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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 27.01.2012

FAZ

Minister Niebel und der Aufstand der Unbeförderten

Dirk Niebel ist ein alter Streiter. Derzeit kämpft er gegen den Eindruck, er versorge in seinem Entwicklungsministerium einige FDP-Leute mit Posten.
Von Peter Carstens, Berlin
Dirk Niebel, der ehemalige Generalsekretär der FDP, hatte nach der Bundestagswahl 2009 das Pech, ein Ministerium zu bekommen, von dem er wenig Ahnung hatte und das seine Partei zuvor hatte abschaffen wollen. Er versucht, daraus im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMWZ) das Beste zu machen - für das Land, für die FDP und natürlich auch für sich. Der mit einem eher derben Humor ausgestattete frühere Fallschirmjäger stellte sich dabei weniger ungeschickt an, als mancher erwartet hatte. Niebel entwickelte echtes Interesse und auch Sachkunde. Während sein Parteivorsitzender Westerwelle im Auswärtigen Amt noch auf natürlichen Amtsglanz und schöne Reisebildung hoffte, warf Niebel sich arbeitswütig und kämpferisch in das neue Fachgebiet. Anfangs begleitete ihn dabei der Hohn des Wirtschaftsflügels seiner eigenen Partei, der vermutete, dass Niebel in seinem Ministerium nichts tun könne, um die FDP-Wähler vom September 2009 zu beeindrucken. Bald jedoch wurde Niebel in seiner Partei als einer der wenigen wahrgenommen, die überhaupt noch einen Eindruck hinterlassen.
Seine Erfolge bei der Neuordnung der Entwicklungspolitik, an der zuvor Union und SPD jeweils gescheitert waren, fanden auch die Wertschätzung der Opposition. Sogar die Linkspartei rang sich eine gewisse Anerkennung ab. Fast alles, so hört man oft, habe die FDP falsch gemacht. Falsche Außenpolitik, falsche Steuerpolitik, Gesundheit sowieso, falscher Parteivorsitzender. Aber naja, immerhin: Niebel.
Die letzte Kerze der FDP
So wurde er unerwartet eine der letzten Kerzen der FDP, die im Dunkel schlimmer Umfragen leuchten. Niebel wäre ein möglichen Nachfolger, falls der gegenwärtige Parteivorsitzende Philipp Rösler stürzt. Kein Wunder also, dass die Opposition der FDP auch dieses Lichtlein noch ausblasen möchte. Da fachpolitisch kaum Anhaltspunkte zu finden waren, konzentriert sich insbesondere die SPD darauf, Niebels Personalpolitik im Ministerium zu kritisieren. Seine Abteilungsleiter seien von der FDP, Zeitverträge von vier engen Mitarbeitern würden in feste Stellen umgewandelt. Neue Unterabteilungen sollten, so der Vorwurf, mit "Parteinahen" besetzt werden, wobei als solche in einem konkreten Fall schon gewertet wird, dass die betreffende Frau mit einem Mann verheiratet ist, der der FDP angehört. Zu beobachten ist, dass die FDP sich in einer Art vorgezogenen "Aktion Abendsonne" erkennbar darum bemüht, im Angesicht ihres möglichen Ausscheidens aus dem Bundestag 2013 parteinahe Mitarbeiter zu versorgen. Anfang 2005, hatte die damals oppositionelle FDP die Regierung angegriffen, als von mehr als einhundertfünfzig rot-grünen Vorwahl-Beförderungen die Rede war.
Tatsächlich hat die starke SPD-Betriebskampfgruppe im BMWZ unter Niebel einige Rückschläge verkraften müssen und auch die Union hätte gerne mehr als einen von vier Abteilungsleitern für sich reklamiert. Sie habe "die Befürchtung, dass Unionsleute nicht ausreichend berücksichtigt werden", beschwerte sich die CDU-Abgeordnete Sybille Pfeiffer vor vier Wochen schriftlich bei der Bundeskanzlerin. Merkwürdige Aufregung, denn Ende 2009 waren unter den etwa 587 Ministerialen im BMWZ zwei oder drei mit FDP-Parteibuch bekannt. Heute sind es etwa ein Dutzend. Der Rest ist verteilt unter Sozialdemokraten, Unionsleuten, einigen Grünen und vielen Parteilosen. Dem Personalrat des Hauses, der Niebel zuletzt scharf kritisiert hat, gehört kein einziger Liberaler an.
Es kam Niebel
Um das alles zu verstehen, hilft ein Blick in die rot leuchtende Vergangenheit des BMWZ und das Wissen darum, dass die FDP bis 1998 drei Jahrzehnte lang das Außenministerium innehatte, das außenpolitisch wirksame Entwicklungshilfeministerium aber seit 1966 ununterbrochen von SPD oder Union geführt und parteipolitisch bestimmt worden war. Alle nahmen an, es würde 2009 so kommen: Die FDP erhält das Außenministerium, die Union das Entwicklungsministerium. Die SPD hatten ihre Leute vor dem Wahltag versorgt, die Union machte sich zur Wiederübernahme bereit, mögliche Ministernamen wurden genannt: Ramsauer, Aigner, Söder. Es kam anders. Es kam Niebel.
Seither hat es der FDP-Politiker im Hause jenseits des fachpolitisch geprägten Alltags mit einer Art Zweifrontenkampf zu tun - gegen enttäuschte Unionsleute und gegen verbliebene Sozialdemokraten. Im Frühherbst des Jahr 2009 war die entwicklungspolitische Welt der SPD noch in Ordnung. Das Ministerium verfügte über einen Etat von 5,7 Milliarden Euro, mehr als das Innenministerium mit sämtlichen Unterbehörden und etwa 40000 Polizisten. Der Etat des kleinen Hauses ist doppelt so groß wie der des Auswärtigen Amtes. Die SPD-Politikerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, die man in Nah und Fern "die rote Heidi" nennt, konnte zehn Jahre lang über diese Milliarden vergleichsweise frei verfügen und damit auch revolutionäre Bewegungen in aller Welt fördern - China, Bolivien und natürlich Nicaragua.
Drei Chefs der Gesellschaft
Es gab viele Möglichkeiten, soziale und auch klassenkämpferische Bestrebungen zu unterstützen, und sie wurden genutzt. Das Ganze trat auf als "Kernbereich der Friedenspolitik der deutschen Bundesregierung" (Wieczorek-Zeul). Tanztherapeuten für traumatisierte Bürgerkriegsopfer, Fahrlererinnen für Afghanistan - von den Geldern des Ministeriums lebten auch linke Traumtänzer und lebt eine ganze Hilfsindustrie. Merkmal dieser Art des weltweiten Engagements war es zudem, den Namen "Deutschland" möglichst herauszuhalten. "Deutschland", das klang fürs linke Ohr irgendwie belastet. In die armen Gegenden der Welt, wohin Hunderte von Millionen Euro flossen, kannte man die Bundesrepublik deshalb nur unter dem Namen und dem Logo der "GTZ", der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit. Wo andere Natonen ihre Fahnen zeigten, präsentierte Deutschland das GTZ-Logo.
Die drei Chefs der Gesellschaft verdienten jeweils hunderttausend Euro mehr im Jahr als die Ministerin. Es hieß, die Organisation halte sich ein Ministerium. Versuche, das Hilfe-Imperium unter die Kontrolle der politischen Leitung zu bringen waren regelmäßig gescheitert. Niebel änderte das, ebenso wie das unfreundliche Nebeneinander von Bundeswehr und Entwicklungshilfe in Afghanistan, das zur Verschlechterung der Lage dort beigetragen hat, aber von einer Friedens-Ministerin gewollt war, die nichts mit den deutschen Soldaten zu tun haben wollte.
"Unangemessener Tonfall"
Außerdem gab es immerzu Posten in internationalen Organisationen - von der Weltbank bis zu den Vereinten Nationen, die über das Ministerium zu besetzen waren. Zu den Partnern des Hauses gehören traditionell auch kirchennahe Hilfsorganisationen, die zwar unter den Vorgängern Wieczorek-Zeuls in den achtziger und neunziger Jahren der jeweils christlich-sozialen Hausleitung politisch etwas näher gestanden hatten, durch ihre fortdauerndeVernetzung in das Ministerium hinein aber ganz gut gegen Rückschläge abgesichert waren. Jedenfalls glaubten sie das lange Zeit.
Denn mehr und mehr durchdrang die hessische SPD-Politikerin in den Jahren zwischen 1998 und 2009 das Haus und das machte sich auch in ihren rauen Umgangsformen bemerkbar. 2007 klagte der Personalrat des Ministeriums, dass die Besetzung von Abteilungen ausschließlich nach parteipolitischen Kriterien und "aus dem unmittelbaren dienstlichen oder persönlichen Umfeld" der Ministerin erfolge. Parteipolitische Nähe werde höher bewertet als objektive Qualifikation. Die Ministerin befleißige sich eines "unangemessenen Tonfalls" monierte der Personalrat 2008, der Frau Wieczorek-Zeul im zehnten Jahr ihrer Amtszeit in einem Gespräch darüber zu belehren hatte, dass "eine angemessen Tonlage im Haus mit Kolleginnen und Kollegen unabdingbar ist". Das klang nicht nach einem solidarisch-friedenspolitischen Betriebsklima. Und wem nach dem roten Jahrzehnt noch nicht klar war, wo die "Internationale" gesungen wird, dem blies unmissverständlich ein Aufkleber an der Türe zum Büroflur ihres sozialdemokratischen Staatssekretärs den Marsch. Darauf stand zu lesen: "In diesem Haus wird SPD gewählt".
Der Kampf gegen die Attitüde
Parteifreundinnen der Ministerin aus dem SPD-Bezirksverband Hessen-Süd wurden plötzlich Unterabteilungsleiterinnen, ein anderer Südhesse, so wurde geschimpft, fände sich wieder als Vorsitzender des OECD-Entwicklungsausschusses in Paris. Ein verdienter Zeitvertragsmitarbeiter und Pressesprecher der Ministerin sei kurz vor dem Auslaufen seines Vertrages nach New York gelobt worden. Ein anderer enger Mitarbeiter der "roten Heidi" ging erst nach Rom, wurde dann mit über fünfzig Jahren noch verbeamtet und dann auf einen schönen Posten nach Neu-Delhi entsandt. Der Personalrat sprach 2008 von "Fehlentwicklung in der Personalpolitik des Hauses", es sei zu befürchten, das Ministerium "degeneriere" zu einem "Versorgungswerk" der SPD.
Mit denselben Worten kritisiert die SPD nun Niebel. Der Minister, den seine Anfangserfolge wohl etwas unvorsichtig haben werden lassen, reagiert darauf undiplomatischen. Als ihm neulich in einem Interview die Berliner "Tageszeitung" vorwarf, er versuche die Spuren seiner Vorgängerin im Ministerium zu tilgen, entgegnete der ehemalige Generalsekretär barsch: "So weit bin ich noch nicht". Solche Äußerungen haben nicht zur Deeskalation beigetragen. Anfangs hatte Niebel sich über die Vorwürfe amüsiert und beispielsweise auf seinen Büroleiter hingewiesen. Der heiße Grün und gehöre der SPD an. Inzwischen kämpft der Minister mit einer gewissen "Jetzt-erst-recht"-Attitüde.
Bundeskanzlerin Merkel reagierte vergangene Woche auf die Niebel-Diskussion. Über ihren Sprecher ließ sie ausrichten, "dass der Bundesminister sein Ministerium ausgesprochen erfolgreich führt." Er habe wichtige Reformvorhaben umgesetzt. "Wie er sein Ministerium intern organisiert, das ist Teil der Ressortautonomie. Es ist im Übrigen ein normaler Vorgang, dass ein Bundesminister die Organisation seines Hauses so gestaltet, auch neu gestaltet, wie er es für die Erfüllung der Aufgaben seines Hauses für zweckmäßig hält." Die SPD will das nicht hinnehmen. Ihr entwicklungspolitischer Sprecher Sascha Raabe hat wegen einer angeblich unrechtmäßigen Stellenbesetzung Niebels am Donnerstag Anzeige erstattet und seinen Rücktritt verlangt. Raabe gehört, wie zufällig, zum Vorstand von Wieczorek-Zeuls einstiger Machtbasis, dem SPD-Bezirk Hessen-Süd.