Beitrag vom 01.02.2012
Handelsblatt
Der Traum vom "Afro" soll dem Kontinent helfen
von Wolfgang Drechsler
Afrikas Wirtschaft gilt nicht gerade als Erfolgsgeschichte. Doch inzwischen trauen einige Experten dem Kontinent zu, den Aufstieg Asiens zu kopieren. Allerdings sind bis dahin noch einige Probleme zu lösen.
In der neuen Zentrale der Afrikanischen Union in Addis Abeba träumt man von einer Gemeinschaftswährung.
Wenn die Gipfeltreffen der Afrikanischen Union (AU) ein verlässlicher Anhaltspunkt für den Zustand des Kontinents wären, müsste Afrika boomen: Pomp, Pathos und teure Limousinen bestimmten im äthiopischen Addis Abeba zu Wochenbeginn das Bild. Die Staats- und Regierungschefs trafen sich zum ersten Mal in einem nagelneuen, 200 Millionen Dollar teuren Konferenzgebäude, das von Chinesen gebaut worden war.
Um den schönen Schein zu wahren, packten die afrikanischen Führer die heiklen Themen gar nicht erst an - die schweren Unruhen in Nigeria etwa, die blutigen Stammeskämpfe im erst vor sechs Monaten unabhängig gewordenen Südsudan oder die angespannte Lage im Senegal und in Somalia.
Stattdessen beschworen sie den Jahrzehnte alten Traum einer einzigen afrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft mit einem "Afro" als Gemeinschaftswährung. Bereits in fünf Jahren will Afrika nach Bekunden des stellvertretenden AU-Vorsitzenden Erastus Mwecha das Ziel einer Freihandelszone erreichen: "Wenn unsere Pläne bis dahin umgesetzt werden, erwarte ich binnen eines Jahrzehnts eine Verdoppelung des innerafrikanischen Handels", sagte der Kenianer voller Optimismus.
Viele Fondsmanager, Investmenthäuser und Unternehmensberater teilen die Zuversicht für Afrikas wirtschaftliche Entwicklung. Die Strategieberater von AT Kearney etwa schrieben in einer Studie, dass es für viele Firmen nicht länger darum ginge, ob, sondern allein wo und wie sie nach Afrika gingen. Ernst & Young prognostizierte, dass Afrika auf der Entwicklungskurve 30 Jahre hinter China und 20 Jahre hinter Indien liege und dass diese beiden Länder schon bald einfache Produktionsprozesse nach Afrika auslagerten.
Die Hindernisse für eine afrikanische Erfolgsgeschichte sind aber hoch. Wie hoch, zeigt sich bereits daran, dass der Anteil des innerafrikanischen Handels am Gesamthandel des Kontinents 2010 bei lediglich zwölf Prozent lag. In Asien liegt der Anteil des regionalen Warenaustauschs bei mehr als 50 Prozent, in Europa sogar bei gut 70 Prozent. Selbst für Südafrika ist der eigene Kontinent wirtschaftlich kaum von Bedeutung: Das einzige Industrieland wickelt rund 85 Prozent des Handels mit Partnern außerhalb Afrikas ab. Da verwundert es nicht, dass der Kontinent insgesamt kaum zwei Prozent zur weltweiten Wirtschaftsleistung beiträgt.
Es fehlen Facharbeiter und sogar Strom
Als weiteres Ziel hat sich die AU gesetzt, künftig mehr verarbeitete Waren zu produzieren, statt die Welt nur mit Rohstoffen zu beliefern. Allerdings fehlen zur Veredelung der Bodenschätze fast überall in Afrika nicht nur die Facharbeiter, sondern auch der notwendige Strom - selbst in Südafrika, wo auch in diesem Jahr wieder Stromabschaltungen drohen. Hinzu kommen eine völlig ineffiziente Bürokratie und die miserablen Verkehrswege: Mit Ausnahme von Südafrika und Namibia fehlt fast überall ein grundlegendes Schienen- und Straßennetz.
Kaum erwähnt wird in den vielen optimistischen Szenarien zudem, dass die vermeintlich hohen Wachstumsraten der vergangenen Jahre auf einer extrem niedrigen Basis gründen und sich in fast allen Ländern fast nur aus dem Export eines einzigen Rohstoffs speisen, etwa Öl, Platin, Gold oder Diamanten.
Mit Besorgnis registriert denn auch der jüngste Afrika-Report der OECD, dass fast drei Viertel aller privaten Auslandsinvestitionen in die Öl- und Bergbauländer des Kontinents geflossen seien. Dazu zählen Nigeria, Angola, Südafrika, Libyen und Ägypten.
Afrika produziert bislang außer Souvenirs, Kleidung und ein paar Agrarprodukten kaum etwas für den Weltmarkt. Stattdessen füllen heute in vielen Ländern Importe aus Asien die Regale, darunter Laptops, Handys, Pfannen, Maschinen oder auch Textilien. Und der Anteil der Industrieproduktion am Bruttosozialprodukt des Kontinents sinkt weiter: In den vergangenen 20 Jahren ging er von 15 auf zehn Prozent zurück - was darauf hindeutet, dass sich der Kontinent de-industrialisiert.
Das schwächt auch die Kaufkraft der Menschen. Zwar steigt inzwischen dank einer kleinen, konsumfreudigen Elite die Binnennachfrage geringfügig. Es wäre aber vermessen, bereits von einer wirklichen Mittelschicht zu sprechen. Die breite Masse der Afrikaner ist selbst im Aufschwung bitterarm geblieben, weil das durch die Rohstoffexporte eingenommene Geld in den Taschen einer kleinen Machtelite verschwindet.
Gleichzeitig steigt die Bevölkerungszahl unaufhörlich - von derzeit 1,1 auf rund zwei Milliarden Menschen im Jahr 2050. Besonders stark ist das Wachstum ausgerechnet in den Hungergebieten des Sahel und am Horn von Afrika. Wie diese Menschen später Arbeit und Lohn finden sollen, ist völlig unklar.