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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 20.07.2010

DEUTSCHLANDFUNK Sendung:
Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 20.07.2010
Redaktion: Karin Beindorff 11.05 - 12.00 Uhr
Ein Märchen aus Bangladesch

Mikrokredite gegen Armut
Von Gerhard Klas
Co-Produktion Deutschlandfunk/Saarländischer Rundfunk/Südwestrundfunk
DLF-Fassung

2
Atmo: Musik
O-Ton Susanne Reimann
[..]Vision Summit 2009 - Ich bin wirklich beeindruckt und finde es schön, dass so
viele heute nach Berlin gekommen sind.
Erzähler
8. November 2009, im Henry Ford Bau auf dem Gelände der Freien Universität in
Berlin-Dahlem. Obwohl die Teilnahmegebühr für die Tageskonferenz 240 Euro
beträgt, ist es voll geworden. Vor dem Bau stehen Transporter, Wagen der
gehobenen Mittelklasse und Luxuslimousinen. Im Eingangsbereich warten Männer in
maßgeschneiderten Anzügen neben Frauen im alternativen Ökolook der 80er Jahre.
Das Auditorium ist zu klein für die 1200 Besucher, viele müssen stehen. Das Treffen,
daran lässt die Moderatorin Susanne Reimann keinen Zweifel, ist aufgeladen mit
Symbolik.
O-Ton Reimann
Another wall to fall - das haben Sie schon gelesen, das ist das Motto unter dem der
diesjährige Vision Summit steht, und alle, die hierher gekommen sind, [..] haben
zusammen ein Ziel: Dass diese Mauer, die Mauer der Armut, bitte endlich fallen
möge, für uns alle. Und ich denke, das ist eine noch größere Aufgabe als die, vor der
man hier vor 20 Jahren gestanden hat.
Ansage
Ein Märchen aus Bangladesch.
Mikrokredite gegen Armut
Ein Feature von Gerhard Klas.
Atmo: Musik
Erzähler
Es ist ein illustres Publikum, das sich in Berlin den Kampf gegen die Armut auf die
Fahnen geschrieben hat: Vertreter von neoliberalen Regierungen und von

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Nichtregierungsorganisationen; Manager und Vorstandsvorsitzende von
multinationalen Konzernen und Mitarbeiter von karitativen Verbänden.
Der Superstar ist ein Friedensnobelpreisträger.
O-Ton Reimann
Ich weiß nicht, ob Muhammad Yunus damals in den 70er Jahren, als er in
Bangladesch die Bank der Armen gegründet hat, ob er damals schon wusste, dass
er den Stein ins Rollen bringt, [..] der irgendwann diese hohe Mauer, die es jetzt zu
überwinden gilt, zum Einsturz bringen wird. [..] es ist wunderbar, dass er heute mit
dem gesamten Grameen-Team hier nach Berlin gekommen ist, um von seinen
Erfahrungen zu berichten und damit noch viel mehr Steine ins Rollen zu bringen.
Erzähler
Viele Zuhörer im Auditorium, darunter junge, enthusiastische Frauen und Männer,
hält es nicht mehr auf den Sitzen.
O-Ton Reimann
Ganz herzlich Willkommen Professor Yunus (Beifall). Good morning, ich freue mich
sehr, dass Sie gekommen sind, wir sind sehr stolz, Sie heute hier zu haben. (Beifall)
Faktensprecherin
Muhammad Yunus ist Wirtschaftsprofessor, Sohn eines wohlhabenden Juweliers und
Gründer der Grameen-Bank. Seit mehr als 30 Jahren vergibt seine Bank
Kleinstkredite an die Armen in Bangladesch. Bei Entwicklungshilfeministerien und
Nichtregierungsorganisationen im Westen stieß sein Projekt in den 90er Jahren auf
positive Resonanz und leitete eine Trendwende in der Entwicklungspolitik ein. Die
Weltbank unterstützt und fördert diesen Ansatz, der davon ausgeht, dass sich auch
Entwicklungsprojekte wirtschaftlich selbst tragen sollen. Die Armen brauchen keine
Zuschüsse, sondern Kredite, lautet die Maxime. Im Jahr 2006 erhielt Muhammad
Yunus für sein Konzept den Friedensnobelpreis. Mittlerweile können Arme auch in
den USA und Europa Mikrokredite bekommen. Die christlich-liberale Regierung in
Berlin hat sie im Koalitionsvertrag zustimmend erwähnt. Und immer wird in diesem
Zusammenhang auf Muhammad Yunus verwiesen, denn er hat in Bangladesch das

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weltweit größte Mikrokreditunternehmen aufgebaut: Die Grameen Bank, übersetzt
"Dorf-Bank". Heute hat sie 2500 Filialen und 25 000 Mitarbeiter.
O-Ton Yunus
We lend money to extremely poor people, for income generating activities. …..Today
in Bangladesh, in Grameen Bank, we have 7,5 Million borrowers, 97 percent women.
Sprecher 1
Wir verleihen Geld an extrem arme Menschen, damit sie sich Verdienstmöglichkeiten
aufbauen können. Mikrokredite, das sind Kleinstdarlehen von 30, 50 oder 100 Dollar,
die in wöchentlichen Raten zurückbezahlt werden. Dafür brauchen wir weder
Sicherheiten noch Gerichtsvollzieher. Trotzdem ist die Rückzahlquote sehr hoch. Sie
liegt zwischen 98 und 99 Prozent. Mikrokredite sind sehr wichtig, denn sie fördern
Eigeninitiative und individuelle Fähigkeiten. Die Menschen können sich nach ihren
eigenen Vorstellungen eine Einkommensquelle schaffen, um der Armut zu
entkommen. Vor allem Frauen können von Mikrokrediten profitieren. Von den 7,5
Millionen Kreditnehmern der Grameen Bank in Bangladesch sind 97 Prozent Frauen.
Faktensprecherin
ASA - Association for social Advancement - Assoziation für soziale Entwicklung und
BRAC - Bangladesh Rural Advancement Committee, übersetzt: Komitee für die
Förderung der ländlichen Entwicklung - so heißen die beiden anderen großen
Organisationen, die wie die Grameen Bank mit Mikrokrediten Geschäfte machen.
Beide sind ebenso wie die Grameen Bank auch in anderen asiatischen Ländern,
aber auch in Afrika und Lateinamerika tätig.
Erzähler
Als der Vorstandsvorsitzende von BRAC - Fazle Hasan Abed - am 16.Februar 2010
im Buckingham Palace von der britischen Queen zum Ritter geschlagen wurde, war
der Jubel in den besseren Vierteln der Hauptstadt Dhaka beinahe ebenso groß wie
bei der Verleihung des Friedensnobelpreises an Muhammad Yunus 2006. Der
Landbevölkerung allerdings ist bis heute nicht zum Feiern zu Mute.

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Faktensprecherin
Bangladesch ist doppelt so groß wie Bayern und hat 160 Millionen Einwohner. Die
meisten leben von der Landwirtschaft. Die große Mehrheit ist muslimischen
Glaubens. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist arm, verdient weniger als einen
Dollar pro Tag. Beinahe ein Fünftel der Bewohner - 30 Millionen - sind Kunden bzw.
Kundinnen bei einer Mikrofinanzinstitution. Mehr Menschen als irgendwo sonst auf
der Welt.
Sprecher 1 Zitat Yunus
Das wichtigste ist,
Faktensprecherin
schreibt Muhammad Yunus in seinem Buch "Die Armut besiegen",
Sprecher 1 Zitat
dass laut einer internen Erhebung der Grameen Bank 64 Prozent der
Kreditnehmerinnen, die fünf oder mehr Jahre von uns betreut wurden, die
Armutsgrenze hinter sich gelassen haben.
Erzähler
Hält diese Behauptung einer unabhängigen Überprüfung stand? Ich frage Anu
Muhammad, den Leiter der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der
Jahangirnagar Universität in der Nähe der Hauptstadt Dhaka.
O-Ton Anu Muhammad
From our studies…situation deteriorated.
Sprecher 4
Unsere Studien und die anderer Wissenschaftler haben ergeben, dass etwa 5-10
Prozent der Kreditnehmer von den Mikrokrediten profitiert haben. Und das sind
diejenigen, denen noch andere Einkommensquellen zur Verfügung stehen, also nicht
die Ärmsten der Armen. Sie landen in der Schuldenfalle. Bei 45-50 Prozent der
Schuldner ändert sich nichts an ihrer Situation, und die von weiteren 40 Prozent
verschlechtert sich erheblich.

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Faktensprecherin
Die Grameen-Bank nimmt für ihre Minikredite 20 Prozent Zinsen. Das ist beinahe
doppelt so viel wie der Zinssatz für einen Überziehungskredit auf einem Girokonto in
Deutschland. Dabei gilt die Grameen Bank im Vergleich zu den anderen
Organisationen in Bangladesch noch als günstig. Sie nehmen bis zu 40 Prozent
effektive Zinsen, die bei einigen Organisationen auch als Dienstleistungs-Gebühren
getarnt werden. Grameen hat zehn Kriterien entwickelt, die markieren, wann eine
Familie aus der Armut befreit ist: u.a. drei Mahlzeiten täglich, Schulbesuch der
Kinder, sauberes Trinkwasser und Latrinen. Außerdem sollte die Familie in der Lage
sein, jede Woche Raten von 200 Taka - umgerechnet etwas mehr als zwei Euro - an
die Grameen-Bank zahlen zu können. Das sind drei durchschnittliche
Tagesverdienste. Die Grameen Bank setzt also auf eine langfristige Bindung ihrer
Schuldner.
ATMO: Manikganj Vögel
Erzähler
Manikganj ist ein Distrikt im Norden der 15 Millionenmetropole Dhaka. Mahbub Alam
hat sich hier in seinem Heimatdorf zur Ruhe gesetzt. Viele der Häuser sind auf kleine
Hügel gebaut, denn in der Monsunzeit tritt der nahegelegene Dhaleshwari Fluss
regelmäßig über die Ufer und überschwemmt die Dörfer. Mahbub Alam hat bis 2006
als Vertreter der Grameen Bank gearbeitet, 17 Jahre lang. Jetzt ist er Mitte 60 und
blickt zufrieden auf sein Berufsleben zurück.
O-Ton Mahbub Alam
Sprecher 5
Als Vertreter bin ich in die Dörfer gegangen, von Tür zu Tür. Dort habe ich mit den
Frauen gesprochen. Ich habe mir viel Mühe gegeben sie davon zu überzeugen, dass
die Grameen Bank eine gute Bank ist. Wenn ihr einen Kredit nehmt, habe ich ihnen
gesagt, wird sich euer Leben verbessern, ihr werdet all eure wirtschaftlichen
Schwierigkeiten überwinden.

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Erzähler
Verdient hat Mahbub Alam nicht schlecht bei der Grameen Bank, die ihre
Angestellten in Anlehnung an die Gehälter der staatlichen Bankangestellten bezahlt:
Umgerechnet mehr als 100 Euro monatlich, mehr als dreimal so viel wie der
Durchschnitt seiner Klientinnen.
ATMO: Roshida Kathoom
Erzähler
Im selben Distrikt fahre ich in das kleine Dorf Barai Wikora. Hier lebt Roshida
Kathoom, eine langjährige Kundin der Grameen Bank. Für ihre 38 Jahre sieht sie
ungewöhnlich alt aus. Sorgen und Nöte haben ihr Gesicht gezeichnet. Sie hat drei
Töchter. Die beiden ältesten, 22 und 17, sind bereits verheiratet und leben bei ihren
Männern. Ihre 14-jährige Tochter lebt noch mit ihr in einer etwa 10 qm großen
Bambushütte mit Blechdach, die mit weiteren Hütten auf einem aufgeschütteten
Hügel steht. [..] In dem einen Raum gibt es nur zwei Holzstühle, ein Pritsche, bedeckt
mit Tüchern, in einer Ecke das Blechgeschirr. An der Wand hängt ein Foto ihres
Mannes. Er ist vor zwei Jahren an Nierenversagen gestorben. Es gibt keinen
Stromanschluss, aber bis zur nächsten Wasserpumpe sind es immerhin nur wenige
Meter.
O-Ton Rashida Khatoom
Sprecherin 2
Während der Flut 1988, als mein Mann außerhalb des Dorfes gearbeitet hat, habe
ich mir 40 Euro von der Grameen Bank geliehen. Als mein Mann zurückkam, war er
gar nicht böse und sagte, dass wir die Raten schon stemmen werden. Als es dann
doch nicht geklappt hat, haben sie mir neue Kredite angeboten, damit ich die Raten
bezahlen konnte. So ging das immer weiter. Ich habe es nie geschafft, alle Schulden
abzubezahlen. Eines Tages kamen sie mit ihren Motorrädern vorgefahren, haben mir
gedroht und mich beschimpft. Dann habe ich eine meiner Hütten verkauft.
Erzähler
Dabei blieb es nicht. Auch die Hälfte ihres Ackerlandes, auf dem sie Bohnen,
Guaven, Kokosnüsse und Papayas anbaute, hat sie mittlerweile veräußern müssen -

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etwa ein Viertel Hektar. Zusätzlich musste sie noch jede Woche Geld bei der
Grameen Bank ansparen - als Sicherheit. Aber diese Ersparnisse stehen ihr längst
nicht mehr zur Verfügung.
Mahbub Alam hat mir den Stufenplan für säumige Schuldner erklärt.
O-Ton Mahbub Alam
Sprecher 5
Wenn jemand seine Raten nicht zahlen konnte und genug angespart hatte, dann
haben wir die Ausfallraten vom Ersparten abgezogen. [..] Wenn das Ersparte
aufgebraucht war, versuchten wir die Schuldnerin zu motivieren, woanders Geld zu
besorgen. Manchmal musste ich einen ganzen Tag lang warten, bis Nachbarn oder
Verwandte ihnen schließlich das Geld gaben.
Erzähler
Für Roshida Khatoom entwickelte sich dieser Stufenplan zu einem Albtraum. Denn
irgendwann gaben ihr die Nachbarn - viele von ihnen selbst alles andere als gut
betucht - kein Geld mehr. Sie lieh sich Geld bei den anderen großen Organisationen,
bei ASA und BRAC, um die Raten für die jeweils älteren Schulden abzuzahlen. Fast
jeden Tag muss Roshida Khatoom nun in einer anderen der sogenannten
‚Frauenselbsthilfegruppen' sitzen und sich dort gegenüber den anderen Frauen
rechtfertigen. Einmal wöchentlich findet das Zentrums-Treffen mit den Grameen-
Mitarbeitern statt. Dort versammeln sich mehrere Gruppen, insgesamt 50 bis 60
Frauen.
O-Ton Roshida Khatoom
Sprecherin 2
Bei diesen Treffen sitzen wir auf Bastmatten in einer Runde. Dann gehen die Männer
herum und kassieren die wöchentlichen Raten. Sie loben die Frauen, die genügend
Geld mitbringen und beleidigen diejenigen, die es nicht geschafft haben. Wenn die
Frauen deswegen wegbleiben, werden sie gesucht und auf die Treffen geschleppt.
Meistens kann ich nicht die ganze Rate bezahlen und hin und wieder schwänze auch
ich die Treffen. Aber ich bin nicht die einzige - nur wenige Frauen können
regelmäßig ihre kompletten Raten zahlen, die meisten werden beschimpft. Es gibt so
viele säumige Schuldnerinnen.

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Erzähler
Auch ihr Mann lieh sich wieder Geld. Nicht bei der Grameen Bank oder den anderen
Mikrofinanzorganisationen, sondern bei den privaten Geldverleihern im Dorf, die bis
zu 100 Prozent Zinsen nehmen. Wollte der hochdekorierte Friedensnobelpreisträger
Muhammad Yunus mit den Mikrokrediten die Menschen nicht aus der
Schuldknechtschaft der privaten Geldverleiher befreien? Mahbub Alam, der
ehemalige Grameen-Mitarbeiter, muss zugeben, dass mindestens 50 Prozent der
Mikrokreditkunden bei mehreren Organisationen bzw. Geldverleihern Schulden
haben.
O-Ton Mahbub Alam
Sprecher 5
Wenn es mir nicht gelang, die Raten einzusammeln, gab es Ärger mit dem
Vorgesetzten. Der erhöhte dann den Druck, damit ich endlich die fälligen Raten
mitbringe. Der Druck stieg mit jedem Tag. Es schadete der Karriere. Manchmal ist
dann die ganze Belegschaft, zusammen mit dem Manager der Filiale, zu einer
säumigen Schuldnerin gefahren, um sie zu motivieren.
Erzähler
Was "motivieren" genau bedeutet, will mir Mahbub Alam nicht genauer schildern.
O-Ton Mahbub Alam
Sprecher 5
Es ging nicht um mentalen Druck und wir haben sie nicht gefoltert. Wir sollten es
einfach ‚motivieren' nennen, nicht ‚Druck ausüben'.
O-Ton Roshida Khatoom
Sprecherin 2
Die Schulden haben meinen Mann umgebracht,
Erzähler
sagt Roshida Khatoom. Der ewige Stress wegen des Geldes habe seine Genesung
verhindert.

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O-Ton Roshida Khatoom
Sprecherin 2
Es wäre besser gewesen, es hätte diese Geldverleiher und Kreditorganisationen in
unserem Dorf nie gegeben. Meine 14-jährige Tochter muss jetzt auf dem Feld
arbeiten und helfen, die Schulden abzubezahlen, während andere Mädchen in ihrem
Alter die Schule besuchen können.
Sprecher 1 Zitat Yunus
Als wir das Verhalten der Menschen beobachteten, denen wir Geld liehen,
Faktensprecherin
Muhammad Yunus in seinem Buch "Die Armut besiegen",
Sprecher 1 Zitat
stellten wir bald fest, dass es für arme Familien von größerem Nutzen ist, wenn man
nicht dem Mann, sondern der Frau einen Kredit gibt. Wenn Männer Geld verdienen,
neigen sie dazu, es für sich selbst auszugeben, während das Einkommen einer Frau
der ganzen Familie zu Gute kommt, insbesondere den Kindern.
Erzähler
Wirtschaftswissenschaftler Anu Muhammad kommt in seinen Untersuchungen über
Bangladesch zu anderen Ergebnissen.
O-Ton Anu Muhammad
Child labor is increasing...to repay the instalments.
Sprecher 4
Die Kinderarbeit nimmt zu. Und Mikrokredite eröffnen keine Möglichkeit, sich aus
diesem Elend zu befreien, sondern erhöhen vielmehr den Druck auf die Familie, in
einer begrenzten Zeit eine bestimmte Summe Geld zu verdienen. Dieses Zeitlimit
wird zum bestimmenden Faktor, um überhaupt am Markt teilnehmen zu können. Also
Geld zu verdienen, um die Raten zu bezahlen.
Erzähler
Sardar Amin hat zehn Jahre lang als Top-Manager für die Grameen-Zentrale in
Dhaka gearbeitet. Er war verantwortlich für den Aufbau der einzelnen Branchen in

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den Distrikten. Zwar gibt es auch einige Männer, die direkt Kredite von der Grameen-
Bank bekommen, aber Sardar Amin hat eine andere Erklärung als Muhammad
Yunus dafür, warum von Anfang an Frauen bei der Grameen Bank bevorzugt
wurden.
O-Ton Sardar Amin
A women is very manageable…make them as their requirements.
Sprecher 5
Eine Frau ist leicht zu handhaben. Sie ist ahnungslos und man kann ihr beibringen,
was man will, denn sie hat keinerlei Wissen über die moderne Welt oder gar die
Wirtschaft. Für die Grameen-Bank sind Frauen wie Lehm in den Händen, den sie
nach ihren Erfordernissen formen kann.
ATMO: Aufzug
Erzähler
Purana Paltan 62, ein Wolkenkratzer im Herzen von Dhaka. Auch im
Eingangsbereich sind der Verkehrslärm und das ewige Hupen noch deutlich zu
hören. Ununterbrochen rollt der Strom der Fahrzeuge, jeder Zentimeter Fläche wird
genutzt. Die 15 Millionen Stadt platzt aus allen Nähten, jeden Tag wächst sie um
etwa 2000 Menschen, die in Dhaka auf ein besseres Leben hoffen. Hier, im Zentrum
der Stadt, hoch oben im 11. Stock, residiert die 2006 ins Leben gerufene Mikrokredit-
Aufsichtsbehörde.
ATMO: Aufzug öffnet sich
Erzähler
Lila Rashid, die Direktorin, hat die staatliche Behörde mit aufgebaut. Sie hat in den
USA Wirtschaftswissenschaften studiert und vorher für die Zentralbank in
Bangladesch gearbeitet. Ihre Behörde erteilt Lizenzen für Mikrofinanzorganisationen.
Seit 2006 haben sich mehr als 4000 Nichtregierungsorganisationen um eine solche
Lizenz beworben. 500 wurden erteilt, 500 abgelehnt, die anderen werden noch
geprüft. Lila Rashid ist der festen Überzeugung, dass Mikrokredite grundsätzlich

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etwas Gutes sind und den Armen helfen, indem sie durch Kleinstkredite in den Markt
integriert werden.
O-Ton Lila Rashid
Many organisations shifted their programme…involvment with the people.
Sprecherin 6
Viele Nichtregierungsorganisationen, NGOs, haben ihr Programm umgestellt,
nämlich von anderen sozialen Aktivitäten auf Mikrokredite. Oder sie haben
Mikrokredite als weiteres Feld hinzuaddiert. In den 90er Jahren hat ein
grundlegender Wandel stattgefunden: Haben sich zuvor NGOs zu 100 Prozent über
Spenden finanziert, fiel dieser Anteil auf zehn Prozent. Es gibt immer weniger
Spenden, also müssen die NGOs neue Einnahmequellen erschließen. [..] Diese
Mikrokredit-NGOs sind so groß geworden, dass wir sie als einen weiteren
Finanzmarkt neben dem traditionellen, formellen Finanzmarkt betrachten müssen,
wegen ihres Geldvolumens und der Anzahl der Menschen, mit denen sie zu tun
haben.
Faktensprecherin
Umgerechnet etwa 2,4 Milliarden Euro sind derzeit in Bangladesch als Mikrokredite
in Umlauf. Und die Geldmenge erhöht sich ständig, da auch internationale Investoren
das Geschäft mit den Kleinstkrediten entdeckt haben. BRAC, die Konkurrenz der
Grameen-Bank, finanziert sich hauptsächlich über Investoren. Sie leiht sich unter
anderem Geld bei der ehemaligen britischen Kolonialbank Standard Chartered.
O-Ton Anu Muhammad
Grameen Bank established the fact that...micro credit because of ist success.
Sprecher 4
Die Grameen Bank hat bewiesen, dass die Armen ein großer Markt für das Geschäft
mit den Mikrokrediten sind. Das ist ein wichtiges Signal für das Finanzkapital in aller
Welt. Denn es gibt eine Kreditkrise. Die Mittelschicht fragt Kredite kaum noch nach
oder hat Zahlungsschwierigkeiten, während sich immer mehr Kapital auf der Suche
nach Anlagemöglichkeiten anhäuft. Viele Finanzinstitutionen sind interessiert,
angezogen vom Erfolg des Mikrokredits.

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Faktensprecherin
Die Grameen Bank hat in Bangladesch einen Sonderstatus. Sie untersteht nicht der
Regulierungsbehörde. Auf Betreiben von ihrem Gründer Muhammad Yunus
verabschiedete die Regierung in Dhaka bereits 1983 ein maßgeschneidertes
Grameen-Gesetz. Im Gegensatz zu den anderen Mikrokredit-NGOs darf die
Grameen-Bank z.B. freiwillige Spareinlagen von Dritten einsammeln. Vor allem die
Ober- und Mittelschicht in Bangladesch hat auf diesem Wege umgerechnet eine
Milliarde Euro in die Grameen Bank gesteckt. Alle, einschließlich der Grameen-Bank,
müssen keine Steuern auf ihre Zinsgewinne bezahlen. Schließlich, so heißt es,
handele es sich um soziale Unternehmen.
Erzähler
Das Geld darf nicht ruhen, es muss immer in Umlauf bleiben, damit es Profit abwirft.
Die Folge: Die Mehrfachverschuldung nehme drastisch zu, sagt Lila Rashid.
O-Ton Lila Rashid
We know that a few years back…it is a real concern for us.
Sprecherin 6
Vor einigen Jahren waren es noch 40 Prozent der Kreditnehmer, die bei mehr als
einer Mikrofinanzinstitution verschuldet waren. Heute sind es schon 70 Prozent. Das
macht uns wirklich Sorgen.
ATMO: Platz hinter Moschee, Krähe
Faktensprecherin (Zitat Zeitung)
"Ganipur, Noakhali Distrikt. Geschäftsmann nimmt sich das Leben, weil er
Kreditraten der Grameen-Bank nicht bezahlen kann." So titelt die
bengalischsprachige Tageszeitung "Amader Shomoy" - "Unsere Zeit" am 25.Februar
2010.
Erzähler
Abdus Shoban, Anfang 40, hat sich hinter der Koranschule an einem vorstehenden
Dachbalken aufgehängt. Zuletzt wird sein Blick vielleicht noch einmal über die grünen
Reisfelder gestreift sein, die von der Rückwand der Schule aus zu sehen sind. Dort

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hatte er als junger Tagelöhner einst versucht, seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Später hat er als Küchenhelfer gearbeitet. Dann wollte er sich endlich selbständig
machen. Also lieh seine Frau umgerechnet 200 Euro bei der Grameen-Bank, damit
er eine Teebude auf dem nahegelegenen Markt eröffnen konnte. Doch er erkrankte
an Blasenkrebs, musste zweimal operiert werden, konnte nicht mehr arbeiten.
Weitere Kredite wurden aufgenommen, um die Behandlung zu bezahlen.
ATMO: Siedlung Gonipur, Kokosnüsse
Erzähler
Am Rande des Dorfes, dort, wo er wohnte, nannten ihn alle wegen seiner
ungewöhnlich dunklen Hautfarbe Kalu Mia - den "Schwarzen", erzählt man mir. Die
Siedlung liegt auf einer kleinen Aufschüttung, die dem Schutz vor der alljährlichen
Flut während des Monsuns dient. Im Hof hackt ein Bewohner - nackter Oberkörper,
nur gekleidet in ein Tuch, das er sich um die Lenden gewickelt hat - mit einer
Machete Kokosnüsse auf, um anschließend den Saft für die Gäste in Gläser zu
füllen. Auf den knapp 100 qm leben acht Familien, etwa 50 Personen. Die
Wohnverhältnisse sind sehr beengt, eine Hütte steht neben der anderen. Hier weiß
jeder über die Angelegenheiten des Nachbarn bescheid.
ATMO: Siedlung Gonipur, Kokosnüsse
Erzähler
Selbstmord gilt bei den Muslimen in Bangladesch als Fahrkarte in die Hölle. Der
jüngere Bruder schildert mir den Verstorbenen als strenggläubigen Muslim, der fünf
Mal am Tag betete.
O-Ton Rob
Sprecher 3
Ich denke, mein Bruder hat sich umgebracht, weil er nicht mehr das Geld verdienen
konnte, das seine Frau zurückzahlen musste. Für ihn war es eine Frage der Würde.
Mit seiner Teebude hat er zum Schluss, als er krank war, kaum noch etwas verdient.
Er konnte nicht einmal mehr für den Unterhalt der Familie sorgen. Dieser Druck hat
ihn richtig fertig gemacht.

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ATMO: Siedlung Gonipur
Erzähler
Umgerechnet neun Euro musste seine Frau Monora jede Woche zahlen, mehr als
ihren durchschnittlichen Wochenverdienst. Den letzten Monat vor dem Tod ihres
Mannes hatte sie kein Geld mehr. Als der Bruder mir erzählen will, was dann
geschah, wird es unruhig in der Siedlung. Denn etwa 30 Leute hören uns zu,
darunter auch die Nachbarsfrauen, mit denen Monora in einer sogenannten
Selbsthilfegruppe ist.
O-Ton Rob
Als sie nicht zurückzahlen konnte, sind die Frauen aus beiden Gruppen - die der
Grameen Bank und die der Islamic Bank - gekommen und haben Druck ausgeübt.
Warum hast du den Kredit aufgenommen, wenn du ihn nicht abbezahlen kannst,
haben sie Monora vorgeworfen. Auch die Grameen Mitarbeiter sind regelmäßig
aufgetaucht: Was immer dir gehört, verkauf es, haben sie Monora gesagt.
Erzähler
Die Witwe, strenggläubig wie ihr verstorbener Mann, trauert und lässt sich nicht auf
dem Hof der Siedlung blicken. Verdeckt von einem Vorhang, sitzt sie auf einer
Pritsche in ihrer Hütte,
O-Ton Monora
Sprecherin 2
Mein Mann hat mir manchmal sein Leid geklagt. Als er kein Geld mehr verdienen
konnte, war er sehr entmutigt. Er beklagte sich über unsere Lebensverhältnisse,
unsere Armut und die Last, die wir zu tragen haben. Manchmal habe ich versucht,
ihn zu beruhigen. ‚Wir schaffen das schon', habe ich ihm dann gesagt, obwohl ich
mich selbst gefragt habe, wie er all die Belastungen aushalten soll.
Erzähler
Monora ist 35 Jahre alt. Sie und ihr Mann hatten auf ein besseres Leben gehofft,
darauf, mit dem Geld der Grameen-Bank der Armut und der Tagelöhnerei zu

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entfliehen. Nun steht sie mit ihren drei Kindern allein da. Die beiden Söhne, 17 und
12 Jahre alt, haben dem Vater beim Verkauf in der Teebude geholfen, der jüngste
hat nie eine Schule besucht. Ihre Tochter muss sie noch verheiraten. Dafür braucht
sie die in vielen Regionen Südasiens [..] übliche Mitgift.
O-Ton Monora
Sprecherin 2
Wie soll ich die Raten abbezahlen, wer wird mir helfen? Ich habe einen kleinen Sohn
und eine Tochter, die ich noch verheiraten muss. Das ist meine größte Sorge. Wie
soll ich das nur schaffen?
Sprecher 1 Zitat Yunus
Keine der Frauen, die ein Darlehen bei der Grameen-Bank aufnimmt, ist auf sich
allein gestellt -
Faktensprecherin
Muhammad Yunus in seinem Buch "Die Armut besiegen" -
Sprecher 1 Zitat
Jede Kreditnehmerin gehört zu einer Gruppe von fünf von ihr selbst ausgewählten
Freundinnen, zwischen denen kein enges Verwandtschaftsverhältnis bestehen darf.
Wenn eine der fünf Freundinnen einen Kredit aufnehmen möchte, braucht sie dafür
die Zustimmung der übrigen vier. Obwohl jede Kreditnehmerin selbst für ihr Darlehen
verantwortlich ist, funktioniert die Gruppe wie ein kleines, soziales Netzwerk, dessen
Mitglieder einander gegenseitig aufmuntern, psychologisch unterstützen und
gelegentlich in praktischen Fragen unter die Arme greifen. [..]Der [..] positive soziale
Druck trägt dazu bei, die Kreditnehmerinnen dazu zu bewegen, ihren Verpflichtungen
nachzukommen.
Erzähler
Die Frauenrechtlerin Farida Akther leitet die Organisation UBINIG. Sie hatte schon
viele Gelegenheiten diesen "positiven sozialen Druck" zu beobachten, über den die
betroffenen Frauen nur ungern reden, weil sie sich schämen.
O-Ton Farida Akther

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They say - which sounds very good - you don't have to pay any collateral …using
the force of your sister or the neighbour on behalf of the bank.
Sprecherin 6
Die Grameen Bank sagt - und das hört sich sehr gut an - ihr müsst keine
Sicherheiten mitbringen. Auch wenn ihr ganz arm seid, könnt ihr einen Kredit
bekommen, die Gruppe ist eure Sicherheit. [..] Wenn dann eine ihren Kredit nicht
mehr bezahlen kann, üben die anderen vier Druck aus. Eine gefährliche Sache, denn
die Frauen werden zu Feindinnen gemacht. Anstatt sich gegenseitig zu helfen,
benutzt man das Engagement der [..] Nachbarin im Auftrag der Bank.
ATMO: Tangail, Gang durchs Dorf, Webstuhl
Erzähler
Der Distrikt Tangail, nordwestlich der Hauptstadt Dhaka gelegen, war vor vielen
Jahrzehnten einmal wohlhabend. Früher lebten hier viele von der Weberei. Kunstvoll
aus Baumwolle und Seide gewebte Saris aus Tangail galten in ganz Südasien als
Qualitätsware. Das ist lange vorbei, nur noch wenige Weber können damit ihr Geld
verdienen.
ATMO: Tangail, Webstuhl
Faktensprecherin
Ein Drittel der Bevölkerung kann lesen und schreiben. Tangail ist heute die Region in
Bangladesch mit der größten Dichte von Mikrokreditorganisationen. Muhammad
Yunus hat hier schon in den 70er Jahren im großen Stil Darlehen vergeben. Seit
Mitte der 90er Jahre ist in Tangail das Problem der Mehrfachverschuldung bekannt.
ATMO: Lied Mikrokredit
Erzähler
Obwohl hier schon seit 30 Jahren Mikrokredite vergeben werden, lebt die Mehrheit
der drei Millionen Bewohner des Tangail Distrikts noch immer in Armut. Mehr und
mehr Frauen betrachten Mikrokredite mit großer Skepsis. Die meisten
Kreditnehmerinnen sind im Laufe der Jahre an die Grenze ihrer finanziellen

18
Belastbarkeit geraten. Sufia und Rikha Begum aus dem Dorf Khanda Para haben
sogar Lieder gegen die Mikrokredite gedichtet.
ATMO: Lied Mikrokredit
O-Ton Sufia Begum
Sprecherin 2
Nur wenige aus unserem Dorf haben es tatsächlich geschafft, der Armut zu
entkommen. Aber den meisten, etwa drei Viertel, bringen die Mikrokredite überhaupt
nichts. Ich kann nicht verstehen, wie jemand dafür den Friedensnobelpreis
bekommen kann.
ATMO: Haus Rikha Begum, Hundebellen
Erzähler
Rikha Begum war bis zur fünften Klasse in der Schule und kann im Gegensatz zu
ihrer Nachbarin Sufia Begum lesen und schreiben. Sie ist Kleinbäuerin und arbeitet
auf organischer Basis, baut auf einem halben Hektar Ackerland Reis, Senfkörner und
Bohnen an. Ihr Mann verkauft das Gemüse mehrerer Kleinstbetriebe auf dem
Großmarkt in Dhaka. Sie ist froh, dass sie und ihr Mann ohne Mikrokredite
auskommen.
O-Ton Rikha Begum
Sprecherin 2
Wir nehmen keine Kredite, egal von welcher Organisation. Wir bekommen überall im
Dorf mit, welche Probleme die Ratenzahlungen bringen und wie die Leute schlaflose
Nächte verbringen. Mein Mann regt sich schon auf, wenn er nur das Wort Kredit hört.
Erzähler
Rikha Begum wurde 1965 geboren und lebt seit ihrem zehnten Lebensjahr im Dorf
Khanda Para. Damals ist sie hierhin verheiratet worden - bevor die Mikrokredite
kamen.
O-Ton Rikha Begum

19
Sprecherin 2
Als diese Mikrokredit-NGOs noch nicht hier waren, hatten wir Frauen untereinander
sehr gute Beziehungen. Wenn zum Beispiel ein Kind krank war, sind alle dorthin. Wir
haben uns gegenseitig geholfen. Jetzt, mit dem vielen Geld, gibt es oft Streit. Wenn
eine Frau ihre Raten nicht bezahlen kann, meidet sie den Kontakt zu den anderen,
weil sie Angst hat.
Sprecher 1 Zitat Yunus
Die Bank wäre ein normales gewinnorientiertes Unternehmen,
Faktensprecherin
Muhammad Yunus in seinem Buch "Die Armut besiegen",
Sprecher 1 Zitat
wenn sie im Besitz wohlhabender Investoren stünde. Aber dem ist nicht so. Die
Grameen Bank ist Eigentum der Armen: 94 Prozent der Firmenanteile besitzen die
Kreditnehmerinnen selbst. Damit ist die Grameen Bank aufgrund ihrer
Eigentumsstruktur ein Sozialunternehmen.
Erzähler
Bis auf drei Jahre seit ihrer Gründung 1983 hat die Grameen Bank immer Gewinn
gemacht - aber erstmals nach eigenen Angaben 2006 eine Dividende ausgeschüttet.
Sarder Amin, ehemaliger Topmanager der Grameen Bank, kündigte 1999 freiwillig.
Ich treffe ihn in Dhaka, wo er heute mit schlüsselfertigen Neubauten handelt.
O-Ton Sarder Amin
Grameen bank owners is the members…nobody can take any decision.
Sprecher 5
Eigentümer sind die Kreditnehmerinnen nur auf dem Papier. Das hat keinerlei
Bedeutung. Obwohl sich das Direktorium mehrheitlich aus einfachen Mitgliedern
zusammensetzt, armen Tagelöhnerinnen und Rikschafahrern, ist es doch Dr. Yunus,
der die Entscheidungen trifft. Sie haben keine Ahnung, wie die Grameen Bank
funktioniert. Dr. Yunus benutzt sie, um ein demokratisches System vorzeigen zu
können. Aber in Wirklichkeit kann niemand etwas gegen seinen Willen entscheiden.

20
Erzähler
Würde es bei der Grameen Bank mehr Transparenz geben, könnte möglicherweise
ein weiterer Mythos aufgedeckt werden, sagt Sarder Amin. Es handelt sich um ein
Argument, das die Bewunderer der Grameen Bank im Westen - von
Geschäftsbanken bis hin zu Entwicklungsorganisationen - vom Erfolgsmodell der
Mikrokredite bis heute überzeugt.
O-Ton Sarder Amin
Once a man who cannot pay…It was not true and still it is not true.
Sprecher 5
Kann jemand nicht zahlen, wird umgeschuldet. Es gibt einen neuen Kredit. Auf
diesem Wege kann die Grameen Bank sicher stellen, dass keine geplatzten Kredite
auflaufen. Von Anfang an hat die Grameen Bank gesagt, dass 99 Prozent der
Kredite zurückgezahlt werden. Das war nicht wahr und ist immer noch nicht wahr.
O-Ton Maha Mirza
We all love the idea…and this is only because of Grameen bank.
Sprecherin 6
Wir alle waren verliebt in die Idee, wir waren so stolz darauf, dass so etwas in
Bangladesch seinen Anfang genommen hat. So dachte ich 2004. Ich war eine
überzeugte Verfechterin dieses Mikrokredit-Modells. Wenn jemand was Schlechtes
darüber gesagt hat, antwortete ich, dass er ja keine Ahnung habe und mal in die
Dörfer gehen sollte. Dann würde er all die glücklichen Menschen sehen, denen es
heute nur wegen der Grameen Bank so gut ginge.
Erzähler
Maha Mirza, damals Studentin der Wirtschaftswissenschaften, absolvierte 2004 als
begeisterte Yunus Anhängerin ein Praxissemester in der Grameen-Zentrale. Dort
musste sie erfahren, dass bei der Grameen-Bank ein strenges Regiment herrscht.
Ihre Feldarbeit hätte sie gerne im Tangail Distrikt gemacht, wo ihr Vater geboren ist.
O-Ton Maha Mirza

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They take you only to those areas…so they are not going to take you to those
places.
Sprecherin 6
Sie bringen dich nur dorthin, wo sie viele Erfolgsgeschichten vorzuweisen haben und
die Gesprächspartner sehr loyal zur Grameen Bank eingestellt sind. Du besuchst ein
Haus nach dem anderen, arme Leute, denen es jetzt gut geht. Diese Leute können
einen wirklich glauben machen, dass tatsächlich alles funktioniert. Aber wehe man
sucht sich selbst eine Region aus, die man besuchen will. Zum Beispiel Tangail. Dort
gibt es viele Leute , die alles verloren haben und total verschuldet sind. Das lehnt die
Grameen Bank ab, dort bringen sie einen nicht hin.
ATMO: Mongla Sunderbans
Erzähler
Damals hat sie das noch als Marginalie abgetan. Der Sinneswandel von Maha Mirza
setzte erst