Beitrag vom 12.08.2010
KÖLNER STADT-ANZEIGER
HINTERGRUND RUANDA
Leuchtturm im Herzen Afrikas
Von Wolfgang Drechsler
Desillusioniert vom Versagen der Vereinten Nationen, aber auch der afrikanischen Staaten bei dem Völkermord in seinem Land, hat Präsident Paul Kagame in Ruanda einen ganz eigenen pro-westlichen Weg beschritten. Der wirtschaftliche Erfolg gibt ihm Recht.
Die einen betrachten Ruandas Staatschef als vorbildlichen Modernisierer und Versöhner, die anderen als Kriegstreiber und Autokraten. Unbestritten ist, dass Paul Kagame 1994 den Völkermord in Ruanda stoppte. Während die Welt damals tatenlos zusah, wie binnen 100 Tagen 800.000 Menschen, zumeist Mitglieder der Tutsi-Minderheit, massakriert wurden, marschierte Kagame mit seiner Tutsi-Armee aus dem benachbarten Uganda ein - und stürzte das Regime der Hutu-Extremisten.
Die Menschen haben die Befreiung des Landes vor 16 Jahren offenbar noch nicht vergessen: Obwohl auch der Urnengang am Montag erneut von einigen politischen Morden und dem Fehlen einer echten Opposition überschattet wurde, genießt Kagame im Land große Unterstützung. Die fast 93 Prozent, die er nach den nun vorliegenden Auszählungen erhalten hat, mögen der Realität nicht entsprechen. Dennoch sind viele Beobachter überzeugt, dass die Mehrheit der fast neun Millionen Ruander hinter ihrem Staatschef stehen, zumal sich vor allem die wirtschaftliche Lage in dem zentralafrikanischen Land in den letzten Jahren spürbar verbessert hat - ein in Afrika fast einmaliger Vorgang.
Desillusioniert vom Versagen der Vereinten Nationen aber auch der afrikanischen Staaten bei dem Völkermord, hat Kagame in Ruanda einen ganz eigenen Weg beschritten: Während die meisten seiner afrikanischen Kollegen der Vetternwirtschaft frönen, aber bei jeder Gelegenheit den Westen für ihr Versagen verantwortlich machen, hofiert Kagame westliche Staats- und Wirtschaftsführer. Der frühere britische Premier Tony Blair zählt seit langem zu seinen Beratern. Auch kommt es nicht von ungefähr, dass Kagame enge Beziehungen zu Israel unterhält. Denn beide Staaten leben mit einer äußeren Bedrohung und haben einen Völkermord durchlebt. Viele Geberländer betrachten Ruanda heute als einen Vorzeigestaat - als einen Leuchtturm auf einem Kontinent, der insgesamt immer weiter zurückfällt.
Wirtschaftlich ist Ruanda mit durchschnittlichen Wachstumsraten von 8,4 Prozent in den vergangenen fünf Jahren tatsächlich erheblich besser vorangekommen als der Rest Afrikas. Unter Kagames Führung hat sich das Sozialprodukt seit 2005 verdoppelt, auch wenn es mit nur fünf Milliarden Dollar (rund 3,8 Milliarden Euro) noch immer sehr gering ausfällt. Die meisten Ruander haben heute zudem eine Krankenversicherung. Und selbst die Steuereinnahmen steigen Jahr für Jahr um zwölf Prozent - ein in Afrikas fast ungekanntes Phänomen. Im jüngsten "Doing Business"-Report der Weltbank wird das Land deshalb auch als weltweit "bester Reformstaat" gelobt - binnen eines Jahres verbesserte sich Ruanda von Rang 143 auf Platz 67. Außerdem könnte Ruanda als vielleicht einziger afrikanischer Staat die von den UN vorgegebenen Zielen zum Armutsabbau erreichen.
Dennoch bleibt bei allem ein fader Beigeschmack: Kagame hat seine schlagkräftige Armee mehrfach in den Kongo einmarschieren lassen und dabei angeblich auch dessen Rohstoffe geplündert. Außerdem hat er Ruanda in eine Art Überwachungsstaat verwandelt. Es gibt weder Presse- noch Versammlungsfreiheit. So lässt Kagame es nicht zu, dass sich eine offizielle Opposition bildet - und rechtfertigt das mit der notwendigen Versöhnung des ethnisch noch immer tief gespaltenen Landes.
Zwar wurde der Unterschied zwischen Hutus und Tutsis per Dekret offiziell abgeschafft. Doch in der Praxis schwelen die Animositäten weiter. Dennoch hat Kagame vor allem wirtschaftlich allen Grund zum Stolz: Obwohl Ruanda mit 325 Menschen pro Quadratkilometer das am dichtesten besiedelte Land des Kontinents ist, kann es sich selbst ernähren. Seine Regierung hat den Menschen auf dem Lande Rinder, Dünger und besseres Saatgut verschafft - und das Land in diesem Prozess zu einem Selbstversorger gemacht. Auch die Infrastruktur ist in tadellosem Zustand: Die Asphaltstraßen sind für gewöhnlich gut befahrbar und die Polizisten nicht bestechlich. Kein Wunder, dass die Anti-Korruption-Organisation Transparency International Ruanda gerade erst zum wirtschaftlich saubersten Land in Ostafrika erklärt hat. Seit seinem Amtsantritt hat Kagame immer das kleine aber hocheffiziente Singapur als Vorbild betrachtet und nicht den benachbarten Kongo.
Viel wird davon abhängen, ob Ruandas Staatschef sein Versprechen einhält - und in Einklang mit der Verfassung nach dem Ende seiner zweiten Amtszeit im Jahre 2017 mit nur 59 Jahren abtritt. Vor dem Hintergrund des Genozids mag die Kompromisslosigkeit Kagames verständlich sein. Ob sie zukunftstauglich ist und einen Modellcharakter für Afrika hat, wird seine zweite Amtsperiode zeigen.