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Beitrag vom 24.09.2024

FAZ

Entwicklungsministerin Svenja Schulze im Interview

„Die FDP macht mir keine Sorgen“

Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) verteidigt die Existenzberechtigung ihres Hauses und erklärt, warum Radwege in Peru den deutschen Wohlstand fördern.

Frau Ministerin, Sie haben drei Tage lang Indien besucht. Ist das Land auf dem Weg zur Supermacht, wie es oft heißt?

In der Welt gibt es heute nicht mehr zwei Pole, sondern mehrere. Indien ist sicherlich einer davon. Es ist ein sehr stark aufstrebendes Land und einer der großen Player in der Welt.

Ein Player, dem Deutschland immer noch so viel Entwicklungshilfe zahlt wie keinem anderen Land. In den Siebzigerjahren, als Ihr Amtsvorgänger Ehrhard Eppler nach Kalkutta flog und sah, dass es für die Menschen tagtäglich ums nackte Überleben ging, war das für jeden verständlich. Fünfzig Jahre später aber steht Indien davor, Deutschland als drittgrößte Wirtschaft abzulösen. Warum überweisen Sie diesem Schwergewicht in den kommenden zehn Jahren trotzdem zehn Milliarden Euro?

Das sind übrigens überwiegend keine Steuergelder: Wir vergeben in Indien vor allem Kredite, die alle mit Zinsen zurückgezahlt werden. Das Geld kommt vom Kapitalmarkt und nicht aus Steuern. Das öffnet hier die Türen für deutsche Unternehmen, deren technologisches Know-how gefragt ist und das wir der Welt zugänglich machen wollen. Wir wären doch mit dem Klammerbeutel gepudert, uns in einer Wachstumsphase, in der die Nachfrage nach deutschen Produkten steigt, zurückzuziehen. Gestern hat hier in Ahmedabad Ministerpräsident Narendra Modi eine Metrolinie eröffnet, die mit 100 Millionen Euro von der KfW mitfinanziert und von Siemens mitgebaut wurde. Da gibt es gleich drei Gewinner: unsere Wirtschaft, die Partnerschaft mit Indien und der Klimaschutz. Das liegt in unserem ureigenen Interesse. Wenn ein aufstrebendes Land von 1,4 Milliarden Menschen auf nachhaltige Mobilität setzt, dann macht das einen Unterschied für den Rest der Welt. Angesichts der schlimmen Flutkatastrophen und Dürren, die wir überall auf der Welt erleben, müssen wir schneller werden, die Klimaziele zu erreichen, und dabei kommt es sehr stark auf Indien an.

Braucht es dazu deutsche Hilfe? Indien baut nicht nur in einer Stadt Metrolinien. Im Land sollen bis Ende des Jahres ein Dutzend neuer Strecken eröffnen. Der größte Infrastrukturkonzern Adani will 100 Milliarden Dollar in die Energiewende investieren.

Die Zusammenarbeit mit Deutschland ist hier sehr gefragt. Wir gelten als diejenigen, die hochwertige Kooperationen und technische Beratung anbieten. Deshalb macht es Sinn, weiter in diese Beziehung zu investieren. Aber auch die deutschen Unternehmen schätzen es, dass wir ihnen die Türen öffnen. Deutschland ist ein Exportland. Unser Wohlstand beruht darauf, dass wir das, was wir entwickeln, in die Welt bringen. Wenn wir das internationale Geschäft chinesischen Unternehmen und Banken überlassen, schaden wir unserem Wirtschaftsstandort.

Abgesehen davon, dass Indien seine Infrastruktur wohl kaum vom Rivalen China bauen oder finanzieren lassen würde: Was unterscheidet den deutschen Weg, mit dem Bau von Bahnstrecken fremde Länder in die gewünschte Richtung zu treiben, von Pekings Seidenstraßeninitiative, die als Neokolonialismus kritisiert wird?

China macht das mit einem anderen Wertehintergrund. Wir werben im Ausland für demokratische Strukturen, China nicht. Deutschland steht dabei im Wettbewerb. Die Länder des globalen Südens suchen es sich aus, mit wem sie zusammenarbeiten. Die Mehrheit der Menschheit lebt in autokratischen Systemen. Umso mehr muss es uns gelingen, für unsere Werte zu werben. Das geht hier in Indien besonders gut, weil es eine demokratische Struktur gibt. Die hat sicherlich Schwächen, aber Schwächen gibt es überall.

Ist es die Aufgabe von Entwicklungshilfe, die eigenen Wertvorstellungen zu exportieren?

Ich spreche bewusst nicht von Entwicklungshilfe, sondern von Zusammenarbeit, denn darum geht es. Und ja, dabei ist es unsere Aufgabe, für Werte wie Pressefreiheit und freie Meinungsäußerung einzutreten. Auch die Klimaziele gehören dazu, die international vereinbart wurden, oder grundlegende Sozialstandards. Diesen Grundkonsens transportieren wir auch mit unseren Projekten.

Erneuerbare stellen heute weniger als drei Prozent der Energie, die Indien verbraucht. Ministerpräsident Modi will das Land zur Industrienation machen. Wird er sich dabei wirklich gegen schnelles Wachstum mit billigem Kohlestrom und für eine teure Energiewende entscheiden?

Erneuerbare Energien sind inzwischen auch ökonomisch günstiger als Kohle. Und Fakt ist, dass Indien immer mehr für den Ausbau der Erneuerbaren tut und das mit der Verantwortung für die nächsten Generationen begründet. Indien produziert absolut gesehen nicht nur sehr viel CO2, sondern leidet auch besonders stark unter dem Klimawandel, der in Indien unter anderem für Dürren sorgt. Deshalb ist ein interner Druck da, der mir den Eindruck gibt, dass die Energiewende ernst gemeint ist.

Hat Deutschland Ihrer Meinung nach die Verpflichtung, die Welt zu verbessern?

Mir als Sozialdemokratin ist es wichtig, dass wir nicht einfach zugucken, wenn unsere Nachbarn verhungern, genauso wie für viele Menschen mit christlichem Hintergrund. Die einen nennen es Solidarität, die anderen Mitmenschlichkeit.

Ihr Koalitionspartner FDP, der fordert, das Entwicklungsministerium abzuschaffen, zeigt diese Mitmenschlichkeit nicht?

Die FDP macht mir keine Sorgen, die Forderung ist ja nichts Neues. Es gab in der jüngeren Vergangenheit nur eine Phase, wo die Partei das Ministerium nicht abschaffen wollte: als sie selbst den Minister gestellt hat. Wir haben einen klar vereinbarten Koalitionsvertrag und setzen den um. Sorgen bereitet mir eher die Union, die das „christlich“ im Namen trägt. Da fordert der haushaltspolitische Sprecher, die Entwicklungszusammenarbeit zu kürzen, und die CSU kritisiert Projekte, die ihr eigener früherer Minister auf den Weg gebracht hat.

Nicht nur von Union und AfD, auch von Zehntausenden im Internet werden Deutschlands Zahlungen für Länder wie Peru und Indien kritisiert wie nie. Warum ist Entwicklungshilfe so unpopulär?

Wir werden gerade für unsere Aufgabe sehr stark angegriffen, weil es in Deutschland das verbreitete Gefühl gibt, dass wir zu wenig haben, dass der Kuchen kleiner geworden ist und genau geschaut werden muss, wie er verteilt wird. Aber das Bild stimmt nicht. Wir sind immer noch eines der reichsten Länder der Erde. Wir haben enormen Wohlstand, und wenn wir nur zwei Prozent des Haushalts in Entwicklungszusammenarbeit investieren, dann hilft das, diesen Wohlstand täglich aufs Neue wieder zu erarbeiten.

Können Sie die Kritik verstehen, für Radwege und Metrolinien in aller Welt sei Geld da, während in Deutschland die Brücken einstürzten?

Ich teile sie jedenfalls nicht. An dem Verkehrsprojekt in Peru, bei dem es in der Kritik geht, sind auch deutsche Unternehmen beteiligt. Das ist nicht nur gut für den Klimaschutz, das sichert auch Arbeitsplätze in Deutschland. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, die Rahmenbedingungen so zu setzen, Beschäftigung zu erhalten und zu helfen, dass neue entsteht.

Genau das hat der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gefordert: Dass die Projekte im Ausland stärker den „eigenen Interessen“ dienen und deutschen Unternehmen den Boden bereiten sollen. Sie folgen der Kritik und richten die Entwicklungshilfe neu aus?

Nein. Wir sind mit dem BDI über sein Grundsatzpapier in der Diskussion, weil wir die wirtschaftliche Zusammenarbeit längst neu aufgestellt haben. Wir tun beides: Wir unterstützen in den ­zerbrechlichsten Ländern dieser Welt den Kampf gegen Hunger. Und wir sind in aufstrebenden Ländern wie Indien aktiv, weil das für uns interessante Märkte und Partner sind, mit denen wir gemeinsam das Klima schützen können. Die strategische Positionierung dieses Ministeriums hat sich da in den vergangenen drei Jahren bereits enorm verändert. Deshalb brauche ich keine Aufrufe, irgendetwas „neu“ zu machen.

Das Gespräch führte Hendrik Ankenbrand.