurden diese eingesetzt? Sind sie eine Fassade, die von den Kolonialherren vor ihrem Abzug etabliert wurde? In Wahrheit sind sie einfach eine Clique von Eliten, die den Interessen der reichen Länder dient und die die afrikanische Bevölkerung als ihre Gegner ansieht. Und die Entwicklungshilfe stützt diese Fassaden-Regierungen. Ein weiterer Punkt ist: Schauen Sie mal auf das globale Wirtschaftssystem. Afrika verschickt Rohstoffe - Erze, Kaffeebohnen - in die reiche Welt, wo dann die eigentlich profitable Weiterverarbeitung betrieben wird. Und von dieser riesigen Mehrwertschöpfung kriegen wir einen kleinen Teil als Entwicklungshilfe zurück. Dazu muss Afrika Nein sagen!

ZEIT: Sie haben schon die Chinesen erwähnt, die neuerdings auch eine Menge Entwicklungshilfe in Afrika leisten - und dabei ganz offen ihre eigenen Geschäftsinteressen vertreten. Gefällt Ihnen das Vorgehen der Chinesen in Afrika?

Shikwati: China bringt eine neue Dynamik nach Afrika. Es gibt jetzt Wettbewerb unter den Geldgebern. Wenn sich die Geberländer nun gegenseitig dabei überbieten, wer welches Projekt fördern kann, liegen darin Chancen und Risiken.

ZEIT: Wenn der Wettbewerb der Geber untereinander zunimmt, werden zunächst einmal weniger Bedingungen an die Vergabe der Hilfen geknüpft.

Shikwati: Und dieses Problem liegt wirklich auf der Empfängerseite. Lassen Sie mich ein Beispiel geben. Die Weltbank hat ein Autobahnprojekt in Kenia gestoppt, zwischen einem Flughafen und dem Stadtzentrum. Sie sagten, dass die Ausschreibung an eine russische Firma gegangen sei, und Russland stehe als ein korruptes Land auf der schwarzen Liste. Und dann wurde der Bau gestoppt, im Januar 2011. Und im März sagte China: Dann finanzieren wir das eben!

ZEIT: Und was folgern Sie daraus?

Shikwati: Dass wir uns bei solchen Projekten nicht mehr darauf verlassen sollten, dass die Geberländer und -organisationen schon wissen, was gut für uns ist. Dann werden wir nur herumgeschubst. Nein, auf unserer afrikanischen Seite muss eine ausführlichere Diskussion entstehen: Was wollen wir? Welche Arten von Projekten, mit welchen Partnern, sind gut für uns?

ZEIT: Manche Länder, die heute Geld an Afrika geben - China, Indien, Brasilien -, haben vor 15 Jahren selber Entwicklungshilfe vom Westen erhalten, oder sie erhalten sie heute noch. Warum hat die Entwicklungshilfe denn nur in Afrika die Köpfe der Leute vergiftet und nicht dort?

Shikwati: Gute Frage. Nehmen Sie China, und schauen Sie sich die Struktur der dortigen Regierung an, gestützt auf eine in Jahrtausenden gewachsene Kultur. Schon bevor der intensive Kontakt mit dem Westen begann, gab es dort einige der führenden Industrien der Welt. Und dann schauen Sie sich die Regierungen in Afrika an. Wir haben zwar auch jahrtausendealte Zivilisationen, im Norden, in Simbabwe, in Ghana und anderswo. Aber dann wurden daraus vor 50 Jahren diese Nationen zusammengezimmert mit Fassaden, die man »Regierung« genannt hat. Das erklärt teilweise, warum man China oder Indien nicht mit Afrika vergleichen kann. Bisher - denn es ändert sich gerade.

ZEIT: Brasilien war lange eine Diktatur, Indien hatte gewaltige Schwierigkeiten mit seiner Nationenbildung und erlebt bis heute schwere innere Konflikte zwischen seinen vielfältigen Volksgruppen und Kulturen. Trotzdem hat die Entwicklungshilfe dort nicht den Schaden angerichtet, den Sie in Afrika beschreiben ...

Shikwati: Sie verstehen mich falsch. Ich sage nicht, dass alles die Schuld der Geberländer ist. Eher rede ich von einer Koalition aus den Eliten der afrikanischen Länder und den Gebern.

ZEIT: Aus Ihrer Kritik leiten Sie die äußerst radikale Schlussfolgerung ab, man solle die gesamte Hilfe einfach einstellen. Manche Leute im Westen haben das gehört und sich gesagt: Oh, großartig - sparen wir uns doch einfach dieses Geld! Haben Sie mit Ihren Forderungen kein moralisches Problem, wenn die humanitäre Hilfe auf Ihre Initiative hin gekürzt wird?

Shikwati: Ich leite eine Denkfabrik. Wir möchten verstehen, woran es liegt, dass die Menschen hungern, und wie man diese Ursachen bekämpfen kann. Und siehe da: Humanitäre Hilfe kann auch zur Ursache von humanitären Problemen werden. In meiner Heimat Kenia zum Beispiel muss die Regierung jedes Jahr um Lebensmittelhilfen bitten - und zugleich hört man Nachrichten, nach denen irgendwo auf den Farmen große Mengen von Lebensmitteln verderben.

ZEIT: Und die Ursache ist, ganz einfach, die Entwicklungshilfe? Die humanitäre Hilfe?

Shikwati: Es ist eine Fülle von Problemen, extern wie intern. Zu den internen Problemen gehört beispielsweise die Korruption. Es gibt bei uns Kartelle, die die Regierung gerne auffordern, doch bitte einen nationalen Hungernotstand auszurufen. Denn wenn das geschieht, muss die Regierung Mittel zum Ankauf von Lebensmitteln bereitstellen. Dann haben diese Kartelle einen großen Markt.

ZEIT: Und die externen Probleme sind die Hungerhelfer aus dem Westen?

Shikwati: Na, da haben Sie dann jemanden in Deutschland, dem sein Gewissen sagt: Lass mich einem Hungerleidenden in Afrika helfen. Also kommt der und bringt die Lebensmittel mit. Doch an den zugrunde liegenden Problemen ändert sich damit nichts. Und: Durch diese Art von Hilfe ändern Sie die Art von Nahrungsmitteln, die die Menschen essen. Vielleicht werden die Menschen jetzt abhängig von bestimmten Lebensmitteln oder von Saatgut, das aus dem Ausland kommt. Vielleicht wird man künftig bestimmte Dünger und Unkrautvernichtungsmittel brauchen. Oder nehmen Sie den gespendeten Traktor, der komplett mit amerikanischer Flagge hintendrauf angeliefert wurde und für den man ab jetzt um Ersatzteile betteln muss.

ZEIT: Hätten Sie statt »Stoppt die Hilfen!« vielleicht fordern sollen: »Ändert die Art der Hilfe«?

Shikwati: Nein. Stoppt die Hilfe. Das ist dringend. Und seit ich diesen Aufruf gestartet habe, sind viele wertvolle Diskussionen entstanden.

ZEIT: Sie sind viel gehört worden.

Shikwati: Ich habe inzwischen Ihre Bundeskanzlerin zweimal getroffen und Ihren früheren Bundespräsidenten Horst Köhler dreimal. Und die beiden haben meine Forderung, die Entwicklungshilfe zu stoppen, angehört, und wir haben darüber gesprochen, dass es hier ein Problem zu lösen gibt. Das bedeutet aber nicht, dass wir von nun an getrennte Wege gehen sollten.

ZEIT: Ihre »Stoppt die Entwicklungshilfe«-Forderung war ein rhetorischer Trick, ein aufsehenerregender Ausgangspunkt, um wichtige Debatten zu starten?

Shikwati: Nein, das ist überhaupt nicht rhetorisch. Es ist ein dringender Aufruf. Die Geberländer müssen merken, dass hier schlimme Dinge geschehen; hier werden Menschen getötet. Die Empfängerländer müssen aufmerken und ihren Kurs ändern. Und jetzt müssen wir darüber reden, wie es weitergeht. Geber- und Nehmerländer müssen sich verständigen.

ZEIT: Bei Ihren Forderungen nehmen Sie die sehr konkrete Folge in Kauf, dass Hungerhilfen für Ihre eigene Heimat reduziert werden.

Shikwati: Im Augenblick haben wir ja auch noch ein ganz anderes Problem in Afrika, das der sogenannten land grabs, bei denen ausländische Investoren fruchtbares Farmland in Afrika erwerben ...

ZEIT: ... Sie lenken ab.

Shikwati: Nein, um Ihre Fragen zu beantworten, muss ich auch die ganze Geschichte erzählen dürfen. In Afrika wird viel von »Brachflächen« geredet, von ungenutztem Ackerland, das dann verkauft werden kann. Doch das ist eine Lüge. Das Land liegt brach, weil die Hungerhilfe von außen kommt. Das vertreibt die Farmer buchstäblich vom Land und befördert dann die Idee, dass irgendjemand anders von außen dieses brachliegende Land viel produktiver nutzen könnte. Also: Da wird ein System unterstützt, das ich für falsch halte.

ZEIT: Sind die Hungerleidenden in Ihrem eigenen Land damit einverstanden, dass ein Vertreter ihrer Elite fordert: Die Deutschen, Amerikaner und Niederländer sollen bitte ab sofort keine Nahrungsmittelhilfen mehr schicken?

Shikwati: Es ist ein Preis zu bezahlen. Und die größte Herausforderung liegt vielleicht nicht in Europa und in den anderen Geberländern, sondern daheim in Afrika. Und wir führen viele Diskussionen ...

ZEIT: Entschuldigung, aber wenn Sie so ausweichen, muss man leider mit einer sehr direkten Frage nachhaken: Direkte humanitäre Hilfe für arme Kinder, die Hunger leiden und denen medizinische Versorgung fehlt - die soll in Ihrer Heimat in Kenia eingestellt werden? Jetzt? Ja oder nein?

Shikwati: Wissen Sie was? Ich glaube, Sie versuchen mich hier reinzulegen.

ZEIT: Nein, Sie sind James Shikwati, und Sie haben das so in Ihrem Buch geschrieben.

Shikwati: Ja, aber das müssen Sie doch relativieren. Ich habe auch gesagt: Das Hungerproblem ist vergleichbar mit einem Hausbrand. Wenn es einen Brand gibt, dann muss man ihn löschen, das ist gar keine Frage, und dafür braucht man eine Feuerwehr. Aber wir müssen auch Fragen stellen, wie es zu diesem Brand gekommen ist. Und vielleicht ist es ein Teil des Problems, dass sich jeder ständig auf die Feuerwehr verlässt. Sagen Sie bitte nicht: James Shikwati will die Kinder sterben lassen, dann verstehen Sie das falsch. James mag die Kinder. Er will nicht, dass Kinder sterben.

Das Gespräch führte THOMAS FISCHERMANN

James Shikwati leitet den Thinktank IREN in Nairobi

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Tote Hilfe?
Man horcht auf, wenn ein Afrikaner fordert: Stellt die Entwicklungshilfe für Afrika ein. James Shikwati tut das seit Mitte der nuller Jahre besonders hörbar und radikal. Der Publizist und Leiter des Inter Region Economic Network, eines ökonomisch orientierten Thinktanks aus Kenia, hält Entwicklungshilfe für die Wurzel vieler Übel in Afrika - sie schaffe eine Abhängigkeitskultur, untergrabe freies Unternehmertum, korrumpiere die Eliten des Kontinents. Auch andere öffentliche Denker mit Afrikahintergrund haben in den vergangenen Jahren Ähnliches gefordert, zum Beispiel der Journalist Andrew Mwenda aus Uganda und Dambisa Moyo, eine westlich ausgebildete Sambierin, die bei Goldman Sachs arbeitete und mit ihrem Buch »Dead Aid« (Tote Hilfe) einen Bestseller landete. Ihre Forderungen trafen auch in den reichen Geberländern im Norden auf offene Ohren - besonders nach Ausbruch der Finanzkrise 2007. Da herrschte Flaute in den Kassen der Staaten und bei manchen großen Entwicklungshilfeorganisationen. Sparen war angesagt - und was kommt da gelegener als eine Gruppe von Afrikanern, die erklärt, dass all die Hilfe sowieso mehr schade als nütze? TF