Beitrag vom 09.09.2011
3SAT Kulturzeit
Sinnlose Hilfe
Ein provokantes Plädoyer gegen Entwicklungshilfe
Dürre, Misswirtschaft und Korruption haben unbeschreibliches Leid über die Menschen in Ostafrika gebracht, ein Ende ist nicht in Sicht. Während die ersten Flugzeuge mit Hilfslieferungen nach Afrika aufbrechen, fordert eine Frau das Ende der Entwicklungshilfe.
Somalia, Äthiopien, Biafra: Wir haben aufgehört die Hungersnöte in Afrika zu zählen. Die Bilder dringen in unsere Köpfe, aber nicht mehr in unsere Herzen. Pakete kommen bei den Hungernden nie an. Entwicklungshilfe ist fragwürdig geworden. Doch was ist die Alternative? Die Menschen verhungern zu lassen? Nein, sagt die Ökonomin Dambisa Moyo. Akute Hilfe sei wichtig. Schädlich sei eine andere Form von Hilfe: die von westlichen Staaten, weil sie unkontrolliert Geld in die Kassen afrikanischer Herrscher spüle. Schluss damit, sagt Moyo und bricht ein Tabu.
Kritik an der Entwicklungshilfe-Industrie
"Ich habe eine Idee, wie wir zum Beispiel Deutschland unter Druck setzen könnten", so Moyo. "Damit kontrolliert wird, wohin das Geld fließt. Wir müssten sagen: Wenn ihr Geld nach Kenia schickt und Kenia Mist baut, dann bekommt ihr zur Strafe einen Haufen Kenianer als Immigranten. Die deutsche Reaktion: 'Okay, okay, wir kontrollieren die kenianische Regierung.'" Von kalten Orten wie dem Sitz der Weltbank in London wird die Hilfe organisiert. Moyo hat selbst für die Weltbank gearbeitet. Heute kritisiert sie die Entwicklungshilfe-Industrie, wie sie sie kennt. Diese Industrie hat eine halbe Million Arbeitsplätze, ist eine anonyme Krake, die sich selbst versorgt. Und wie frei sind afrikanische Regierungen?
"Die Menschen erwarten von Regierungen, dass sie Straßen und Schulen bauen und für die öffentliche Sicherheit sorgen", sagt Moyo. "Wir Ökonomen nennen das 'öffentliche Aufgaben'. In Afrika aber werden diese öffentlichen Aufgaben von der internationalen Gemeinschaft übernommen. Die GTZ baut Schulen, die US-AID errichtet Krankenhäuser, die Britische Difid sorgt zum Beispiel für neue Straßen. Und die afrikanischen Regierungen haben keine Aufgabe mehr."
Westen unterstützte 60 Jahre lang Despoten
Im Jahr 1977 lässt sich Bokassa zum Kaiser krönen und die Welt applaudiert dem Despoten. Moyos These: Seit 60 Jahren erzeugt die westliche Entwicklungshilfe solche Strukturen und erschwert damit die Demokratie. "Überlegen Sie mal, wie Demokratie überhaupt funktioniert", sagt Moyo. "In der Demokratie dürfen Menschen wählen, um zu zeigen, ob sie zufrieden mit ihrer Regierung sind. Wenn aber eine Regierung bedeutungslos ist, wie in vielen afrikanischen Staaten, dann können die Bürger sie auch nicht mehr zur Rechenschaft ziehen." Dambisa Moyo hat mit ihren Thesen einen Bestseller gelandet. Sie spricht aus, was viele sich nicht einmal zu denken trauen, und macht sich Feinde. Der Titel "Dead Aid" ist ein Seitenhieb auf "Live Aid", das größte Wohltätigkeitskonzert aller Zeiten.
Der Initiator Bob Geldof sieht sein Lebenswerk beschmutzt und giftet gegen Moyo, seine Argumente aber sind so hilflos, wie Madonnas lächerliche Aktion. In Stöckelschuhen legte sie 2009 den Grundstein für eine Schule in Malawi, die nie gebaut wird. Mehrere Millionen Dollar wurden versenkt. "Die Stars reisen um die Welt und reden über Krankheit, Armut und Krieg", sagt die Autorin. "Sie haben nichts Positives über Afrika zu berichten. Das finde ich problematisch. Warum sagen sie nicht: 'Seht her, wie hart die Leute auch in Afrika arbeiten. Wir sollten unser Geld in Afrika investieren.' Das ist die Geschichte, die erzählt werden muss."
Afrika kann reich werden
Unser Bild von Afrika ist von zwei Klischees geprägt: Kolonialismus und Elend. Dambisa Moyo fordert die Medien auf, endlich ein neues, ein optimistisches Bild von Afrika zu zeichnen. Denn wer will schon Geld in einen Kontinent investieren, der Bilder vom Elend um die Welt schickt? Geboren wurde Dambisa Moyo in Sambia. Sie studierte Ökonomie in Harvard und Oxford. Sie ist nicht mächtig, doch ihr Wort hat Gewicht. Das "Time Magazine" wählte sie unter die 100 einflussreichten Menschen. Ihre Lösung für Afrika ist die einer Ökonomin. Afrika soll die Endlosspirale der Entwicklungshilfe hinter sich lassen und sich Geld auf dem Kapitalmarkt beschaffen. Dass die Zinssätze astronomisch wären, wischt sie beiseite und behauptet: Afrika kann reich werden, an die Börse gehen. Doch wie realistisch ist dieses Loblied auf den Kapitalismus?
"Es ist ganz egal, ob man die Märkte und den Kapitalismus liebt oder nicht", sagt die Ökonomin. "Fakt ist: Er ist ein Erfolgsmodell. Er hat unseren Lebensstandard verbessert. Alles, was Europa und Amerika bis heute erreicht haben, verdanken sie nun mal dem Kapitalismus." Und dann holt Moyo aus zu einer steilen These: Chinesische Investoren werden Afrika Wohlstand bringen. Afrika habe die Rohstoffe, die China benötige: Öl, Kupfer, Holz, Getreide. Die Fakten scheinen ihr Recht zu geben: Die Chinesen bauen in wildem Tempo eine funktionierende Infrastruktur und schaffen Arbeitsplätze. Die Schattenseiten von Chinas neuem Kolonialstil - Umweltsünden, agressiver Landbau - will Moyo nicht sehen.
China und Afrika
"Die Chinesen sind nicht perfekt", so Moyo. "Sie bringen auch Probleme nach Afrika. Doch es ist nicht ihre Aufgabe, unsere Diktatoren zum Teufel zu jagen. Die westlichen Länder haben damit ein Problem. Sie dachten, sie müssten den Afrikanern Religion oder Demokratie bringen. Sie glauben, sie müssten die inneren Angelegenheiten der afrikanischen Staaten regeln. Natürlich müssen wir uns bewusst machen: Die Chinesen sind nicht da für Afrika, sie sind da für die Chinesen." Moyos Ideen sind gewagt, der Erfolg fraglich, aber ist es nicht viel gewagter, so weiterzumachen wie bisher? Moyo sagt, der Westen behandle Afrika wie ein unmündiges Kind. Und wenn sie Recht hat, ist Afrika längst dabei sich loszureißen.