Beitrag vom 22.09.2010
Berliner Zeitung
AFRIKA-HILFE
"Quantität wichtiger als Qualität"
UN-MILLENIUMSGIPFEL - Die Kanzlerin nutzt ihren Auftritt in New York zu mehr als einer Rede zur Entwicklungshilfe. Sie kämpft um Deutschlands Sitz im Sicherheitsrat. In innenpolitisch schweren Zeiten kommt ihr das internationale Gastspiel gerade recht.
Kerstin Krupp
Herr Seitz, Sie kritisieren die übliche Praxis der Entwicklungshilfe vor allem in Afrika und fordern eine Reform. Wie soll die aussehen?
Die Quantität der Hilfe scheint wichtiger als die Qualität. Elendsklischees verkaufen sich. Das Bild vom hilfsbedürftigen Afrika ist ein Produkt des politischen Lobbyismus "für Afrika". Politiker lassen sich von Popstars unter Druck setzen. So bleibt Afrika-Politik oft an der auf das "Helfen" reduzierten Oberfläche. Welcher deutsche Politiker hat schon mit kritischen Afrikanern wie George Ayittey, Moeletsi Mbecki oder Andrew Mwenda gesprochen?
Was muss getan werden?
Anders als bisher müssen wir Eigenverantwortung einfordern und Missstände nicht weiter beschönigen. Wir dürfen nicht weiter den Mangel an Rechtsstaatlichkeit bagatellisieren. Die Norweger probieren ein neues Konzept "Cash on Delivery" (Geld nach Fertigstellung) in Tansania aus. Die alleinige Verantwortung zum Beispiel für den Bau eines Krankenhauses liegt beim Entwicklungsland. Sobald der Nehmerstaat Ergebnisse nachweist, von unabhängigen Prüfern abgenommen, zahlt der Geber. Sollten wir dieses Konzept übernehmen, werden Tausende Berufsentwicklungshelfer überflüssig. Deshalb ist mit viel Widerstand zu rechnen.
Wie erstrebenswert ist es, dass die Entwicklungshilfe der reichen Länder die magischen 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts erreicht?
Die Qualität der Hilfe an der Höhe der ausgegebenen Mittel zu messen ist Unsinn. Die von nationalen und internationalen Geberorganisationen behaupteten Erfolgsmeldungen sah ich vor Ort selten bestätigt. In der Regel überlebt nur eines von fünf Projekten nach Ende der Hilfe. Der schwedische Entwicklungshilfeforscher Frederik Erixon hat festgestellt, dass ausländische Hilfszahlungen in Kenia und Tansania keinen positiven Einfluss auf das Wirtschaftswachstum hatten.
Den Entscheidungsträgern haben Sie vorgeworfen, sie hätten kein Interesse daran, die Probleme in den armen Ländern zu lösen. Warum?
Korrupte Politikerkasten bereichern sich am Vermögen der ärmsten Länder. Sie haben kein Interesse, das System zu verändern. Ruandas Präsident - kein Demokrat - hat gezeigt, wie es anders geht. Er hat viel in Bildung und Gesundheit investiert. In keinem Land findet man mehr Frauen in wichtigen Positionen. Sie sind für Ruandas Aufschwung zu einem der fortschrittlichsten Staatswesen in Afrika verantwortlich.
Entwicklungsminister Niebel will die Hilfe stärker an den wirtschaftlichen Bedürfnissen Deutschlands und auf Exporte ausrichten. Wäre das ein besserer Weg?
Ich sehe das nicht so negativ, wie es manchmal dargestellt wird. Außerdem gibt es meines Wissens auch Überlegungen im Ministerium einen Teil der jährlich über sechs Milliarden deutscher Hilfe in Risikokapital umzuwandeln. Mit Krediten könnten etwa Konserven- oder Zuckerfabriken errichtet werden. Das würde den Menschen Arbeit geben und sie aus der Armut befreien.
Das Gespräch führte Kerstin Krupp.
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Volker Seitz, 67, war 17 Jahre als Diplomat in Afrika und ist Autor des Buches "Afrika wird armregiert".