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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 22.11.2010

Mikrokredite in Indien

Krise der Armen-Banken

Seit Jahren blähten sie ihr Geschäft auf. Dann griff der Staat ein. Nun können sich die Minibanken nicht mehr finanzieren. Börsengänge werden verschoben, Milliardäre warten auf ihre Rendite, und die Armen leiden.
Von Christoph Hein, Delhi

Die Krise der Minibanken in Indien verschärft sich. Nun muss die Bank Share Microfin ihren für Anfang 2011 geplanten Börsengang verschieben. Das Institut aus Hyderabad wollte 10 Milliarden Rupien (162 Millionen Euro) erlösen. Inzwischen reicht die Krise bis in die Geschäftsbanken Indiens hinein, und betrifft Investoren wie den neuseeländischen Milliardär Chris Chandler und Investorenlegende George Soros.
Auf der anderen Seite leiden die, die am wenigsten haben: Denn das Konzept der Mikrokredite entstand, um den Ärmsten der Armen eine Entwicklungschance zu bieten. Gerade sie hatten sich als traumhafte Schuldner erwiesen: Die Ausfallrate bei Mikrokrediten liegt bei knapp 2 Prozent. Ganz überwiegend bieten Frauen dank der Minidarlehen ihren Familien eine Überlebenschance.
Die ganze Branche ist ins Chaos geschlittert
Nun aber ist die gesamte Branche in Indien in ein Chaos geschlittert, das fast zum Stillstand des in Südasien florierenden Gewerbes führt. Auslöser waren die Eingriffe des südindischen Bundesstaates Andhra Pradesh, wo 35 Prozent aller Kleinkredite in Indien vergeben werden. Der Bundesstaat erließ neue Gesetze, nachdem Bauern augenscheinlich auch durch Überschuldung in den Selbstmord getrieben worden waren. Der Eingriff der Politik führt zu einer Vollbremsung der Branche. Der Bundesstaat ordnete niedrigere Kreditzinsen an, lässt die Banken ihre Zinsen nun nur noch einmal im Monat statt wöchentlich eintreiben und verbot Mehrfachdarlehen. "Wie soll die Regierung wissen, welche der Kleinkreditgeber kriminell sind und welche lauter, wenn wir sie nicht regulieren? In den vergangenen Jahren hatten wir nicht die Kraft dazu, jetzt müssen wir es", verteidigt Vasant Kumar, Minister für ländliche Entwicklung in Andhra Pradesh, das Vorgehen.
Teils zwielichtige Politiker aber nutzten den Schwenk, um Schuldnern das Einstellen ihrer Zahlungen zu empfehlen. Es zeichne sich ab, dass die Regierung die Schulden übernehme. Damit sank die Rückzahlungsrate auf praktisch null. In der Folge wurden Mitarbeiter der Minibanken in den Dörfern bedroht. Allein die Aktien von Marktführer SKS Microfinance haben seit der Regelverschärfung Mitte Oktober 40 Prozent ihres Wertes verloren. Dabei verweisen nüchterne Betrachter darauf, dass die Zahl von ein paar Dutzend Selbstmorden - so tragisch jeder einzelne ist - gemessen an rund 6 Millionen Schuldnern in Andhra Pradesh gering sei. Mit besonnenem Handeln also hätte sich die Krise der Branche noch verhindern lassen.
Auf dem Indiengipfel des Weltwirtschaftsforums sagte Vijay Mahajan gerade, die Mikrofinanzierer bräuchten jetzt einen Liquiditätsfonds von 10 Milliarden Rupien. Mahajan steht dem Branchenverband Microfinance Institutions Network vor. Der Verband war erst im Zuge der heraufziehenden Krise gegründet worden, "als proaktiver Schritt, um verantwortungsvolle Kreditvergabe und einen geregelten Informationsaustausch über Kreditnehmer" zu erlangen.
Den Kleinstbankern wird vorgeworfen, die Armen hemmungslos auszubeuten: Die Minibanken nehmen Kredite für rund 15 Prozent bei den Geschäftsbanken auf, und verteilen sie auf den Dörfern für 30 Prozent Zins weiter. Das erscheint hoch und geht auch nur, weil Kredithaie schnell das Doppelte verlangen. Die Kredite von Regierungsbanken sind ebenfalls nur für Bestechungsgelder von gut 20 Prozent der Ausleihsumme zu bekommen.
Wohlfeile Namen der Finanzelite sind betroffen
Die Krise erzeugt auch deshalb Aufsehen, weil wohlfeile Namen der globalen Finanzelite betroffen sind. Längst hatten sie erkannt, dass die Beteiligung an Kleinstbanken dem Image hilft und zugleich eine ansehnliche Rendite beschert. Neben Milliardär Chandler, der Anteile an Share Microfin hält, ist Soros an SKS beteiligt. Indien ist der weltweit größte Markt für Kleinkreditgeber.
Inzwischen droht sich die Krise der Kleinen zu einer veritablen Bankenkrise in Indien auszuweiten. Denn die Geschäftsbanken finanzierten die Kleinen mit dreistelligen Millionenbeträgen und bangen nun um ihr Geld. Deshalb haben sie den Minibanken jetzt den Geldhahn zugedreht. "Wir sind extrem besorgt mit Blick auf unsere Kredite im Minibankensektor. Wir müssen den ganzen Sektor neu bewerten", sagte Sunand Mitra, Präsident der Axis Bank. Die Außenstände von Axis sollen mehr als eine Viertelmilliarde Dollar betragen. Branchenvertreter Mahajan fürchtet indes, dass dieses Austrocknen die Krise erst anfeuern werde: "Die Liquidität wird zu einem echten Problem. Wir arbeiten in einem feindlichen politischen Umfeld."
Im Epizentrum der Krise liegt SKS. Seinen Börsengang brachte Gründer Vikram Akula im August als erste Minibank noch erfolgreich über die Bühne. Er erlöste rund 350 Millionen Dollar. Inzwischen aber muss sich Akula gegen den Vorwurf von Wucherzinsen und rüden Methoden des Geldeintreibens wehren. Vor dem Börsengang hatte SKS noch ungerührt mit einer Eigenkapitalrendite von 40 Prozent um Investoren geworben; was heute im seltsamen Gegensatz erscheint zu der Idee der Kleinstkredite: Sie basieren auf der Hilfsbedürftigkeit der Armen und gehen als Entwicklungsmodell zurück auf den Ökonomen Muhammad Yunus, der dafür 2006 den Nobelpreis bekam.