Beitrag vom 24.10.2021
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Entwicklungshilfe
"Zu allem Überfluss sollen wir Dankbarkeit zeigen"
Freiwilligendienste in Afrika sind beliebt bei jungen Menschen. Rwothomio Gabriel von No White Saviors sagt: Solche Besuche helfen nicht, sondern richten viel Schaden an.
Von Celia Parbey
Unter europäischen und US-amerikanischen Abiturient:innen und Studierenden ist es ein beliebter Trend: Als Entwicklungshelfer:innen einige Wochen oder Monate in afrikanischen Ländern zu verbringen. Die Corona-Pandemie stoppte den Hype für einige Monate. Doch seitdem die Reisebeschränkungen vieler Länder aufgehoben sind, reisen junge Menschen wieder regelmäßig auf den afrikanischen Kontinent. Rwothomio Gabriel von der Bildungskampagne No White Saviors sagt: Freiwillige aus dem globalen Norden sollten ihre Motivation hinterfragen, bevor sie sich aufmachen, um die Welt zu retten.
ze.tt: Der Schriftsteller Teju Cole prägte den Begriff: White Savior Industrial Complex. Was hat es damit auf sich?
Rwothomio Gabriel: White Saviorism ist Teil einer Multimillionen-Dollar-Industrie. Jedes Jahr kommen tausende Freiwillige aus der ganzen Welt nach Uganda und andere Länder des globalen Südens, um hier ihre Gap Years zu absolvieren. Meist sind es junge Menschen, gerade aus der Schule raus, ohne Ausbildung oder irgendeiner Form von Expertise. Sie werden von Organisationen angelockt, die ihnen versprechen, dass sie hier in Waisenhäusern, Schulen oder Krankenhäusern etwas für die Bevölkerung tun. Wir nennen das Voluntourism, also Freiwilligenarbeit in der Form von Tourismus. Wie Tourist:innen, bleiben die Freiwilligen nicht lange an einem Ort. Diese Kurzbesuche führen nicht zu nachhaltigen Lösungen.
ze.tt: Warum nicht?
Rwothomio Gabriel: Kurzzeitige Besuche in Waisenhäusern richten zum Beispiel viel Schaden an. Die Kinder entwickeln Bindungsprobleme, weil ihnen alle paar Wochen eine neue Gruppe Freiwilliger präsentiert wird, an die sie sich gewöhnen und die dann wieder abreisen. Studien fanden heraus, dass die Freiwilligenarbeit in Waisenhäusern im globalen Süden zu einem Anstieg an Waisenkindern führt. Es ist lukrativ solche Institutionen mit ausländischem Geld zu führen. Kinder werden teilweise zu Waisen erklärt, obwohl ihre Eltern noch am Leben sind. Ein anderer Aspekt ist der, dass die Menschen, die Freiwillige aufnehmen, gute Gastgeber:innen sein wollen. Oft setzen sie ihre eigenen Ressourcen ein, um für ausreichende Verpflegung und Unterbringung zu sorgen. Ressourcen, die sie besser für sich selbst nutzen sollten. Außerdem werden keine Arbeitsmöglichkeiten für die lokale Bevölkerung geschaffen, sondern weiße Freiwillige eingeflogen, die dann anstelle der afrikanischen Arbeitenden Häuser oder Straßen bauen. Die Menschen in den afrikanischen Ländern verlernen, selbstständig zu sein. Sie suchen nicht mehr selbst nach Lösungen für ihre Probleme. Das Wachstum unserer Communitys ist an die Bemühungen dieser ausländischen Unternehmen gebunden. Dabei müssten diese Organisationen doch eigentlich darauf hinarbeiten, nicht mehr gebraucht zu werden. In Uganda gibt es unzählige NGOs und Missionswerke. Manche sind schon seit Jahrzehnten da. Die Probleme, die sie bekämpfen wollen, gibt es immer noch.
ze.tt: Wer profitiert von diesen Reisen?
Rwothomio Gabriel: Für zwei- bis vierwöchigen Aufenthalte verlangen westliche Organisationen astronomische Preise. Das können hunderte bis zu mehreren Tausend Euro sein. Oft fließt nur ein geringer Prozentsatz von diesem Geld in die Gemeinschaften, denen eigentlich geholfen werden soll. Wenn die Freiwilligen wirklich etwas verändern wollten, könnten sie das Geld direkt an lokale Gemeinden spenden. Damit wäre ihn langfristig mehr geholfen. Aber beim White Saviorism geht es eben auch um Selbstzentrierung. Diese Menschen wollen vielleicht helfen, aber sie stellen sich und ihre persönliche Weiterentwicklung dabei in den Mittelpunkt. Sie liebäugeln einmal mit der Armut, um danach sagen zu können, wie gut sie es doch hätten.
Über die Folgen des europäischen Kolonialismus
ze.tt: Du sagst, White Saviorism sei eine Folge des europäischen Kolonialismus. Inwiefern?
Rwothomio Gabriel: Beispielsweise darin, dass große NGOs mit Hauptsitz in Berlin, Paris oder Brüssel Lösungsansätze für den globalen Süden entwickeln, ohne die Menschen vor Ort miteinzubeziehen. Das fußt auf einem Kolonialgedanken: Die Idee eines vermeintlichen Zivilisationsauftrags, der weiße Menschen als Inbegriff von Vernunft, Fortschrittlichkeit und Entwicklung versteht. Alle anderen können nur von ihnen lernen und müssen dementsprechend Hilfe annehmen, um auf ihr Niveau zu gelangen. Wir als Afrikaner:innen gelten immer noch als unterlegen.
ze.tt: In Europa hält sich der Gedanke hartnäckig, dass die Länder des globalen Nordens geben und alle anderen nur nehmen.
Rwothomio Gabriel: In ihren Augen helfen sie hier auch wirklich. Das ist aber ein sehr einseitiges Narrativ, das außer Acht lässt, dass wir ihnen mit unseren Ressourcen helfen. Der globale Norden hat einen wesentlichen Bestandteil seines Wohlstands durch die Ausbeutung von Ressourcen im globalen Süden erreicht. Diese Ausbeutung findet immer noch statt: Nigerias Ölreserven werden von kriminellen multinationalen Ölkonzernen, wie Shell oder BP, geplündert. In Ghana helfen Kinder bei der Kakaoernte, damit Unternehmen wie Nestlé Produkte für den internationalen Markt generieren können. Ein Land wie Frankreich übt bis heute Einfluss auf seine ehemaligen Kolonien aus, in Form eines Währungsabkommens, das die Länder für ihre vermeintliche Unabhängigkeit unterzeichnen mussten. Anstatt uns mit nachhaltigen Lösungen zu helfen, wurde eine Abhängigkeit geschaffen, von der wir uns gar nicht befreien sollen. Diese systematische Unterdrückung versteckt sich heute hinter einem humanitären Auftrag. Zu allem Überfluss sollen wir als Empfänger:innen dieser Hilfen Dankbarkeit zeigen. Wir müssen unsere Retter:innen loben, schließlich sind sie die Held:innen unserer Geschichte. Das ist kein Austausch auf Augenhöhe.
ze.tt: Angenommen NGOs und andere Hilfsorganisationen würden wirklich von heute auf morgen aus afrikanischen Ländern abziehen. Würde das nicht mehr Schaden anrichten?
Rwothomio Gabriel: Wenn sie einfach ihre Koffer packen würden, wäre das ein Problem, ja. Das muss ein Prozess sein. Am besten wäre es, wenn sich diese Unternehmen schrittweise aus den Communitys zurückziehen und die Menschen mit dem Wissen ausstatten, um sich selbst zu versorgen. Reparationen für den Kolonialismus und seine Folgen in Form von Bildung sozusagen. Diese Organisationen haben die Leute vor Ort lange genug im Unwissen gehalten und sie davon abgehalten, ihre Arbeit selbst zu erledigen.
ze.tt: Also sollen weiße Freiwillige einfach ganz aufhören zu helfen?
Rwothomio Gabriel: Es ging uns mit No White Saviors nie darum, weiße Menschen davon abzuhalten, zu helfen. Sie sollen nur die Art und Weise hinterfragen, wie sie helfen möchten. Wer steht bei ihren Bemühungen im Mittelpunkt? Wollen sie selbst zu Held:innen werden oder wirklich Verantwortung übernehmen? Sie sollten sich fragen, ob sie wirklich gebraucht werden oder ob es den Menschen vor Ort nicht mehr nützt, wenn sie Geld schicken. Wenn sie sich dazu entscheiden ins Flugzeug zu steigen, sollten sie nicht vergessen, die Menschen respektvoll zu behandeln. Das bedeutet nichts zu tun, was sie nicht auch in ihren eigenen Ländern tun würden. Verantwortung zu übernehmen, bedeutet auch, das Leid der Völker im globalen Süden nicht als gottgegeben zu akzeptieren, sondern nach den Ursachen zu forschen. Anstatt weiter nur Symptome zu bekämpfen, müssen wir die Probleme bei der Wurzel anpacken.
Wie sieht nachhaltige Hilfe aus?
ze.tt: In den sozialen Medien werden oft weiße Menschen kritisiert, die sich in Ländern des globalen Südens mit Schwarzen und Kindern of Color ablichten lassen. Warum sind solche Fotos problematisch?
Rwothomio Gabriel: Diese Fotos zeigen, wie übergriffig White Saviorism ist. Konsens spielt im Austausch überhaupt keine Rolle. Die Eltern werden nicht nach Erlaubnis gefragt. In ihren Herkunftsländern würden sich die weißen Retter:innen das niemals trauen. Oder ist es in Deutschland erlaubt Fotos von wildfremden Kindern auf der Straße zu machen? Dabei geht es auch nur oberflächlich um die Kinder, sonder darum, sich selbst zu profilieren. Nach dem Motto: "Schaut her, ich tue hier gerade etwas Gutes" – um Likes auf Instagram und Facebook zu bekommen. White Saviorism konzentriert sich mehr auf die öffentliche Wahrnehmung als darauf, tatsächliche Arbeit zu leisten. Diese Menschen wollen zu Held:innen werden. In Wirklichkeit dient White Saviorism nur einer Person: dem:der weißen Retter:in selbst.
Wenn weiße Menschen die Probleme Afrikas lösen wollen, sollten sie bei sich zu Hause anfangen.
Rwothomio Gabriel
ze.tt: Haben diese Bilder auch etwas mit dem Kolonialismus zu tun?
Rwothomio Gabriel: Unsere Körper waren schon in Zeiten der Sklaverei und des Kolonialismus Requisiten für weiße Menschen. Früher wurden Afrikaner:innen in Zoos oder bei Veranstaltungen ausgestellt. Sarah Baartman ist ein berühmtes Beispiel dafür. Die Südafrikanerin wurde Anfang des 19. Jahrhunderts in Europa gegen ihren Willen zur Schau gestellt. Diese Objektifizierung Schwarzer Körper, zeigt sich heute unter anderem, wenn Freiwillige Fotos mit Schwarzen und Kindern of Color schießen, ohne um Erlaubnis zu bitten. Es geht dabei auch um Machtdynamiken. Wer hat die Deutungshoheit? Wessen Geschichte wird erzählt?
ze.tt: Wie könnte nachhaltige Hilfe aussehen?
Rwothomio Gabriel: Wenn weiße Menschen auf den afrikanischen Kontinent reisen, müssen sie verstehen, dass sie von einer Weltordnung profitieren, die ihre Vorfahr:innen eingeführt haben. Sie genießen hier Privilegien, nur, weil sie weiß sind. Dieses System von White Supremacy wird bis heute von ihren Regierungen und einer kleinen im Westen ausgebildeten afrikanischen Elite aufrecht erhalten. Wenn sie wirklich helfen wollen, sollten sie sich an ihre Regierungen in Europa wenden und ein Ende der Unterdrückung fordern. Das bedeutet sich zu informieren, über die Folgen des Kolonialismus und ungerechte Handelsverträge zum Beispiel. Wenn sie die Probleme Afrikas lösen wollen, sollten sie bei sich zu Hause anfangen.