Beitrag vom 05.05.2011
Frankfurter Rundschau
AFRIKANISCHE WIRTSCHAFT
Ein Kontinent kommt aus der Deckung
Von Johannes Dieterich
Afrikanische Weltwirtschaftsforen muteten in der Vergangenheit kollektiven Pfeifübungen im dunklen Urwald an. Inzwischen sind die Beschwörungsrituale feierlichen Tönen gewichen. "Unsere Region erlebt eine Explosion selbst erzeugter Errungenschaften", triumphiert Katherine Tweedie, Afrika-Direktorin des World Economic Forum (WEF), zum Auftakt der Veranstaltung vor gut 900 Teilnehmern: Noch nie habe es eine "aufregendere Zeit" gegeben, sich über die Zukunft des Erdteils Gedanken zu machen. "Keiner spottet heute mehr, wenn von der afrikanischen Renaissance die Rede ist", bestätigt der Chefökonom im südafrikanischen Präsidentenamt, Alan Hirsch: "Wir erleben sie."
Afrika zählt heute zu den ökonomisch schnellst wachsenden Regionen der Erde: Über Jahre hinweg hat der Kontinent eine durchschnittliche Wachstumsrate von mehr als fünf Prozent erzielt. Nirgendwo sollen Investitionen lukrativer als auf dem einstigen Loser-Erdteil sein, rechnen Fachleute vor: Aus dem bettelnden Hilfsempfänger ist ein ernst zu nehmender Wirtschaftspartner geworden.
Die Welt stehe Kopf, erklärt Nestlé-Vorstandsvorsitzender Peter Brabeck-Letmathe den aus 60 Nationen angereisten Forumsteilnehmern: Während sich die Industrienationen mit ihren interventionistischen Lösungsversuchen seit der Wirtschaftskrise rückwärts bewegten, hätten die Entwicklungsländer als Wachstumsmotor die Initiative übernommen. Tatsächlich tauchten Länder wie Nigeria, Angola oder Ghana wesentlich schneller und weniger mitgenommen als die Alte Welt aus der Krise auf: Dem Kontinent wird schon in diesem Jahr wieder eine durchschnittliche Wachstumsrate von 5,5 Prozent vorhergesagt, in den kommenden Jahren soll sie auf mehr als sechs Prozent steigen.
Niedrige Basis
Selbst die euphorischsten unter den Forums-Mitgliedern wissen natürlich, dass solche Raten auf niedrigem Niveau ansetzen: Mit rund 1,6 Billionen Dollar entspricht das Bruttoinlandsprodukt des gesamten Kontinents gerade mal dem Brasiliens und macht bloße 1,8 Prozent der Weltwirtschaft aus.
Auch machten Ereignisse wie in der Elfenbeinküste oder Nordafrika deutlich, wie verletzlich die Neugeburt des Kontinents sei, wendet der nigerianische Energiekonzernchef Jubril Tinubu ein. Ein differenzierteres Bild zeichnet der African Progress Panel unter seinem Direktor Kofi Annan. Der wirtschaftliche Aufschwung des Kontinents sei zwar tatsächlich "stark", kommentierte der ehemalige UN-Generalsekretär. Dieses Wachstum käme jedoch nicht unbedingt der Entwicklung des Kontinents zu Gute.
Den Jubel vieler Forumsteilnehmer über die Entstehung einer inzwischen 100 Millionen Mitglieder zählenden afrikanischen Mittelschicht, die im vergangenen Jahr immerhin 227 Milliarden Dollar ausgab, will Annan deshalb nicht teilen: "Wir bejubeln nicht die Bildung einer Konsumentenklasse, wenn sich nicht gleichzeitig das Los der Mehrheit der Bevölkerung bessert." Vor allem die Jugendarbeitslosigkeit gebe zur Sorge Anlass, fügt der ehemalige nigerianische Präsident Olusegun Obasanjo, ein Mitglied des Panels, hinzu.