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Pour une autre politique de développement!

Beitrag vom 16.01.2024

NZZ

Schuldenkrisen auf Länderebene angehen

Manuel Oechslin

Reformbestrebungen bei den Bretton-Woods-Institutionen sind zu begrüssen. Sie werden aber die finanziellen Probleme in ärmeren Ländern nicht verhindern. Gastkommentar von Manuel Oechslin
Argentinien, Ghana, Sri Lanka oder Tunesien: Länder mit Schuldenproblemen standen im vergangenen Jahr oft im Fokus der internationalen Wirtschaftsberichterstattung. Die jüngste Häufung von Schuldenproblemen im globalen Süden ist selbstverständlich kein Zufall. Wie der im Dezember 2023 publizierte «International Debt Report» der Weltbank nachzeichnet, haben insbesondere ärmere Länder über die vergangenen zehn Jahre im Verhältnis zu ihrer Wirtschaftsleistung enorme öffentliche Schulden aufgebaut. Führte der überproportionale Anstieg dieser Schulden in der Tiefzinswelt zu wenig Problemen, drückte der durch die jüngste Zinswende ausgelöste Anstieg der Zinszahlungen manches Land in die Zahlungsunfähigkeit – oder zumindest an deren Rand.

Akute Schuldenprobleme der öffentlichen Hand oder gar eine Zahlungsunfähigkeit führen in der Regel zu makroökonomischer Instabilität und ziehen im Alltag gravierende Konsequenzen für die Bevölkerung nach sich. Solche Szenarien sollten daher nach Kräften vermieden werden.

Vor diesem Hintergrund war denn auch zu erwarten, dass die Bretton-Woods-Institutionen – Inter­nationaler Währungsfonds (IMF) und Weltbank – ihr Fett abbekommen und Reformdiskussionen wieder an Fahrt gewinnen würden. Immerhin helfen IMF und Weltbank ärmeren Ländern mit begrenztem Zugang zum internationalen Kapitalmarkt bei der externen Finanzierung. Dabei fokussiert der IMF auf die Kreditvergabe zur kurzfristigen makroökonomischen Stabilisierung, während sich die Weltbank auf langfristige, wachstumsgenerierende Investitionen konzentriert.

Wie konnte es passieren, dass quasi unter den Augen von IMF und Weltbank der globale Süden über die vergangenen zehn Jahre einen Berg von letztlich untragbaren Staatsschulden angehäuft hat? Wie muss die internationale Finanz­architektur, mit den Bretton-Woods-Institutionen als tragender Säule, reformiert werden, damit sich das gegen­wärtige Debakel in zwanzig Jahren nicht einfach wiederholt? An Reformvorschlägen mangelt es nicht. Einige sind struktureller Art, etwa die Erhöhung des Stimmen­gewichts des globalen Südens in den Bretton-Woods-Institutionen. Andere sind eher technischer Natur. Dazu gehören die von China angemahnte Aufweichung des Gläubigervorrangs des IMF oder die von der Bridgetown-Initiative geforderte Aufstockung von subventionierten Tiefzins­krediten mit langer Laufzeit.

Einige der angedachten Reformen sind bedenkenswert. Allerdings: Keiner der Vorschläge, weder allein noch im Verbund mit anderen, wird eine zukünftige Wiederholung der gegenwärtigen Schuldenkrise verhindern. Hierfür mitverantwortlich ist ein anderer globaler Trend, der auch vor etwa zehn Jahren einsetzte und viele ärmere Länder betrifft, aber in der Öffentlichkeit vergleichs­weise wenig Beachtung findet: die stetige Erosion von Demokratie und Medienfreiheit, auch bekannt als «democratic backsliding» und «free speech recession».

Was haben Demokratie und Medienfreiheit mit der Schuldenkrise in Entwicklungs- und Schwellenländern zu tun? Erstaunlich viel. Externe Kredite an ein ärmeres Land, sei es mit oder ohne explizite Beteiligung von IMF und Weltbank, dienen primär dem Zweck, die Rückkehr zu einem stabilen Wachstumspfad zu erleichtern oder zusätzliches Wachstum zu generieren – etwa indem neue Spiel­räume für wirtschaftspolitische Reformen oder produktivitätssteigernde Infrastruktur- und Bildungs­investitionen geschaffen werden.

Bei zweckdienlicher Verwendung der Mittel durch die Regierungen schaffen die Kredite also gleichsam die Voraussetzungen für deren spätere Tilgung inklusive Zinszahlungen; ein untragbarer Anstieg der öffentlichen Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung, wie jüngst mancherorts beobachtet, wird vermieden. Zinszahlungen und Tilgung werden allerdings dann zum Problem, wenn Regierungen finanzielle Mittel für unproduktive Zwecke verwenden, etwa für Prestigebauten wie eine 400 Millionen Dollar teure Kathedrale (Ghana), für nutzlose Infrastruktur in der Herkunftsregion des Präsidenten (Sri Lanka) oder für Nahrungsmittel- und Energiesubventionen mit der Giesskanne (Tunesien).

Keine Regierung der Welt ist gegen solche «Fehler» gefeit. Daher braucht es eine demokratische Opposition, die starke Anreize hat, der Regierung auf die Finger zu schauen. Und es braucht freie Medien mit lokalem Wissen, die Transparenz schaffen und der Opposition sowie weiteren zivilgesell­schaftlichen Gruppen in der breiten Bevölkerung eine Stimme geben.

Schon klar: Demokratische Kontrolle und freie Medien sind keine hinreichenden Bedingungen für den zweckdienlichen Umgang mit externen finanziellen Mitteln, wie das Beispiel Argentinien zeigt. Aber ohne ein Mindestmass an Demokratie und Medienfreiheit wird es kaum gehen. Es dürfte kein Zufall sein, dass in der Gruppe der etwa zwanzig bis dreissig heutigen Krisenländer Demokratie und Medienfreiheit besonders gelitten haben, oftmals ausgehend von einem bereits prekären Startpunkt. Wenn sich an dieser Entwicklung nichts ändert, bleibt ungewiss, welche Mechanismen sicherstellen sollen, dass zukünftige externe Kredite überwiegend zweckdienlich, also zur Förderung der breiten Prosperität, eingesetzt werden.

Externe Kontroll­mechanismen, auch wenn sie anfänglich ausge­klügelt erscheinen mögen, haben sich in der Praxis der multilateralen Beziehungen als wenig wirksam erwiesen. Weltbank und IMF haben diesbezüglich schmerzliche Erfahrungen mit autokratischen Regimen gemacht, etwa in den 2000er Jahren in Tschad oder etwas später in Moçambique.

All dies bedeutet nicht, dass Reformbemühungen für die in die Jahre gekommenen Bretton-Woods-Institutionen vergebens wären. Aber es wäre Augen­wischerei, zu behaupten, dass Anpassungen auf der multilateralen Ebene zukünftige Schuldenkrisen im Alleingang verhindern könnten. Der Schlüssel liegt bei den institutionellen Kontrollmechanismen auf Länderebene. Diese sind derzeit durch die Erosion von Demokratie und Medienfreiheit mancherorts geschwächt. Eine neuerliche Stärkung ist unabding­bar, sollen Reformen von IMF und Weltbank dereinst Früchte tragen.

Manuel Oechslin ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Luzern.