Beitrag vom 07.07.2025
NZZ
Eines der besten Biere Afrikas
Der Schweizer Ökonom Eser Karatas will vom Boom in Kamerun profitieren und hat dort eine Brauerei gegründet
Daniel Gerny
In einer Bar irgendwo in Douala, der grössten Stadt und dem Wirtschaftszentrum von Kamerun, sitzt gutgelaunt eine Gruppe Männer und gönnt sich ein Bier. Feierabendstimmung, man prostet sich zu, unterhält sich, lacht, bestellt eine zweite Flasche. «Das Bier schmeckt leicht», sagt einer der Männer in einem Videobeitrag auf «Africa on Air», einer auf Wirtschaft spezialisierten Medienplattform. «Und am Tag danach hast du nicht einmal einen Hangover.»
Dass ihm sein Bier nie Kopfschmerzen bereitet habe – das kann Eser Karatas von sich selber nicht behaupten. Karatas ist Gründer der Brauerei, mit deren Bier die Männer im Film anstossen. Der 41-jährige Schweizer hat vor zwei Jahren am Stadtrand von Douala die Swiss African Premium Beverage (SAPB) aufgebaut. «Rox» heisst sein Bier, und auf der rot-weissen Etikette ist ein Berg zu sehen, der dem Matterhorn nachempfunden ist. Bis allerdings die erste Harasse ausgeliefert wurde, lag Karatas unzählige Nächte schlaflos im Bett. Er zermarterte sich das Gehirn darüber, wie er seine Mission impossible zu einem guten Ende bringen könnte.
Eines Abends hat er die Idee
Dabei scheinen die äusseren Umstände beinahe ideal: Der Biermarkt in Afrika ist hoch dynamisch, nirgendwo wächst er so schnell wie dort. Die Wachstumsraten sind teilweise zweistellig. In Kamerun ist Bier ein zentrales Element der städtischen Ausgeh-Kultur. Bier ist so beliebt, dass es zu gewissen Jahreszeiten, meist im Dezember, sogar zu Versorgungsengpässen kommt. Der Handel wird heute von drei internationalen Grossproduzenten dominiert, die das Land allerdings mit weitgehend austauschbarer Massenware beliefern. «Es fehlt ein gutes Bier», stellte Karatas fest, als er vor vielen Jahren erstmals in Kamerun lebte.
Eser Karatas ist der Typ Mensch, der überall Möglichkeiten sieht. Schon als Jugendlicher, nachdem er mit seiner Mutter als Flüchtling aus der Osttürkei in die Schweiz gekommen war, war das so. Karatas ist zunächst ein mittelmässiger Schüler und hat mit seiner Biografie keine günstigen Startbedingungen. Doch er wird von seinen Lehrern gefördert und realisiert bald, dass er es zu etwas bringen kann, wenn er vollen Einsatz liefert. Er absolviert entgegen allen Erwartungen die Matur und besucht die HSG in St. Gallen. Damit will er sich eine Grundlage schaffen, um etwas zu bewirken. So erzählt er es.
Nach dem Studium nimmt Karatas einen Management-Job in einer Mobilfunk-Firma in Kamerun an. Dort hat er eines Abends seine Bier-Idee, als er sich mit Arbeitskollegen im Ausgang trifft. Wieder daheim, entwickelt er ein Geschäftsmodell. Er erstellt einen Businessplan, geht auf Investorensuche, besucht Fachmessen, braut Bier in seiner Küche. Bald pendelt er zwischen der Schweiz und Kamerun hin und her, sucht einen Produktionsstandort, Rohstoffe und Know-how. Er findet schliesslich einen deutschen Braumeister, der sich von seinem Konzept begeistern lässt.
Oft bringen ihn die Umständlichkeit und die Unzuverlässigkeit in Kamerun an den Rand der Verzweiflung, doch Karatas bleibt hartnäckig. Kurz vor dem Corona-Ausbruch testet er sein Produkt mit 30 000 Flaschen Probe-Bier in Kamerun. Persönlich bringt er sein Bier in einem alten Pick-up in Bars und Restaurants vorbei. Die Resonanz: durchwegs positiv. Er überzeugt das Staatssekretariat für Wirtschaft, sein Projekt finanziell zu unterstützen. Und er zieht definitiv nach Kamerun, bestellt in China eine Brauanlage und baut Anfang 2023 am Stadtrand von Douala eine Fabrikhalle auf.
Die erste Auszeichnung
Jahrelang bereitete er dieses Projekt vor, wobei sich ein Problem an das nächste reiht. Im letzten Sommer aber, fünf Jahre nachdem Karatas mit seinen Test-Flaschen durchs Land getingelt ist, läuft der Laden an. Mit rund fünfzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der Region braut er monatlich zirka 20 000 Liter Bier. Die SAPB ist damit erst eine kleine Brauerei. Später will Karatas die Produktionsmenge erhöhen. Die Kapazität der Anlage entspricht ungefähr jener der Brauerei Chopfab aus Winterthur, doch Karatas hat bereits Ausbauschritte im Kopf. Vorderhand steht für ihn allerdings nicht die Menge im Vordergrund, sondern die Positionierung und die Etablierung seines Bieres als Premiumprodukt.
Die Brauerei setzt dabei auf ein klassisches Pils: Es ist etwas intensiver gehopft, hebt sich aber dennoch nicht allzu stark von den Lagerbieren ab, die in Kamerun vorwiegend getrunken werden. Malz, Hopfen und Hefe, die Basis-Rohstoffe für Bier, kauft Karatas in Europa ein, unter anderem weil in Kamerun praktisch kein Gerstenmalz angebaut wird. Auch deshalb ist «Rox» im Vergleich zu anderen Bieren in Kamerun spürbar teurer. Doch Karatas’ Strategie scheint sich auszuzahlen: Neun Monate nach dem Braustart wird «Rox» beim African Beer Cup als drittbestes Pilsner-Lager des Kontinents prämiert. 260 Biere aus 14 afrikanischen Ländern wurden im Wettbewerb getestet.
Er wird zum Ökostrom-Pionier
So hoch gelobt Karatas Produkt wird: Der Durchbruch ist noch lange nicht geschafft. Sein Bier bringt Karatas vorerst vor allem in Hotels, Bars, Restaurants und Tankstellen in der Region Douala, Buea und Edea an die Leute. Tankstellen sind in Kamerun vor allem am Abend und an den Wochenenden beliebte Treffpunkte und für Karatas deshalb wichtig: Hier gibt es oft klimatisierte Lokale mit Kühlschränken, grossen Fernsehern, auf denen Fussball übertragen wird. Viele Kameruner fahren zu Tankstellen, auch wenn sie gar kein Benzin brauchen. Ausserhalb von Douala und im Detailhandel wird «Rox» noch nicht verkauft – dafür fehlen vorderhand die Mittel für Marketing und Distribution. «Wir müssen extrem knapp kalkulieren», meint Karatas – zumal sich stets neue Schwierigkeiten auftun.
So kämpft die Brauerei mit der mangelhaften Stromversorgung im Land. Eneo, der bei der Elektrizitätsversorgung ein Monopol besitzt, liefert nur etwa zu 70 Prozent der Zeit Strom. Karatas’ Brauerei gehört zu den kleinen Kunden des staatlichen Konzerns. Der Strom ist deshalb nicht nur teuer. Gibt es Probleme bei der Versorgung, gehört Karatas zu den Ersten, bei denen das Licht ausgeht. Mit Generatoren kann er kurze Unterbrüche zwar überbrücken und Produktion sowie Kühlung meistens notdürftig sichern. Doch selbst wenn der Strom fliesst, ist er von miserabler Qualität. Die Spannung schwankt, und einzelne Phasen brechen zeitweise ganz weg. Das beeinträchtigt die Leistung und bringt heikle Prozesse aus dem Takt. Das bedeutet: Schäden an der Brauanlage und mehr Aufwand für die Wartung. «Die Kosten sind hoch und der Service schlecht. So konnten wir nicht mehr weitermachen», erklärt Karatas. Statt Problemen sieht er allerdings auch hier die Herausforderung. Grosse Entscheidungen zu treffen, mache ihm keine Angst, erklärt er: «Ich mag es, wenn ich an meine Grenzen komme.»
Er beschliesst kurzerhand, seinen Strom selber zu produzieren. «Wir wollen unsere Brauerei vollständig von Eneo abkoppeln und zu 100 Prozent mit Solarstrom betreiben – tagsüber mit Panels, nachts über Batteriespeicher», erklärt Karatas. Die neue Anlage hat eine Leistung von 360 Kilowatt und soll jährlich rund 510 Megawattstunden produzieren. Dafür stehen 4500 Quadratmeter Bodenfläche zur Verfügung. «Nach der Installation werden wir quasi emissionsfrei produzieren», sagt Karatas. Der Dieselgenerator, bislang ein unabdingbarer Bestandteil des Betriebs, wird künftig nicht mehr gebraucht.
Das Projekt sei in seiner Dimension einzigartig: «Unsere Anlage wird die grösste autonome Solaranlage in Kamerun sein», sagt Karatas. Tatsächlich sind in Kamerun und in Zentralafrika so grosse und vollständig autonome Solaranlagen für industrielle Anwendungen bislang kaum dokumentiert. Die technische Umsetzung sei eine enorme Herausforderung – «eine Brauerei komplett mit Solarenergie zu betreiben, erfordert viel Know-how», so Karatas. Dieses Wissen kommt aus der Schweiz: Die Firma MPower ist für Aufbau und Inbetriebnahme zuständig.
Noch mehr Swissness
Die Anlage wird zur Hälfte durch das schweizerische Repic-Programm finanziert – ein Förderinstrument des Bundes für Pilotprojekte im Ausland in den Bereichen erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Unterstützt werden dabei insbesondere Projekte, die das Potenzial haben, lokale Märkte nachhaltig zu verändern. Es geht dabei nicht nur um Technologie, sondern auch um tragfähige Geschäftsmodelle mit Vorbildfunktion. Karatas plant, den überschüssigen Strom künftig fast kostenlos an die Nachbarschaft abzugeben. Noch diesen Sommer will Karatas eigenen Strom produzieren können.
Und Karatas geht weiter im vollen Tempo voran: Weil auch die Distribution nicht die Qualität aufweist, die sich Karatas wünscht, baute er einen eigenen kleinen Fuhrpark auf und stellte Chauffeure an. Im Backoffice soll während dieses Sommers zudem ein Stagiaire aus Zürich für etwas mehr Effizienz und eine Portion Swissness sorgen. Und innerhalb der nächsten fünf Jahre plant Eser Karatas, die Produktionskapazitäten seiner Firma weiter zu steigern – mit dem Ziel, sich als mittelgrosser Anbieter auf dem kamerunischen Biermarkt zu etablieren. Um die Ausbaupläne umsetzen zu können, soll frisches Kapital erschlossen werden. Karatas ist derzeit auf der Suche nach neuen Investoren.
Er zeigt sich überzeugt: «Wer in Kamerun gutes Bier braut und über genügend Ausdauer verfügt, hat gute Chancen, in diesem aufstrebenden Markt bald zur Spitze zu gehören.»