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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 12.12.2011

Spiegel-Online

12. Dezember 2011

Niebel/Westerwelle-Reform
Teures Gutachten bleibt vorerst unter Verschluss

Von Severin Weiland

Das Auswärtige Amt will vom Entwicklungsministerium einen Großteil der Millionen aus der Not- und Übergangshilfe übernehmen. Seit kurzem liegt ein Gutachten vor, dass die Arbeit der deutschen Maßnahmen untersucht hat - und das bislang nicht in die Planungen mit einbezogen wurde.

Berlin - Die Studie trägt den unscheinbaren Titel "Evaluierung der deutschen humanitären Hilfe im Ausland". Sie hat 680.000 Euro gekostet und wurde federführend vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt (AA) in Auftrag gegeben.

Das teure Gutachten, bezahlt aus dem Topf des BMZ und in beiden Häusern seit kurzem auf dem Tisch, bleibt jedoch vorerst unter Verschluss. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen hervor. Dabei könnte das Werk durchaus Bedeutung erlangen, wenn es in nächster Zeit um die geplante Kooperation zwischen AA und BMZ geht, die die beiden Minister Guido Westerwelle und Dirk Niebel (beide FDP) anstreben. Diese Woche steht das Thema im Ausschuss für Entwicklungshilfe und dem Auswärtigen Ausschuss des Bundestags auf der Tagesordnung. Doch das Gutachten erhalten die Abgeordneten erst viel später - nach "Fertigstellung und Auswertung des Evaluierungsberichts", wie es in der Antwort heißt.

Dabei gibt es durchaus fachlichen Beratungsbedarf bei den Abgeordneten. Denn AA und BMZ wollen mehrere Aufgaben gegenseitig tauschen beziehungsweise neu zuschneiden. Das Großprojekt im Westerwelle/Niebel-Plan: Die bisher im BMZ beheimatete "Entwicklungsorientierte Not- und Übergangshilfe" soll aufgelöst, das AA aus dem bisherigen Topf des BMZ von 129 Millionen Euro allein 95 Millionen erhalten. Künftig will das Auswärtige Amt, bisher für humanitäre Hilfe zuständig, die Aufgabe bewältigen.

Doch noch bevor das vor längerer Zeit bestellte Gutachten überhaupt ausgewertet ist, hatten Westerwelle und Niebel den neuen Zuschnitt in einem Kooperationsabkommen bereits vereinbart. Sie zogen sich damit den Ärger aller Haushälter zu - parteiübergreifend.

Nun wird auch der fachliche Sinn und Zweck der Aktion diskutiert. Der Grünen-Entwicklungspolitiker Thilo Hoppe erklärt, in dem gesamten Tauschgeschäft sei keine überzeugende inhaltliche Linie zu erkennen. "Es ist ein Kuhhandel ohne Sinn und Verstand", ärgert er sich. Der langjährige Kenner der Materie fordert: Die entwicklungsorientierte Not- und Übergangshilfe müsse unbedingt im BMZ bleiben. "Denn gerade sie ist nur sinnvoll, wenn sie gut mit der mittel- und langfristig angelegten Entwicklungszusammenarbeit verzahnt wird", sagt Hoppe. In diese Richtung wiesen wohl die Zwischenergebnisse der umfangreichen Studie, so der Grüne.

Westerwelle verteidigt Übernahme

In der schriftlichen Antwort des BMZ auf die Anfrage des Grünen-Abgeordneten heißt es, das Gutachten der "einschlägig qualifizierten Beratungsunternehmen" Channel Research und der AGEG International Consulting Services befinde sich derzeit in der Endabstimmung, die Fertigstellung sei bis Mitte Januar 2012 vorgesehen. "Eine abschließend fundierte Bewertung der Evaluierungsergebnisse durch die Bundesregierung im Zusammenhang mit der jüngsten Vereinbarung zwischen BMZ und AA wird nach Fertigstellung des Evaluierungsberichts erfolgen", so die Antwort der parlamentarischen Staatssekretärin im BMZ, Gudrun Kopp (FDP).

Das aber empört Hoppe. "Dass Westerwelle und Niebel die Ergebnisse dieser Studie nicht abwarten und nutzen, sondern auf blauen Dunst hin umfangreiche Kompetenzverschiebungen vereinbaren, ist ein Skandal", sagt der Grünen-Politiker. "Da werden Steuergelder zum Fenster rausgeschmissen und Mitwirkungsrechte sowohl der Haushalts- als auch der Fachpolitiker mit Füßen getreten", erklärt der Grüne.

Westerwelle hatte jüngst die Zusammenlegung der Nothilfe im Plenum des Bundestags vehement verteidigt. Bislang sei bei Katastrophen das AA für "das Kochgeschirr" zuständig, das BMZ hingegen für "die Nahrung." Ob der Außenminister und sein früherer FDP-Generalsekretär Niebel ihren Plan jedoch vollständig umsetzen können, ist noch offen. Sie brauchen dazu die Zustimmung des Bundesfinanzministeriums - das von der Aktion der beiden Minister genauso überrascht wurde wie die Haushälter von Union und FDP. Zudem müssen beide Minister noch mit dem Haushaltsausschuss "Einvernehmen" über jeden geplanten Neuzuschnitt ihrer Ressorts erzielen.