Beitrag vom 29.08.2011
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Raffgier und Misswirtschaft
Warum Kenia hungert
Von Horand Knaup, Nairobi
Die Ernte in Kenias Westen ist gut, die Regale in der Hauptstadt Nairobi sind voll - und der Norden des Landes hungert. Dieses Drama ist hausgemacht. Schuld sind unfähige Politiker, schlechtes Management und schamlose Selbstbereicherung.
Minister, die mit eigenen Händen den Mais verteilen, Staatssekretäre, die Hilfskonvois in den trockenen Norden verabschieden, Abgeordnete, die tränenreich Spendenaktionen initiieren: Wenn es um publikumswirksame Auftritte geht, ist Kenias politischer Elite kein Auftritt zu peinlich. Die Politiker führen sich auf, als seien sie höchstselbst von Hunger und Dürre im Land betroffen, als litten sie mit, als empfänden sie echte Empathie für die Opfer des Elends.
Dabei sind längere Trockenperioden, Ernteausfälle und sterbendes Vieh längst genauso Alltag für Kenias Bauern und Viehzüchter wie die Ignoranz der Politiker. 2006 gab es eine lange Trockenperiode, 2009 erneut und auch jetzt wieder. Seit Jahren füttern World Food Programme (WFP) und Rotes Kreuz Millionen von Menschen im Norden des Landes durch, ohne dass sich die eigene Regierung oder die Staatengemeinschaft bisher wirklich dafür interessiert hätten. Doch nun gibt es die Flüchtlinge aus Somalia, nun gibt es das Flüchtlingslager Dadaab - und deshalb schaut die Welt diesmal auch auf Kenia.
Und immer mehr Kenianer lassen sich von den Show-Auftritten ihrer Polit-Elite nicht mehr blenden, immer lauter wird die Kritik an den Vorsorgeplänen der Regierung. Zwar hatte Präsident Mwai Kibaki schon Ende Mai den nationalen Notstand ausgerufen, aber eine Strategie zur Bekämpfung des wiederkehrenden Dürre- und Hungerproblems hat die Regierung nie in Angriff genommen:
•Nur zwei Prozent der Anbauflächen im ganzen Land sind bewässert.
•Es gibt zu wenige leistungsfähige Wasserspeicher.
•Es gibt keine koordinierte Lagerhaltung.
•Es gibt für die Menschen im Norden mangels Straßen keine tauglichen Marktzugänge.
•Es gibt keine Anpassungsstrategien an das veränderte Klima.
Die Frage beschäftigt viele im Land: Ist nicht ein beträchtlicher Teil des Hungerproblems, zumindest auf kenianischer Seite, hausgemacht? "Wann werden unsere Politiker endlich dazulernen?", fragte dieser Tage das Wirtschaftsblatt "Business Daily".
Im Westen üppige Ernten, im Norden hungernde Menschen
Kenia ist gespalten: Im Westen üppige Ernten, in den Supermärkten der Großstädte Nairobi, Mombasa und Kisumu volle Regale - und im Norden trockengefallene Brunnen, sterbende Tiere und hungernde Menschen. An die vier Millionen Kenianer sollen betroffen sein, weil ihre eigenen Felder nichts abgeworfen haben, das Vieh gestorben ist, vor allem aber, weil sie kein Einkommen und keine Reserven mehr haben, um Lebensmittel zu kaufen.
Die Krise ist nicht nur äußeren Umständen wie dem Klima oder dem Bürgerkrieg in Somalia geschuldet. Es werden auch notwendige Projekte auf die lange Bank geschoben, gar nicht erst geplant, verschlampt oder schlampig umgesetzt.
Selbst Mitglieder der Regierung äußern unverblümt Enttäuschung über die Arbeit der eigenen Kollegen. So wurde der Einwanderungsminister Otieno Kajwang mit den Worten zitiert: "Die Regierung hat schlecht geplant und die Verteilung von Lebensmitteln nicht richtig einbezogen in ihre Überlegungen." Außerdem müsse die Regierung mehr Geld für die Forschung bereitstellen, um ertragreicheres Saatgut zu züchten.
Auch der Wirtschaftsexperte und frühere Parlamentsabgeordnete Billow Kerrow zürnte: "Wir sind schnell, wenn es um Millionen für Hilfslieferungen geht, langfristige politische Entscheidungen, die die wiederkehrenden Dürren abmildern könnten, kriegen wir nicht hin." Geradezu "sträflich" seien die nomadischen Völker und ihre Probleme ignoriert worden.
Tatsächlich haben alle kenianischen Regierungen den Norden des Landes weitgehend sich selbst überlassen. Schon 1989 wurde die norwegische Hilfsorganisation Noraid vom damaligen Präsidenten Daniel arap Moi aus dem Land geworfen, weil Norwegen einem kenianischen Flüchtling politisches Asyl gewährt hatte. Noraid hatte im trockenen Norden Straßen gebaut und zahlreiche Schul- und Gesundheitsprogramme angeschoben. Danach passierte nicht mehr viel westlich des Turkana-Sees, und so ist der neue Staat Südsudan heute besser an Uganda angebunden als an Kenia.
Woher die Misere in Kenia kommt
Nicht einmal mit so schlichten Dingen wie Lagerhäusern konnte sich Kenia selbst helfen. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel dem Land im Juli einen Kurzbesuch abstattete, wurde sie von Premier Raila Odinga um Hilfe beim Bau neuer Lagerhäuser gebeten. Der Wunsch hat einen bitteren Grund: An die 30 Prozent der Erträge des Landes verderben bei der Lagerung. Bis heute haben es Verwaltungen und Bauern-Organisationen nicht geschafft, ein taugliches Vorratssystem zu etablieren.
"Wir brauchen keine sensationellen neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, um die Ernährung des Landes zu sichern", sagt Gideon Misoi, Chef der nationalen Getreideverwaltung, "wir brauchen nur ein vernünftiges Management und eine ordentliche Lagerung unserer Ernten". Doch genau daran hapert es. "Die Silos haben ihre Funktion nie erfüllt", sagt Wolfgang Fengler, deutscher Chef-Volkswirt der Weltbank in Nairobi. "Sie sollen das Getreide für Notzeiten bereithalten und den Preis stabilisieren. Beides hat nie stattgefunden."
Der Transport ist das nächste Problem. Wochenlang hingen dieser Tage 30.000 Tonnen an Hilfslieferungen im Hafen von Mombasa fest. Die kenianische Eisenbahn weigerte sich, den Transport zu übernehmen, weil noch alte Rechnungen der Regierung in sechsstelliger Dollar-Höhe offen waren. Südlich von Voi, in der Nähe der bekannten Tsavo-Nationalparks, hungern die Menschen, obschon mehr als 2000 Säcke mit Mais, Reis und Bohnen, jeder 90 Kilo schwer, in den Depots lagerten. Doch es gibt nur einen Lastwagen zum Ausliefern der Säcke - und der stand wochenlang in der Werkstatt.
Mais kostet in Kenia mehr als in Deutschland
Auch die Preispolitik gibt Rätsel auf. Wer in Kenia das Grundnahrungsmittel Mais kauft, zahlt für das Kilo derzeit mehr als in Deutschland oder in den USA. "Der Getreidepreis in Kenia liegt um 60 bis 70 Prozent über dem Weltmarktpreis", sagt Weltbanker Fengler. "Zwei Prozent der Farmer kontrollieren 50 Prozent des Marktes - das heißt, sie bestimmen den Markt und halten den Preis künstlich hoch."
"Warum können wir nicht Mais anbauen, wie wir es (industriell) mit Ananas in Thika oder Blumen in Naivasha tun"?, fragt auch der Volkswirt Xn Iraki, der an der Universität von Nairobi lehrt. Sollte der Unterschied womöglich darin liegen, dass sich um Ananas und Blumen ganz überwiegend ausländische Investoren kümmern?
Es gibt viele Gründe für den Hunger am Horn von Afrika. In Kenia kommen das rasante Bevölkerungswachstum und die immer kleiner werdenden Anbauflächen hinzu. Nicht zuletzt durch die Erbteilung und die dadurch schrumpfenden Flächen sind die Hektar-Erträge in den vergangenen 20 Jahren um 15 Prozent gefallen. 75 Prozent der bebaubaren Ackerflächen sind inzwischen kleiner als ein Hektar.
Lebensmittelhilfe wird oft umgelenkt - nicht immer zu den Bedürftigsten
Während die Spender davon ausgehen, dass die Hilfen gerecht verteilt werden und den Bedürftigsten zugutekommen, geht es vor Ort nicht selten um ganz andere Prioritäten. Gerade in Kenia sind Hungersituationen für Politiker eine ideale Gelegenheit, sich im eigenen Wahlkreis beliebt zu machen oder die Hilfslieferungen ein bisschen umzudirigieren.
Unvergessen sind die Maishilfen, die bei der letzten Dürre vor gut zwei Jahren - mit tatkräftiger Unterstützung von Regierungspolitikern - in den Südsudan umgelenkt und dort zu Höchstpreisen an Hilfsorganisationen verkauft wurden. Gleichzeitig hungerten im eigenen Land Millionen von Menschen.
Ein Wahlkreisabgeordneter, der es schafft, Hilfslieferungen in seinen Distrikt umzuleiten, gilt als so gut wie wiedergewählt. Bei einer Konferenz von kenianischen Politikern mit Gebern im Februar erklärten einheimische Abgeordnete den ausländischen Helfern klipp und klar: "Lieber lassen wir unsere Leute verhungern, als dass wir euch die Verteilung überlassen." Nicht einmal der anwesende Minister widersprach.
Legendär ist auch der Versuch israelischer Agrar-Spezialisten, in Kibwezi, rund 150 Kilometer südöstlich von Nairobi, den Kenianern zu einer effizienteren Landwirtschaft zu verhelfen. Zehn Jahre lang betrieben die Israelis eine knapp 5000 Hektar große Versuchsanlage mit Gewächshäusern, Bewässerungsanlagen und speziell gezüchtetem Saatgut, auf der sie unter anderem Mangos und Pampelmusen, Gurken, Tomaten und Auberginen züchteten. Ein Teil der Ernten wurde ins Ausland exportiert. Im Jahr 2000 dachten die Berater, die Zeit sei reif, das Projekt der Universität von Nairobi zu übergeben. Kaum waren die Israelis abgezogen, begann das Chaos. "Fachleute und Arbeiter lieferten sich einen Wettstreit im Stehlen der Wertsachen, die die Farm über Jahrzehnte am Leben erhalten hatten, und Millionen von Schillingen, überwiegend von Spendern, gingen verloren", beschreibt die Tageszeitung "Nation" den Raubzug.
Ein halbes Jahr später war die Vorzeigefarm zugrunde gewirtschaftet. Jetzt, da die Notlagen sich häufen, erinnerten sich die Kenianer der Vorzeigefarm und fragten bei den Israelis an, ob sich das Projekt nicht wiederbeleben lasse. Und tatsächlich: Die Israelis haben einen Neustart in Aussicht gestellt.