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Beitrag vom 17.08.2017

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Kongos nächste Katastrophe

Die UN berichten von Massenmord, Verstümmelungen und ethnischem Hass in der Provinz Kasai. Der Grund für alle Gräuel liegt beim machtversessenen Präsidenten.

Von Johannes Dieterich

Nicht einmal im Tod fand Étienne Tshisekedi Ruhe von der Politik. Der 85-jährige kongolesische Oppositionschef starb im Februar in einem Krankenhaus in Belgien: Seitdem müssen seine körperlichen Überreste in einem Leichenschauhaus der ehemaligen Kolonialmacht verweilen, bis ihre Überführung in die kongolesische Heimat als politisch opportun erachtet wird. Das Regime in der Hauptstadt Kinshasa fürchtet für den Fall der Rückkehr selbst des toten Oppositionschefs Aufstände – womit Präsident Joseph Kabila und seine Berater wohl gar nicht mal so falsch liegen.

Die Unbeliebtheit des seit 16 Jahren regierenden Staatschefs ist kaum noch zu steigern: Umfragen zufolge würde der 46-Jährige bei Wahlen nicht einmal auf acht Prozent der Stimmen kommen. Deshalb sucht Kabila, der nach der Ermordung seines Vaters im Präsidentenamt als „Erbfolger“ an die Macht kam, einen Urnengang unter allen Umständen zu vermeiden. Obwohl seine zweite und letzte Amtszeit eigentlich bereits im Dezember des vergangenen Jahres endete, hält der von zahllosen Korruptionsaffären begleitete Staatschef entgegen den Bestimmungen der Verfassung am Präsidentenamt fest.

Unterdessen verschärft sich die Krise in der Demokratischen Republik Kongo. Von den Kapriolen Kabilas empört, rief Jean-Pierre Mpandi, ein traditionelles Oberhaupt in der Kasai-Region, im August des vergangenen Jahres zum Aufstand auf. Die Kasai-Region ist die Heimat des Luba-Volkes, zu denen auch Étienne Tshisekedi gehörte: Sie gilt als Hochburg der Opposition, in der es – anders als im seit mehr als zwei Jahrzehnten aufgewühlten Osten des Landes – bislang friedlich zuging. Das ist nun allerdings Geschichte.

Auf die Kriegserklärung Mpandis, der sich nach altem Brauch Kamwina Nsapu, „schwarze Ameise“, nannte, reagierte Kinshasa martialisch. Die Regierung schickte ihre Truppen zum Haus der Ameise: Sie brachten Jean-Pierre Mpandi kurzerhand um. Falls sie dachten, das Problem damit aus der Welt geschafft zu haben, sahen sich Kongos Machthaber getäuscht: Mpandis Anhänger gründeten eine Miliz, die sie ihrerseits Schwarze Ameise nannte, und machten Jagd auf alles, was sich mit der Zentralgewalt verband, vor allem Soldaten und Polizisten. Die Milizionäre gingen brutal vor: Sie überfielen Konvois der Sicherheitskräfte und schnitten ihren Opfern nach deren Tod den Kopf ab.

Im Verlauf dieses Jahres weitete sich der Konflikt zu einer der verheerendsten Konfrontationen des afrikanischen Kontinents aus. Schon im Juni dieses Jahres zählte die katholische Kirche, die als eine der letzten glaubwürdigen und funktionierenden Institutionen des Kongo gilt, mehr als 3500 Todesopfer – darunter auch zwei UN-Mitarbeiter, die zur Untersuchung der Unruhen in die Region entsandt worden waren.

Über 1,4 Millionen Bewohner der Kasai-Region sind auf der Flucht

Inzwischen befinden sich mehr als 1,4 Millionen Bewohner der Kasai-Region auf der Flucht: Viele von ihnen flohen ins Nachbarland Angola, wo sie von Hilfsorganisationen weitgehend unerreicht vor sich hin vegetieren. Mit insgesamt 3,8 Millionen Vertriebenen nimmt der Kongo, in dem rund 80 Millionen Menschen leben, heute den Spitzenplatz unter den afrikanischen Unruhestaaten ein, noch vor dem Bürgerkriegsland Südsudan.

Noch mehr als die bloße Zahl der Betroffenen schockiert das Ausmaß der Gewalt. Sowohl den Regierungssoldaten wie Kamwina Nsapu werden zahllose Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen: Sie pflegen Frauen und Kinder in ihre Hütten zu treiben, die sie dann anzünden – auf diese Weise wurden schon mehr als 20 Dörfer dem Erdboden gleichgemacht.

Alarmiert von Augenzeugenberichten sandte die UN-Menschenrechtskommission im Juni Beobachter in Region, die kürzlich ihren Bericht veröffentlichten: Er übertraf die schlimmsten Befürchtungen. Allein zwischen Mitte März und Mitte Juni sollen mehr als 250 Menschen hingerichtet worden sein – darunter 62 Minderjährige, 30 von ihnen unter acht Jahren alt.

In den Flüchtlingslagern begegneten die UN-Beobachter Kindern, denen Gliedmaßen abgehauen wurden: Einem siebenjährigen Knaben wurden mehrere Finger abgeschnitten und das Gesicht verunstaltet. Die UN will von der Existenz von 80 Massengräbern wissen: Die meisten von ihnen seien wohl von der Armee angelegt worden, heißt es in dem Bericht.

Beunruhigt zeigten sich die Beobachter auch von Zeugenaussagen, wonach die Regierungstruppen inzwischen eine eigene Miliz, Bana Mura, aufgebaut hätten: Ihr sollen fast ausschließlich Angehörige der Tshokwe, Pende and Tetela angehören, die gegen die von Luba dominierte Kamwina-Nsapu-Miliz in Stellung gebracht werden. Auf diese Weise hat sich der Konflikt inzwischen auch zu einem ethnischen entwickelt: Ein hochexplosiver Umstand, der in afrikanischen Staaten immer wieder zu schlimmsten Ausschreitungen führt.

Kabila ließ inzwischen durchblicken, dass es mit Wahlen auch in diesem Jahr nichts werden wird – obwohl sich Opposition und Regierung auf einen entsprechenden Zeitplan im Januar geeinigt hatten. Unter den gegenwärtigen Umständen hält einen Urnengang ohnehin kaum einer für möglich: Der Präsident hat den Kongo als Geisel genommen.