Beitrag vom 31.03.2012
FAZ Kommentar
Afrikas junge Demokraten
von Thomas Scheen
Senegal hat einen neuen Präsidenten. Der heißt Macky Sall, ist mit 54 Jahren im besten Alter und hat das Kunststück vollbracht, den seit zwölf Jahren regierenden Amtsinhaber Abdoulaye Wade in der Wahl zu besiegen. Dieser gestand noch am selben Tag seine Niederlage ein und wünschte seinem Nachfolger Glück. Ein ganz gewöhnlicher, fast schon banaler Vorgang in einer Demokratie, könnte man meinen. Dass aber Senegal gleich von aller Welt als "Vorbild für Afrika" gefeiert wurde und der Ausgang der Wahlen von der Afrikanischen Union als "Ehre für den Kontinent" bezeichnet wurde, wirft ein bezeichnendes Licht auf den Stand der demokratischen Gesinnung auf dem Kontinent.
Es bedarf tatsächlich längerer Suche, um zwischen der Sahara und dem Kap ein zweites Senegal auszumachen: Sambia. Dort war im September vergangenen Jahres Präsident Rupiah Banda vom Oppositionsführer Michael Sata abgelöst worden, ohne dass es in Lusaka zu Straßenschlachten gekommen wäre. Wer weitersucht, stößt auf Ghana, das sich ebenfalls dem politischen Fairplay verpflichtet hat, auf das westafrikanische Benin und das südafrikanische Botswana. Liberia fällt trotz einer Friedensnobelpreisträgerin als Staatsoberhaupt schon nicht mehr in diese Kategorie, Nigeria, Kenia, Angola und die beiden Kongos sowieso nicht. Und ob Südafrika tatsächlich ein demokratisches Land ist, wird sich erst zeigen, wenn der bislang allmächtige "African National Congress" eine Wahlniederlage akzeptiert und bereit ist, die harte Bank der Opposition zu drücken.
Ansonsten sieht es düster aus auf dem Erdteil. In der Elfenbeinküste wurde vor einem Jahr das vermeintliche Ergebnis der Präsidentenwahlen auf offener Straße ausgeschossen, in Guinea-Bissau wurde in der vergangenen Woche der Geheimdienstchef ermordet, weil der Präsident entgegen seiner Absicht in eine Stichwahl muss, und in Mali, einem zu Unrecht als demokratisch gerühmten Land, hat gerade die Armee unter dem Beifall der Bevölkerung geputscht, weil sie der gewählten Regierung Unfähigkeit im Kampf gegen den islamischen Terror vorwirft. In Äthiopien wiederum werden Oppositionelle als Terroristen verurteilt, in Ruanda erzielt Präsident Paul Kagame wundersame Wahlergebnisse wie weiland europäische Gewaltherrscher, und in Zimbabwe führt der Diktator Robert Mugabe seinen aus der Opposition stammenden Ministerpräsidenten vor wie den sprichwörtlichen Tanzbären.
Insofern ist die Genugtuung über den Ausgang der Wahl in Senegal in erster Linie Ausdruck einer tiefsitzenden Frustration. Demokratische Mehrheitsfindung ist in weiten Teilen Afrikas nichts anderes als ein Ritual der Selbstbestätigung mit vorab verabredetem Ausgang. Die Geberländer verlangen Wahlen, bezahlen meistens für das Spektakel, und die afrikanischen Eliten beugen sich dieser Forderung nur deshalb, weil sonst der stete Strom an Entwicklungshilfe, billigen Krediten und Schuldenerlassen zu versiegen droht. Die afrikanischen Wähler wiederum verdienen Bewunderung, weil sie immer unverdrossen an die Urnen strömen, wenngleich das Ergebnis in den meisten Fällen schon feststeht.
Also nichts Neues vom Schwarzen Kontinent? Und ob! Die Neuigkeiten kommen vom Nordrand der Sahara, dorther, wo sich in Tunesien und Ägypten zuerst die Jugend und anschließend die gesamte Bevölkerung gegen ihre Diktatoren auflehnte. Die "Arabellion" ist überall in Schwarzafrika aufmerksam verfolgt worden, und es war kein Zufall, dass der breite Protest gegen die dritte Kandidatur des Senegalesen Wade von einer Gruppe junger Rap-Musiker namens "Y en a marre" angestoßen worden war. "Y en a marre" bedeutet frei übersetzt: .,Die Schnauze voll", eine treffende Umschreibung des Lebensgefühls vieler junger Schwarzer. Diese Generation ist mit dem Internet und dem unbeschränkten Zugang zu Informationen aufgewachsen. Sie hat in Echtzeit erlebt, wie ein Mark Zuckerberg zum Milliardär aufstieg, weil er seinen Traum ausleben konnte, statt behindert zu werden. Ihre eigene Zukunft aber hält häufig nichts Besseres bereit als einen Lebenslauf als Autowäscher. Für diese Generation gilt nicht mehr das Diktat des absoluten Gehorsams gegenüber den Alten, das angeblich gute, alte afrikanische Tradition ist und das sich gleichzeitig so wirkungsvoll als Instrument zur Repression benutzen lässt. Diese Generation verlangt Rechenschaft, weil sie jeden Tag bei Youtube und Facebook sehen kann, wie es anderswo auf der Welt läuft. Sie lässt sich nicht länger einreden, Afrika sehe heute so aus, wie es aussieht, weil vor 100 Jahren eine Handvoll Weißnasen nicht nur die Rohstoffe, sondern auch die Seelen der Afrikaner gestohlen haben sollen. Diese Generation verlangt von ihren Politikern, dass sich das Wirtschaftswachstum von durchschnittlich sechs Prozent im Jahr endlich in vernünftig ausgestatteten Universitäten und qualifizierten Arbeitsplätzen manifestiert. Vor allem: Diese Generation hat keine Angst mehr, weil sie in Tunesien und Ägypten gesehen hat, wie man sich gegen staatliche Willkür erfolgreich zur Wehr setzt. Das neue Selbstbewusstsein ist nicht auf Senegal beschränkt. Es bricht sich überall auf dem Kontinent Bahn. Angst sollten inzwischen die kleinen und großen Potentaten haben.