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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 05.05.2011

Deutschlandradio Kultur

RADIOFEUILLETON:
THEMA
09:07 Uhr

"Entwicklungshilfe ist zum Geschäft geworden"
Wissenschaftler Rauch zu 50 Jahren Entwicklungshilfe

Theo Rauch im Gespräch mit Susanne Führer

Theo Rauch vom Zentrum für Entwicklungsländerforschung an der FU Berlin stellt der Entwicklungshilfepolitik ein "Armutszeugnis" aus. Finanzielle Ressourcen lösten keine Probleme, vielmehr müsse man die Rahmenbedingungen zur Selbsthilfe verbessern.

Susanne Führer: Walter Scheel war der erste Entwicklungshilfeminister der Bundesrepublik Deutschland. Vor 50 Jahren, 1961 also, trat er sein Amt an. Der heutige Minister heißt Dirk Niebel, und man spricht offiziell nicht mehr von Entwicklungshilfe, sondern von Entwicklungszusammenarbeit. Das Ministerium heißt ja auch Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Aber: Hat sich in den vergangenen 50 Jahren tatsächlich Grundlegendes geändert? Ist die weltweite Armut wirklich weniger geworden? Hat die Hilfe also tatsächlich zur Selbsthilfe geführt oder gehört die Entwicklungshilfe abgeschafft, wie immer wieder gefordert wird? Darüber spreche ich jetzt mit Theo Rauch, er ist Professor für Geografie am Zentrum für Entwicklungsländerforschung an der Freien Universität Berlin. Guten Morgen, Herr Rauch!

Theo Rauch: Ja, schönen guten Morgen!

Führer: Fast eine Milliarde Menschen hungern, trotz Entwicklungshilfe, beileibe nur nicht nur aus Deutschland. Also jetzt der Hilfe daran die Hauptschuld zuschieben zu wollen, muss man doch sagen, das ist buchstäblich ein Armutszeugnis, oder?

Rauch: Es ist ein Zeugnis dafür, dass Entwicklungshilfe oder Entwicklungszusammenarbeit es nicht geschafft hat, die weltweite Armut zu überwinden, dass sie es nicht geschafft hat, die Kluft zwischen armen und reichen Ländern zu überwinden. Es wird meines Erachtens nicht bedeuten, dass man sagen kann, die Entwicklungshilfe hat damit völlig versagt. Sie hat durchaus in der Mehrzahl der Länder Afrikas mit dazu beigetragen, dass mit einer Verdoppelung der Bevölkerung, die ja dort auch in den letzten 30 Jahren stattgefunden hat, sich gleichzeitig auch die Nahrungsmittelproduktion verdoppelt hat. Das heißt, das Problem, die Problematik in den Ländern ist mithilfe der Entwicklungszusammenarbeit etwa auf gleichem Niveau geblieben, es hat sich nichts Wesentliches verbessert, es hat sich auch nichts katastrophal verschlechtert. Und ich glaube, dazu hat die Entwicklungshilfe einen kleinen Beitrag ge-liefert.

Führer: Blicken wir aber noch mal kurz zurück, also früher, mal ganz salopp formuliert, da hat man dann dem armen Bauern in Afrika einen schicken Traktor geschenkt und war dann irgendwie enttäuscht, wenn der nach einem Jahr nicht mehr fuhr, weil ihn natürlich keiner reparieren konnte und außerdem auch niemand das Geld für den Diesel hatte. Was macht man heute anders? Zeigt man jetzt dem Bauern, wie er sich seinen eigenen Traktor baut?

Rauch: Was man heute anders macht, ist, dass man sehr viel mehr Wert darauf legt, dass, was immer der Bauer mit seinen Mitteln macht, dass das gut vermarktet werden kann, dass der Marktzugang besser und fairer gestaltet wird, dass der Bauer besseren Zugang zu Krediten hat, dass der Bauer sich mit anderen Bauern zu-sammen organisiert, um unter Umständen auch mal gegen allzu schlechte Preise einen Boykott zu veranstalten. Das ist all das, was in der Fachbranche als Empowerment verstanden wird, das heißt also, die Leute in die Lage zu versetzen, auch am politischen Leben teilzunehmen, ihre Belange stärker auch gegenüber Regierungsstellen, gegenüber Händlern, gegenüber der Privatwirtschaft einzubringen. Man hat sich sehr viel mehr vom Technischen hin auf den institutionellen Bereich verlagert.

Führer: Aber wie sieht das aus, um es jetzt ein bisschen anschaulich zu haben? Also früher gab es den Traktor, was gibt es heute? Unterricht?

Rauch: Ich mach's vielleicht mal an einem Beispiel klar: Ich war jüngst in Kamerun. Dort wurden mithilfe der deutschen Entwicklungszusammenarbeit Gesetze geschaffen, um das Budgetierungsverfahren im Parlament zu verbessern, um das Budget auf eine Weise zu veröffentlichen, dass es auch aufgeklärte Bürger und Nichtregierungsorganisationen lesen und kontrollieren können, dass man weiß, wo das Geld hinfließt. Gleichzeitig gibt es Entwicklungshelfer und -helferinnen, die an der Basis zum Beispiel dafür sorgen, dass Schulkomitees, Elternbeiräte das Budget soweit lesen können, dass sie wissen, welche Investitionen sind in ihrer Schule vorgesehen. Und ich hab sogar Fälle gesehen, wo Schüler im politischen Unterricht da-zu erzogen wurden, zu überprüfen, ob die Anzahl der Säcke Zement, die für ihren Schulerweiterungsbau vorgesehen war, ob die tatsächlich in dieser Schule dann auch verwendet werden oder ob der Zement illegal abgezweigt wird. Das ist für mich so ein typisches Beispiel, wie sich die Entwicklungshilfe geändert hat in Richtung einer entwicklungspolitischen Beeinflussung dahingehend, dass sich das Regierungshandeln, die öffentlichen Dienstleistungen in den Ländern selber verbessern.

Führer: Trotzdem haben Sie ja auch gerade selbst festgestellt, Herr Rauch, dass sich die Situation nicht wirklich verändert hat, trotz der jahrzehntelangen Entwicklungshilfe, die übrigens unser Thema ist hier im Deutschlandradio Kultur, mit Theo Rauch vom Zentrum für Entwicklungsländerforschung an der Freien Universität Berlin. Deswegen gibt es ja auch diese sehr, also hierzulande sehr provokant wirkenden Thesen der sambischen Ökonomin, Dambisa Moyo, die hat ja gesagt: Hört auf mit der Entwicklungshilfe, bleibt weg mit euerm Geld, denn das macht uns letzten Endes nur arm. Ihre Hauptthese ist, dass die finanzielle Hilfe des reichen Nordens die armen Länder des Südens erstens entmündigt und zweitens korrumpiert. Stimmen Sie zu?

Rauch: Dem stimme ich auch zu. Beide Realitäten stimmen. Auch aus demselben Land Kamerun ein Beispiel, über das ich jüngst gehört hab von einer kamerunischen Kollegin, die sehr stark engagiert im Bereich HIVH-Bekämpfung ist, also HIV-Virus-Bekämpfung. Die Frau klagte, dass seit Jüngerem alle Menschen und Organisationen, die in diesem Bereich tätig sind, in die korrupte Ecke geschoben werden. Warum? Es gibt hierfür den Global Fund, der stellte überreichlich Mittel zur Verfügung, und nun drängen sich alle möglichen kleinen Firmen und Organisationen in diesen Bereich, ob sie nun kompetent dafür sind oder nicht, um an diese Mittel heranzukommen. Weil man keine entsprechenden Basisorganisationen hat, die diese Mittel sinnvoll verwenden können, werden die Mittel in Fünf-Sterne-Hotels für große Workshops und Konferenzen ausgegeben. Das war für mich so ein typisches Beispiel für die Thesen von Dambisa Moyo: Es führt eher zur Korruption, es bringt Leute in Positionen, die eigentlich darin nichts zu suchen haben.

Führer: Das klingt nach einer parallelen Diskussion zur innenpolitischen Lage, also wo man gesagt hat, wir müssen drauf achten, dass wir Sozialhilfekarrieren ver¬hindern, also Hilfe hat immer dieses Janusköpfige. Salopp gesagt: Na ja, Erhöhung des Kindergeldes, die versaufen das ja nur, und da kriegen die gar nichts davon. Deswegen gibt es jetzt den neuen Grundsatz: fördern und fordern. Es gibt ohnehin ein Problem immer beim Helfen, weil der Helfer ja immer derjenige ist, der weiß, wie es geht, und zeigt, wie es geht. Aber so richtig habe ich jetzt diesen Paradigmenwechsel noch nicht verstanden, Herr Rauch. Sie sagen auch, Hilfe korrumpiert und entmündigt, aber Sie wollen sie nicht abschaffen, anders als Dambisa Moyo.

Rauch: Nein, die Konsequenz kann nicht sein, Hilfe abzuschaffen. Das, was Dambisa Moyo ja als Alternative fordert, ist, die Menschen allein dem Markt zu überlassen. Die Menschen allein dem Markt zu überlassen - das hat man in den letzten zwei, drei Jahren gesehen mit der Weltfinanz- und Weltwirtschaftskrise -, bedeutet, sie ständig wankenden Markt- und Preisrisiken auszusetzen. Nein, die Alternative muss in erster Linie darin bestehen, wegzukommen von der Hilfe, dem Glauben, einfach der Transfer von finanziellen Ressourcen könnte den Problemen helfen, hin zu einer Entwicklungspolitik, die für die Menschen bessere marktwirtschaftliche, bessere ökologische und bessere politische Rahmenbedingungen schafft. Was wir mit der Entwicklungshilfe zum Teil geschafft haben, war, die Leute zu befähigen, aber die Möglichkeiten sind weiterhin schlecht geblieben. Wir haben letztlich darin versagt, die weltweiten Rahmenbedingungen zu ändern. Ich kann Bauern in Afrika gut dazu befähigen, ihren Markt zu erreichen und dort mit lokalen Händlern besser um den Preis zu verhandeln, aber wir haben es nicht geschafft, sie davor zu schützen, dass sie durch Konkurrenz, zum Beispiel durch Hühnchenschenkel aus der EU, wieder vom Markt verdrängt werden, weil die EU diese Hühnchenschenkel soweit subventioniert, dass auch der ärmste afrikanische Bauer nicht mehr mithalten kann.

Führer: Bleiben wir noch mal bei dem Problem der Hilfe, Herr Rauch. Wir hatten ja das Doppelte der Hilfe, Hilfe entmündigt, weil wenn ich immerzu jemandem helfe, dann verlernt er auch irgendwann, es selbst zu machen. Nun fühlt sich der Helfer auch gut, wenn er hilft, und drittens, wenn der Helfer von der Hilfe lebt, hat er auch kein Interesse daran, sich überflüssig zu machen. Das scheint mir auch ein Problem vieler Entwicklungshilfeorganisationen zu sein, dass die ja wirklich ein starkes Eigenleben entwickeln, und natürlich eigentlich müsste es ihr Ziel sein, sich selbst abzuschaffen, aber das hat, glaube ich, noch nie stattgefunden, oder? Ist das nicht ein Grundproblem? Wie könnte man dem begegnen?

Rauch: Ja, Entwicklungshilfe ist zum Geschäft geworden, es ist zur beruflichen Grundlage für sehr viele Kolleginnen und Kollegen hier geworden, und die Bereitschaft, das abzuschaffen, ist sehr gering. Wie kann man das ändern? Man müsste Entwicklungsorganisationen dafür belohnen, dass sie in möglichst kurzer Zeit bestehende Aufgaben erledigen, und es ihnen nicht erlauben, sich selbstständig immer wieder ihre Existenz zu verlängern, indem sie sagen, die Probleme sind ja immer noch nicht gelöst, wir brauchen noch mal eine Verlängerung um drei Jahre, wir brau-chen noch mal drei zusätzliche Mitarbeiter. Also im Augenblick gehen die ganzen Interessen der Organisationen dahin, zu expandieren.

Führer: Und Sie arbeiten als Gutachter.

Rauch: Ich arbeite als Gutachter, ich bin im Grunde genommen eigentlich immer wieder in demselben Dilemma …

Führer: Sie sind auch ein Profiteur der Hilfe?

Rauch: Ich bin ein Profiteur der Hilfe und ich brauche tatsächlich ein gehöriges Maß an professionellem Ethos, würde ich das mal nennen, nur dort mitzumachen, wo es mehr Erfolg versprechend und günstig erscheint. Helfer brauchen gewisse Zwänge und Anreizsysteme und natürlich auch ein entsprechendes berufliches Ethos, um sich selbst auch zurückzuhalten.

Führer: Theo Rauch war das, er ist Professor für Geografie am Zentrum für Entwicklungsländerforschung an der Freien Universität Berlin [http://www.geo.fu-berlin.de/geog/fachrichtungen/anthrogeog/zelf/info/in…]. Ich danke Ihnen für Ihren Besuch, Herr Rauch!

Rauch: Ja, danke, war mir eine Freude!