Beitrag vom 20.01.2011
Frankfurter Rundschau
Niedergang der Despoten
Von Johannes Dieterich
Etwas Ähnliches hat Afrika noch nicht erlebt. In diesem Jahr werden in zweiundzwanzig Staaten des Kontinents die Wähler zu den Urnen gehen, um über die Führung ihres Landes zu entscheiden. Die Abstimmungslawine könnte den ob seiner demokratischen Mängel berüchtigten Erdteil entweder salonfähiger machen oder noch tiefer in der Obskurität versinken lassen.
Es hat nicht gut begonnen. Noch als Altlast aus dem vergangenen Jahr wird die Elfenbeinküste gegenwärtig von den Folgen eines gründlich verbockten Urnengangs erschüttert. Der ivorische Ex-Präsident Laurent Gbagbo hat demonstriert, wie skrupellos afrikanische Machthaber bei der Manipulation von Abstimmungen vorzugehen wissen. Dass nicht jener gewinnt, der die meisten Stimmen auf sich vereint, sondern wer die Spielregeln und die Auszählung kontrolliert, ist in Afrika schon fast zur Norm geworden.
Stimmungswechsel auf dem Kontinent
Zu Gbagbos Verhängnis wird indessen werden, dass er einen entscheidenden Stimmungswechsel auf dem Kontinent nicht wahrgenommen hat. Zynische Allüren größenwahnsinniger Staatschefs werden nicht länger toleriert. Die Menschen haben erkannt, dass sich der Kontinent solche Possen schon wirtschaftlich nicht leisten kann. Anders wäre nicht zu erklären, dass Gbagbo dermaßen wirksam isoliert worden ist. Den Präsidenten, die die Signale nicht hören wollen, ergeht es wie dem tunesischen Dikator Zine el Abidine Ben Ali: Wer sich nur ums eigene Wohl statt um das des Volkes kümmert, wird früher oder später entsorgt.
Afrika ist kein Reservat für Despoten und Desperados mehr. Nach den jüngsten Prognosen der Weltbank wird der Kontinent in den kommenden Jahren die nach den asiatischen Tigerstaaten am zweitschnellsten wachsenden Ökonomien der Erde stellen. Der Handel zwischen den mittlerweile die Weltwirtschaft tragenden Süd-Nationen, vor allem aber Chinas Rohstoffhunger hat in wenigen Jahren mehr erreicht als ein halbes Jahrhundert westlicher Entwicklungshilfe. Afrika klinkt sich ins globalisierte Wirtschaften ein. Langsam, aber stetig wächst auf dem Kontinent, was einst auch in Europa für die Despotendämmerung sorgte: der Mittelstand. Einigermaßen gut verdienende Bürger haben kein Interesse an Krieg und Chaos, sie wollen in Ruhe Geld verdienen.
Ausgerechnet der vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag des Völkermords angeklagte Omar al-Baschir scheint das erkannt zu haben. Statt den Volksentscheid über die Abspaltung des Südsudans gegen die Wand zu steuern und den größten Flächenstaat Afrikas in einen neuen Krieg zu stürzen, hat der sudanesische Präsident den Verzicht auf ein fruchtbares und erdölhaltiges Drittel seiner Nation als Voraussetzung für deren wirtschaftliche Zukunft in Kauf genommen. Deshalb verlief die erste Abstimmung in Afrikas Superwahljahr so überraschend reibungslos.
Selbst Nigeria gibt Anlass zur Hoffnung
Die Elfenbeinküste auf der einen, der sudanesische Volksentscheid auf der anderen Seite des Spektrums: Die restlichen Abstimmungen auf dem Kontinent werden sich in puncto Glaubwürdigkeit und Friedlichkeit irgendwo zwischendrin bewegen. Die Vorstellung wäre naiv, dass auf dem von Jahrhunderten der Sklaverei, des Kolonialismus und der Stellvertreterschlachten des Kalten Kriegs zerrütteten Kontinent alles schlagartig besser wird. Auch Europa hat Jahrhunderte gebraucht, um Feudalstaaten in Republiken und Kriegsfürsten in Entrepreneure zu verwandeln.
Auch wird es in Afrika noch lange Ungleichzeitigkeiten wie einst in Europa geben, wo in Frankreich das aufgeklärte Bürgertum triumphierte, während Griechen, Serben und Albaner noch unter der osmanischen Fremdherrschaft darbten. Genauso wird es im anarchischen Somalia oder der sogenannten Demokratischen Republik Kongo wohl noch lange drunter und drüber gehen, während in Ghana, Südafrika und Kenia der Mittelstand wächst.
Aber selbst Nigeria gibt zur Hoffnung Anlass. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten stehen sich in Afrikas erdöl- und bevölkerungsreichstem Staat bei den Wahlen im April keine Ex-Generäle oder anderen korrupten Brontosaurier mehr gegenüber. Die beiden führenden Parteien stellten vielmehr als Kandidaten einen Ökologen und einen Korruptionsbekämpfer auf. Gut regiert könnte sich der Erdölgigant innerhalb kurzer Zeit in einen afrikanischen Löwenstaat verwandeln. Auf Export geeichte Staaten wie Deutschland tun gut daran, die Entwicklungen auf dem Nachbarkontinent mit differenzierten Blicken zu verfolgen.