Beitrag vom 07.09.2011
ef - eigentümlich frei
Entwicklungshilfe: Vom Guten, das stets das Böse schafft
von Ralph Janik
Eine kurze Problematisierung
Dieser Tage wird Österreich dafür kritisiert, in der Rangliste der Entwicklungshilfe zahlenden Staaten zurückgefallen zu sein - die Rangliste richtet sich nach den Ausgaben für Entwicklungshilfe gemessen am BIP. Auch scheint die Alpenrepublik sich dabei, wie bei so vielem, am großen Nachbarn Deutschland zu orientieren, der in der Rangliste der Entwickungshilfe-Ausgaben mit 0,38 Prozent des BIP 0,6 Prozentpunkte mehr ausgibt und somit einen Platz vor Österreich liegt, womit beide Länder das von der UNO festgelegte Ziel von 0,7 Prozent des BIP klar verfehlen.
Auf den ersten Blick erscheint die daraus resultierende Rechnung so einfach wie katastrophal: Weniger Geld bedeutet weniger Hilfe und daraus folgt wiederum mehr Not und Leid für die Ärmsten der Armen.
Doch ist dem so? Ist Entwicklungshilfe wirklich ein geeignetes und wirksames Instrument, denjenigen zu helfen, deren Not am größten ist und ihr Leben zum Besseren zu wenden? Lässt sich mehr Geld von den Reichen mit mehr Wohlstand für die Armen gleichsetzen? Oder ist Entwicklungshilfe ein Beispiel für den Kurt Tucholsky zugeschriebenen Aphorismus, dass das Gegenteil von gut nicht böse, sondern gut gemeint ist?
Gewiss, derartige Fragen sind ebenso wenig zufriedenstellend zu beantworten wie sie moralisch aufgeladen sind. Doch sind es oftmals aus den mit Entwicklungsgeldern bedachten Staaten stammende Stimmen, die sich dieser gegenüber kritisch äußern sind und sogar ihr Ende fordern.
Eine dieser Stimmen ist etwa die aus Sambia stammende Ökonomin Dambisa Moyo. In einem Interview mit der "Weltwoche" aus dem Jahr 2009 wies sie darauf hin, dass die Entwicklungshilfe versagt und die Empfänger ärmer denn je gemacht habe:
"Als Anfang der sechziger Jahre die Entwicklungshilfe startete, waren ihre Ziele, das Wirtschaftswachstum zu steigern und die Armut zu reduzieren. Doch alle Programme haben hinsichtlich dieser Messgrößen versagt. In den vergangenen fünfzig Jahren sind mehr als zwei Billionen Dollar Hilfe von den reichen an die armen Länder geflossen. Dennoch steht Afrika heute schlechter da als vor fünfzig Jahren. Lebten damals nur 10 Prozent der Einwohner unter der Einkommensgrenze von zwei Dollar, so sind es heute 70 Prozent. Während der letzten dreißig Jahre sank das Wirtschaftswachstum jährlich um 0,2 Prozent."
Dabei handle es sich nicht um ein regionales oder afrikanisches Phänomen; vielmehr habe Entwicklungshilfe "nirgendwo auf der Welt wirtschaftlichen Aufschwung gebracht", wie sie in ihrem Bestseller "Dead Aid" betont. Entwicklungshilfe sieht sie somit als das Grundursache für den wirtschaftlichen Misserfolg der meisten afrikanischen Staaten:
"Die Frage ist nicht, warum diese Länder nicht weiter sind, trotz der jahrzehntelangen Entwicklungshilfe. Die Antwort ist: wegen ihr. Das fundamentale Problem ist, dass die Entwicklungshilfe keine Jobs geschaffen hat, sondern das Gegenteil bewirkte, sie zerstörte. Entwicklungshilfe produziert Inflation, Schulden, Bürokratie und Korruption. In ein solches Land wollen Unternehmer nicht investieren und dort Jobs schaffen. Machen Sie ein Land abhängig von Hilfe, dann nehmen Sie die Karotte weg und den Prügel: Niemand wird bestraft, wenn er nicht innovativ ist, denn die Hilfe fließt trotzdem. Und niemand wird belohnt, wenn er sich anstrengt."
Daher bezeichnet sie Entwicklungshilfe sogar als "tödlich", indem sie sie in einem Zusammenhang mit den Kriegen in Afrika setzt:
"Wohin hat die Entwicklungshilfe geführt? In den Neunzigern gab es in Afrika mehr Kriege als auf der ganzen Welt zusammen. In den letzten sechs Monaten allein sind vier weitere Kriege ausgebrochen. Es gibt Millionen von Menschen in Afrika, die heute ärmer sind als noch vor fünfzehn Jahren. Über 60 Prozent der Bevölkerung sind unter 24 Jahre alt. Diese Leute wollen arbeiten. Sie haben aber keine Möglichkeiten, da Entwicklungshilfe verhindert, dass Jobs geschaffen werden."
Eine andere kritische Stimme aus Afrika ist der kenianische Ökonom James Shikwati, der sich in einem aus dem Jahr 2005 stammenden Interview mit dem "Spiegel" in ähnlicher Form über das gescheiterte Konzept der Entwicklungshilfe äußerte. Auch er gelangt zu der Feststellung, dass gerade jene Länder, die in den letzten 40 Jahren die meiste Entwicklungshilfe erhalten hatten, heute am schlechtesten dastehen und sieht sie ebenfalls als Problem und nicht als Teil der Lösung:
"Es werden riesige Bürokratien finanziert, Korruption und Selbstgefälligkeit gefördert, Afrikaner zu Bettlern erzogen und zur Unselbständigkeit. Zudem schwächt die Entwicklungshilfe überall die lokalen Märkte und den Unternehmergeist, den wir so dringend brauchen. Sie ist einer der Gründe für Afrikas Probleme, so absurd das klingen mag."
Diese Beobachtungen decken sich mit jenen des US-amerikanischen Ökonomen William Easterly. Dieser belegt in seinem mit der Entwicklungshilfe und den dazugehörigen Wirtschaftsprogrammen hart ins Gericht gehenden Werk "The White Man's Burden" (deutscher Titel "Wir retten die Welt zu Tode"), dass durch diese im Endeffekt das Geld von den Regierungen, die ihr Geld am besten ausgeben, zu jenen wandert, die damit am schlechtesten umgehen - womit es nicht weiter verwunderlich ist, wenn es die eigentlichen Zieladressaten nie erreicht.
Shikwati problematisiert im Zusammenhang mit einem der schwerwiegendsten Effekte der Entwicklungshilfe, dem Zerstören des Arbeitsmarktes und damit der Volkswirtschaft, selbst Hilfsmaßnahmen bei drohenden Hungersnöten; denn im Moment seien diese ein Glücksfall für die korrupten Politiker des Kontinents, die stets mehr Nahrung aus dem Ausland erhalten als notwendig; ein Teil von diesen Lieferungen werde von den Politikern dazu verwendet, um sich die Zustimmung des jeweiligen Stammes zu erkaufen. Der Rest lande auf dem Schwarzmarkt, wobei die einheimische Nahrungsmittelindustrie chancenlos sei, mit dieser Flut an Nahrungsmitteln zu Dumpingpreisen zu konkurrieren, was die Vernichtung zahlreicher Arbeitsplätze zur Folge habe. Hinzu komme, dass dadurch die nächste Nahrungsmittelknappheit aufgrund des zerstörten oder non-existenten Agrarsektors und des damit einhergehenden Nicht-Anlegens von Reserven vorprogrammiert ist - ein teuflischer Kreislauf der Abhängigkeit.
Ein anderer Kritikpunkt im Zusammenhang mit den ökonomischen Folgen bezieht sich auf die unzähligen Sachspenden für Afrika, vor allem in Form von alten Kleidungsstücken, die ins Land strömen, obwohl in Afrika niemand friere; auch diese Spenden zerstören die lokalen Märkte und die Textilindustrie oder lassen sie erst gar nicht entstehen und bringen augenscheinlich perverse Auswüchse mit sich. So beschreibt er, dass Deutsche auf afrikanischen Märkten mit guten Vorsätzen gespendete Fußball-Trikots erwerben, um sie für den dreifachen Preis via Ebay nach Deutschland zurückzuverkaufen.
Vollständiger Artikel:
http://ef-magazin.de/2011/09/07/3175-entwicklungshilfe-vom-guten-das-st…