Beitrag vom 04.07.2011
FAZ
Die Doha-Freihandelsrunde ist kaum mehr zu retten
Sie sollte Bauern in armen Ländern durch mehr Freihandel besser stellen. Die Doha-Runde läuft seit zehn Jahren, nun stehen die Chancen selbst für ein Mini-Paket schlecht.
du. GENF, 3. Juli. In der zweiten Monatshälfte trifft sich die internationale Handelsprominenz zur dritten Bestandsaufnahme des Programms "Aid for Trade" am Sitz der Welthandelsorganisation WTO in Genf. Die "Hilfe für den Handel" soll den ärmsten Ländern durch Unterstützung in technischen und strukturellen Fragen die Teilnahme am globalen Warenaustausch erleichtern. Das Programm wurde schon 2005 in Gang gesetzt - nicht zuletzt mit Blick auf eine erfolgreiche "Doha Runde" zur Handelsliberalisierung rund um die Welt. Doch um die große Freiheit ist es sechs Jahre später schlecht bestellt: Im zehnten Jahr der Verhandlungen steht die Handels- und Entwicklungsrunde vor dem Scheitern.
WTO-Generaldirektor Pascal Lamy versucht verzweifelt, in letzter Minute wenigstens ein Mini-Paket zu schnüren. Es soll vor allem den ärmsten Ländern helfen und könnte darüber hinaus beinhalten, dass die Handelsbürokratie reduziert wird, Exporthilfen zurückgefahren und umweltschonende Dienstleistungen und Güter verstärkt gefördert werden. In beschwörendem Ton sagte Lamy kürzlich vor dem wichtigen WTO-Komitee für Handel (TNC), der politische Wille zu einem Kompromiss über "Doha" bestehe weiterhin. Damit sollten den Ministern auf der WTO-Konferenz im Dezember Ergebnisse präsentiert werden können. Zugleich aber gestand Lamy ein: "Die Zeit arbeitet sicherlich nicht für uns." Dies klingt nicht verheißungsvoll, zumal sich die Unterhändler seit der im Juli 2008 knapp gescheiterten Einigung offenbar eher auseinanderbewegt haben. Damals meinte Lamy, 80 Prozent des Weges seien geschafft. Jetzt konnten sich die Vertreter der 153 Mitgliedsstaaten im TNC nicht einmal auf Maßnahmen zugunsten der ärmsten Drittweltländer einigen.
Damit überhaupt noch etwas erreicht wird, soll die Verhandlungsmasse nun bis Ende des Jahres aufgespalten werden. Dies ist eine Abkehr von der bisherigen Linie. Denn "Doha" beinhaltete alles: Handelsliberalisierung, Ausgleich zwischen Industrie- und Schwellenländern, Hilfe für die Dritte Welt. Dahinter stand der Gedanke, über genügend Masse für gegenseitige Zugeständnisse zu verfügen. Aber seit dem Beschluss in der Hauptstadt von Qatar zum großen Aufbruch hat sich die Welt verändert: Viele der Schwellenländer rücken den Industrieländern auf den Pelz, der Klimawandel greift stärker in das Leben der Menschen ein, die Finanz- und Wirtschaftskrise wirft viele Länder zurück. Die WTO hat eine Zunahme der Handelsrestriktionen in zahlreichen Ländern festgestellt. Chinas Ausfuhrbeschränkungen für Seltene Erden sind nur ein Beispiel.
Nach 14,5 Prozent auf 15,2 Billionen Dollar im vergangenen Jahr dürfte der Welthandel in diesem Jahr noch um 6,5 Prozent wachsen, wird in Genf geschätzt. Ein Doha-Erfolg könnte das Volumen um bis zu 700 Milliarden Dollar ausweiten, glauben Fachleute. Aber die alten Konflikte in dem Verhandlungsmarathon haben sich eher noch verschärft. Die Entwicklungsländer einschließlich der zu Großmächten gereiften Schwellenstaaten wollen ihre Märkte nicht für Industriegüter und Dienstleistungen des Nordens öffnen. Die Industriestaaten möchten ihre Landwirtschaft mit Subventionen und Einfuhrbeschränkungen schützen. Die Entwicklungsländer verlangen einen ungehinderten Zugang auf alle Märkte und zusätzliche Vergünstigungen.
Lamy kann mit seinen Detailvorschlägen immerhin auf die Unterstützung der Vereinigten Staaten bauen. Es sieht aber nicht so aus, als reiche das für große Fortschritte, zumal sich Washington mit einigen Schwellenländern gegen ein vorgezogenes Paket für die Ärmsten sperrt. Die Welt muss sich vielmehr auf einen Scherbenhaufen namens "Doha" einstellen.