Beitrag vom 02.01.2012
FAZ
Vom Geben und Nehmen
China zahlt in den vergangenen Jahren immer mehr Entwicklungshilfe - doch unklar ist, zu welchem Preis / Von Till Fähnders
PEKING, 1. Januar. An einem Samstagabend vor ziemlich genau zwei Jahren startete eine Spezialmaschine vom Flughafen Phnom Penh in Richtung China. An Bord des Flugzeugs waren 20 Flüchtlinge, Angehörige der muslimischen Uiguren, eines Volkes, das in Xinjiang im Nordwesten Chinas beheimatet ist. Peking warf ihnen vor, an gewalttätigen Unruhen im Juli 2009 in Xinjiangs Hauptstadt Urumtschi beteiligt gewesen zu sein, und verlangte ihre Auslieferung. Westliche Regierungen und Menschenrechtler protestierten gegen die Rückführung, da den Uiguren in China Folter und die Todesstrafe drohten. Sie wurden nicht erhört. Dafür wurden die Kambodschaner für ihr Entgegenkommen offenbar großzügig entschädigt. Nur zwei Tage nach der Auslieferung der Uiguren reiste Chinas Vizepräsident Xi Jinping nach Phnom Penh. Er unterschrieb Vereinbarungen über Kredite, Zuwendungen und Infrastruktur für Kambodscha in Höhe von 1,2 Milliarden Dollar. Obwohl beide Seiten einen Zusammenhang dementierten, hielten viele ihn doch für unübersehbar.
Für Kritiker der chinesischen Entwicklungshilfe ist die Episode deshalb ein Beispiel dafür, wie die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ihren Einfluss nutzt und unter welchen politischen Gesichtspunkten sie ihre Hilfe verteilt. Diese Fragen bekommen zunehmend Bedeutung, da China zu einem wichtigen Geberland von Entwicklungshilfe weltweit geworden ist. Nach Berechnungen der "Financial Times" soll China in den vergangenen zwei Jahren mit 110 Milliarden Dollar schon mehr Geld an Entwicklungsländer verliehen haben als die Weltbank. Einem im April veröffentlichten Weißbuch der Regierung nach hat die Volksrepublik bis Ende 2009 insgesamt 256,29 Milliarden Yuan (umgerechnet 31 Milliarden Euro) Entwicklungshilfe geleistet. Allerdings gibt es erhebliche Zweifel an den jeweiligen Zahlen. Peking veröffentlicht selbst keine genaueren Daten, auch nicht nach jeweiligen Empfängerländern gestaffelt. Oft ist zudem unklar, ob es sich bei dem, was als Entwicklungshilfe deklariert wird, nicht teilweise um normale Investitionen und Kredite zu Marktpreisen handelt.
Weil aber zumindest ein Teil der chinesischen Hilfe an Militärregimes und Diktaturen fließt, wird die Pekinger Vergabepolitik im westlichen Diskurs häufig als "Schurkenhilfe" bezeichnet. China stellt, anders als die westlichen Länder und der IWF, offiziell keine politischen Bedingungen an die Empfängerländer. Wie in der Außenpolitik verfolgt die Volksrepublik China in der Entwicklungshilfe eine Politik der "Nichteinmischung". Während die EU ihre Entwicklungshilfe in Zukunft noch stärker von dem Demokratisierungsgrad eines Landes abhängig machen will, kümmert sich China also nicht um Dinge wie politische Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen in den Empfängerländern. Damit wird die westliche Hilfe in vielen Fällen konterkariert. Darüber hinaus gibt es weitere Kritikpunkte. Kopfschmerzen bereite ihr etwa die Vorstellung, dass die Spielregeln, die in China selbst gelten, mit der Entwicklungshilfe in andere Länder transferiert werden, sagt Sarah Cook, Asien-Spezialistin der Organisation Freedom House. Bei chinesischen Projekten gelten etwa niedrigere Standards bei Umweltschutz, Sozialverträglichkeit und Arbeitsbedingungen.
Die Auswirkungen dürften besonders in Ländern wie Kambodscha schwerwiegend sein, in denen es an Rechtsstaatlichkeit und Institutionen im Kampf gegen Korruption fehle, sagt Sarah Cook. Sie würden sich aber auch in Ländern wie Sambia bemerkbar machen, in denen sich gerade erst eine Demokratie entwickle. Nach verbreiteter Ansicht dienen Pekings Hilfeleistungen zudem vor allem den eigenen Rohstoffinteressen und nicht einer längerfristigen Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in den jeweiligen Ländern. Vor allem in Afrika wirft man den Chinesen deshalb häufig Neokolonialismus vor. Als vor kurzem die amerikanische Außenministerin Clinton auf einer Entwicklungshilfe-Konferenz in Südkorea vor Gebern warnte, die vor allem daran interessiert seien, ihre Ressourcen auszubeuten, schien klar, dass sie damit vor allem China meinte. Allerdings gibt es Widersprüche gegen diese Darstellung, nicht nur in der Volksrepublik selbst. "Ich denke, dass das zu kurz greift und nicht die Gesamtheit der chinesischen Entwicklungshilfe widerspiegelt", sagt der deutsche Ökonom Andreas Fuchs.
In einem Forschungspapier haben sich Andreas Fuchs und sein Kollege Axel Dreher von den Universitäten Göttingen und Heidelberg an einer Analyse des verfügbaren Zahlenmaterials zur chinesischen Entwicklungshilfe versucht. Die beiden Wissenschaftler fanden überraschenderweise keinen Nachweis, dass sich Chinas Hilfe besonders stark nach den Rohstoffinteressen oder der Art der Regierungsführung in einem Land richte. Sie kamen außerdem zu dem Ergebnis, dass politische Interessen bei der chinesischen Entwicklungshilfe zwar eine wichtige Rolle spielen, allerdings nicht mehr und nicht weniger als bei der Hilfe anderer Länder. "Das findet man in der westlichen Entwicklungshilfe genauso", sagt Andreas Fuchs. Als positiv werde außerdem angesehen, dass die chinesische Hilfe schnell und unbürokratisch bereitgestellt werde. Auch der Fokus auf Infrastruktur sei ein positiver Aspekt der Entwicklungshilfe aus China. Zudem bemühe sich Peking zumindest teilweise um die Instandhaltung der Infrastruktur nach ihrer Fertigstellung.
Demnach wäre Chinas Entwicklungshilfe besser als ihr Ruf. So findet auch die amerikanische Wissenschaftlerin Deborah Brautigam, dass "Schurkenstaaten" wie Sudan und Zimbabwe nur relativ wenig Entwicklungshilfe von China bekämen. Dafür könnten die armen Länder von den Erfahrungen Chinas mit seiner eigenen Entwicklung profitieren. Peking selbst versteht sein Engagement jedenfalls als Hilfe zwischen Brüdern, als Süd-Süd-Hilfe von Entwicklungsland zu Entwicklungsland. Schon ein Jahr nach Gründung der Volksrepublik hatte Mao Tse-tung die sozialistischen Nachbarn Nordkorea und Nordvietnam materiell unterstützt. Seit den sechziger Jahren schickt China Ärzteteams auf fast alle Kontinente. Traditionell liegen die Schwerpunkte auf dem Bau von Infrastruktur, Krankenhäusern und Sportstätten sowie der Agrarhilfe. Als größtes Einzelprojekt dürfte nach wie vor der Bau der fast 2000 Kilometer langen Tansania-Sambia-Eisenbahn in den siebziger Jahren gelten. Zur damaligen Zeit hatte die chinesische Süd-Süd-Hilfe einen Anteil daran, dass die Volksrepublik mit Hilfe afrikanischer Länder an Taiwans Stelle in die Vollversammlung der Vereinten Nationen gewählt wurde.
Nach 30 Jahren wirtschaftlicher Erfolgsgeschichte wolle China die Früchte seiner Arbeit nun auch mit den anderen Entwicklungsländern teilen, sagt der Professor Pang Zhongying von der Pekinger Volksuniversität. Doch trotz des differenzierten Bildes, das sich bei einer näheren Betrachtung der Entwicklungshilfe Chinas ergibt, wäre es wohl zu kurz gegriffen, die Volksrepublik nun als "verkannten Wohltäter" darzustellen. Denn mit seinen Hilfeleistungen hat die Führung in Peking einen Hebel in die Hand bekommen, den sie auch einsetzen wird, wenn sie zum Beispiel ihre nationalen Interessen betroffen sieht. Schon jetzt ist die chinesische Hilfe stärker an politische Bedingungen geknüpft, als es die offizielle Rhetorik von der "Nichteinmischung" nahelegt. Wie auch die deutschen Forscher Dreher und Fuchs feststellten, spielt bei den chinesischen Zuwendungen etwa die Frage eine Rolle, ob ein Land Taiwan, das von China als abtrünnige Provinz angesehen wird, anerkennt oder nicht.
Eine andere Art von Bedingung sei die Art und Weise, in der China seine Projekte durchführt, sagt Andreas Fuchs. In vielen Fällen handele es sich um "gebundene" Hilfe, es seien also chinesische Firmen, die die Projekte durchführten, es würden chinesische Produkte benutzt und Arbeiter eingesetzt, die aus China kommen.
Die Geschichte von der Auslieferung der uigurischen Flüchtlinge aus Kambodscha zeigt außerdem noch eine andere Dimension der Einflussnahme. Fast schon systematisch sei die Art, mit der Peking Druck auf die Regierungen anderer Länder ausübe, die dortigen Kritiker Chinas und der regierenden Kommunistischen Partei mundtot zu machen, sagt Sarah Cook von Freedom House. In Nepal, das viel Hilfe aus Peking bekommt, würden die dortigen Tibet-Flüchtlinge wachsenden Restriktionen ausgesetzt. Auch aus Pakistan und Kasachstan wurden Uiguren an China ausgeliefert, so wie aus Kambodscha vor zwei Jahren. Von den Uiguren, die damals von Phnom Penh zurück nach China geflogen wurden, fehlt übrigens seither jede Spur.