Beitrag vom 29.02.2012
Financial Times Deutschland
Jenseits von Afrika-Euphorie
Die Wirtschaftsentwicklung des zweitgrößten Kontinents ist weniger rosig als von vielen
derzeit behauptet. Jedoch gibt es Ausnahmen wie Ruanda, von denen andere lernen sollten
Volker Seitz
In regelmäßigen Abständen wird künstliche Zuversicht über Afrikas wirtschaftliche Entwicklung verbreitet. Argumente sind günstige Aktienbewertungen und Konjunkturprognosen. Enormes Potenzial wird bereits seit Jahren prophezeit, wie auch kürzlich in einem Gastbeitrag in der FTD von Dambisa Moyo, einer Ökonomin aus Sambia. Doch die These, der Kontinent befände sich grundsätzlich auf gutem Wege, hält der Nachprüfung nicht stand.
Anleger und Investoren müssen schon sehr risikofreudig sein, wenn sie politische Instabilität und nicht verlässliche Rahmen außer Acht lassen. Auch bei der gängigen Bewertung
der menschlichen Entwicklung - Bildung, Gesundheit, gutes Regierungsmanagement, Korruptionsbekämpfung, Rechtssystem und -kultur - schneiden viele afrikanische Staaten schlecht ab. Es fehlt immer noch an transparenten Entscheidungsverfahren. Nicht selten entscheidet der Präsident selbst. Macht wird über informelle und klientelistische
Netzwerke ausgeübt.
Bis heute haben die lokalen Entscheidungsträger den intraregionalen Handel vernachlässigt. Er beträgt nur zehn Prozent des Handels in Afrika. Innerafrikanische Schranken und die Tatenlosigkeit der Machteliten kosten wichtige Marktanteile. Vereinbarungen mit den unmittelbaren Nachbarn werden - nach Untersuchungen des südafrikanischen Instituts
Idasa - nicht umgesetzt. Hohe Bestechungsgelder und stundenlange Wartezeiten an Kontrollpunkten bremsen den Handel.
In einer Untersuchung für die Staatschefs der Afrikanischen Union vom Januar 2012 steht: "Innerafrikanische Grenzformalitäten sind bürokratisch, kostspielig und langsam. Die
Transportkosten innerhalb Afrikas sind durchschnittlich 63-mal so hoch wie in den Industrienationen."
Ökonomische und politische Strukturen müssen stärker auf die benachbarten Regionen ausgerichtet werden und weniger auf den Weltmarkt. Auf dem Kontinent gibt es zum
größten Teil gar keine wettbewerbsfähigen Industrien. Afrika, insbesondere die Subsahararegion, bleibt zwar eine Welt voller Chancen. Aber Geschäfte sind riskant.
Ohne die Rückendeckung von Kreditversicherungen wird kaum ein deutscher Unternehmer Technologie liefern oder Produktionen aufbauen. Der Kontinent ist bislang fast ein reiner
Rohstofflieferant. Die teils märchenhaften Wachstumsraten gehen auf die Ausfuhr von Rohstoffen zurück und nicht auf eine solide Wirtschaftspolitik. Afrika zählt rund 20 Staaten,
die hohe Einkommen aus Rohstoffen haben. Kenia und die Elfenbeinküste haben besonders großes wirtschaftliches Potenzial. Dennoch zeigten Gewaltausbrüche im Umfeld von Wahlen, dass in den Ländern ein positives Demokratieverständnis fehlt.
Nach einem Ende November 2011 im britischen Parlament vorgelegten Bericht hat der Kongo rund 5,5 Mrd. Dollar an Einnahmen verloren, weil die Führungsclique des Landes gegen Schmiergeld die wertvollen Bergbaukonzessionen verschleudert hat. Der Kongo, Gabun, Angola und Äquatorialguinea gehören zu den Beispielen, dass Rohstoffe allein noch keinen Wohlstand bedeuten.
Nigeria als größter Ölexporteur Afrikas ist nicht in der Lage, in seinen vier staatlichen Raffinerien das Öl in ausreichenden Mengen in Benzin zu verarbeiten. Das Land ist auf Benzinimporte angewiesen. Die Stromversorgung dort und in großen Teilen Afrikas ist ein Desaster. In Südafrika mischt sich der Staat immer stärker mit immer neuen Arbeitsgesetzen
und Abgaben in den Privatsektor ein.
Die Flughäfen sind in manchen Staaten in einem beklagenswerten Zustand. Pisten werden nicht beleuchtet, Notstromaggregate sind defekt, es fehlt an Ersatzteilen, und die Zahl der Unfälle ist nirgends höher als in Afrika. Oft fliegt man in die Nachbarländer rascher und sicherer über Europa.
Aber es gibt auch positive Entwicklungen: Fast überall in Afrika wächst eine Mittelschicht heran, die sich allerdings wenig um Politik kümmert. Erfolgreiche Händler, Handwerker,
Lehrer, Anwälte - diese Menschen sind nicht reich, aber sie brauchen keine Hilfe. Ein friedlicher Machtwechsel nach knappem Wahlausgang wie in Ghana im Januar 2009 und in
Sambia 2011 war früher undenkbar.
Der Präsident von Ruanda, Paul Kagame, hat eine Vorstellung, wie Wachstum und Jobs geschaffen werden. Er ist ein Praktiker und Macher. Seine Ideen und Fähigkeiten kommen
vorwiegend durch Probieren und Abschauen in Asien zustande. Die gesetzlichen
Rahmenbedingungen für Unternehmen sind ausreichend kalkulierbar. Es gibt ein funktionsfähiges öffentliches Finanzmanagement. Die Reformen werden dem Land nicht von
außen auferlegt, sondern wurden von der Regierung und Verwaltung selbst entwickelt.
Ruanda ist keine Demokratie, wie sie uns gefällt, es gibt keine Zivilgesellschaft, keine Opposition. Das wird gerechtfertigt mit der notwendigen Versöhnung des ethnisch immer noch gespaltenen Landes. Aber es ist ein Staat, der aufgrund von hoher Eigenverantwortlichkeit, einer autonomen Steuerbehörde, einer fiskalischen Dezentralisierung, einem unabhängigen Rechnungshof und der Förderung der Frauen wesentlich besser vorankommt als die meisten anderen Staaten in Afrika. Die Weltbank zeichnete Ruanda in ihrem jährlichen "Doing Business"-Bericht zum zweiten Mal in Folge als weltweit führenden Reformer aus.
Hervorragend ist die Initiative der Deutschen Wirtschaft SAFRI vom Afrika-Verein (AV), dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und dem Deutschen Industrie- und
Handelskammertag (DIHK), die im südlichen Afrika junge Unternehmer und Manager in moderner Unternehmensführung ausbildet. Den richtigen Weg weist auch das "10 000-Frauen-Programm" von Goldman Sachs, das benachteiligten Frauen aus Entwicklungsregionen eine betriebswirtschaftliche Ausbildung finanziert. Diese Förderung entspricht einer der wichtigsten Beobachtungen in Afrika: die Kluft zwischen der Tüchtigkeit
vieler Frauen und der häufigen Trägheit bei Männern.
Vor der Afrikanischen Union in Addis Abeba im Juni 2011 beendete USAußenministerin
Hillary Clinton ihre Rede mit dem großartigen Satz: "Wenn alle afrikanischen Frauen, vom
Kap bis Kairo, sich entschlössen, eine Woche nicht zu arbeiten, würde die gesamte Wirtschaft des Kontinents wie ein Kartenhaus zusammenfallen."