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Beitrag vom 15.03.2017

NZZ

«Bring Back Our Girls» in Nigeria

Opfer ihrer Berühmtheit

von David Signer, Dakar

Letzten Herbst sind 21 der entführten «Chibok-Girls» freigelassen worden. Aber wirklich frei sind sie nicht.

Bald ist es drei Jahre her, dass Boko Haram über 270 Schulmädchen aus einem Schlafsaal im nordnigerianischen Ort Chibok entführte. Durch die «Bring Back Our Girls»-Kampagne wurde das Schicksal der Schülerinnen weltweit bekannt. Letzten Oktober kamen 21 der Entführten frei. Die Aktion wurde durch die Schweizer Regierung und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz eingefädelt. Die ausgehandelte Gegenleistung der nigerianischen Regierung ist nicht bekannt. Es heisst, im Gegenzug seien inhaftierte Boko-Haram-Mitglieder freigelassen worden; möglicherweise wurde auch eine hohe Geldsumme bezahlt.

Zu wertvoll für die Freiheit

Seit ihrer Freilassung konnten die Schülerinnen nicht zu ihren Familien zurückkehren. Sie befinden sich an einem schwer bewachten, geheimen Ort. Zweimal pro Woche können sie mit ihren Angehörigen telefonieren. Nur einmal waren sie zu einem Besuch in Chibok, an Weihnachten. Aber selbst an diesem Tag konnten sie nicht nach Hause. Sie wurden im Haus eines lokalen Politikers untergebracht, wo die Eltern sie besuchen und mit ihnen sprechen durften. Die Angst ist gross, dass die islamistische Terrorgruppe Boko Haram erneut versuchen könnte, sie zu entführen.

In einem Artikel in der «New York Times» vom Montag wird die Frage gestellt, ob die Hashtag-Aktion die «Chibok-Girls» nicht dermassen wertvoll für Boko Haram gemacht habe, dass sie nun Gefangene ihrer Berühmtheit seien. Ein Mitglied der nigerianischen Regierung sagte kürzlich, wenn es den Jihadisten gelänge, eines der Mädchen erneut zu kidnappen, so wäre das wie der Gewinn des World Cup.

Sobald sich die Solidaritätsbekundungen in den sozialen Netzwerken ausbreiteten, merkte Boko Haram, wie wertvoll die Mädchen waren. Sie wurden besser behandelt als die anderen Gefangenen, erhielten medizinische Betreuung und wurden in einem separaten, gut bewachten Camp untergebracht. Einige konnten sich sogar Sklavinnen unter den andern Mädchen aussuchen. Die Terroristen hatten vorher schon Hunderte von Mädchen, Knaben, Frauen und Männern entführt, die Armee hatte auch schon viele befreit, aber das erregte kaum Aufsehen. Erst jetzt blickte die Weltöffentlichkeit gebannt auf die «Chibok-Girls». Das machte sie zu einem unbezahlbaren Pfand in den Händen der Terroristen, und die Regierung stand unter Druck, entschiedener vorzugehen.

Als Geldmaschine in den USA

Der damalige Präsident Goodluck Jonathan schien endlich aus seiner Gleichgültigkeit aufzuwachen. Der Militärverbund mit Tschad, Niger und Kamerun rückte recht schnell vor und trieb Boko Haram aus ihren versteckten Lagern im Sambisa-Wald Richtung Tschad. Jonathan verlor die Wahlen im Frühling 2015 an den jetzigen Präsidenten und ehemaligen General Buhari. Die langjährige Passivität gegenüber Boko Haram dürfte einer der Gründe seiner Abwahl gewesen sein.

Einigen der Chibok-Girls gelang kurz nach der Entführung die Flucht. Auch sie wurden später erneut zu Gefangenen, wenn auch in einem anderen Sinne als ihre befreiten Leidensgenossinnen. Laut der «New York Times» wurden zehn von ihnen Ende 2014 durch eine NGO namens Education Must Continue in die USA gebracht. Dort sollten sie ihre Ausbildung weiterführen und das Erlittene vergessen können. Von Vergessen konnte jedoch keine Rede sein. Ihre Agenden waren prallvoll mit Terminen. Sie mussten ihre Geschichte wieder und wieder erzählen, in Kirchen, an öffentlichen Veranstaltungen, vor Journalisten. Letzten Frühling wurden sie schliesslich aus den «Charity-Fängen» befreit. Der Vater eines der Mädchen sprach von «Showbusiness», die nigerianische Ministerin für Frauenangelegenheiten sagte: «Sie waren als Geldmaschine benützt worden.» Die NGO reichte anschliessend eine Klage wegen Diffamierung ein.

Kontraproduktive Kampagne?

Offenbar steht die nigerianische Regierung in Verhandlungen mit Boko Haram über die Befreiung von weiteren «Chibok-Girls». Kommt es wirklich zu Freilassungen, werden die Wortführer der «Bring Back Our Girls»-Kampagne jubilieren. Sollten allerdings dereinst wirklich alle 270 Mädchen freikommen, hat die Regierung ein Problem. Die nigerianische Publizistin Nwaubani formuliert es so: «Was soll sie mit all den Mädchen tun, die zu berühmt sind, um frei zu sein?». Die Mädchen, einst eingesperrt von Boko Haram, seien nun vom nigerianischen Staat eingesperrt. «Das nächste Mal, wenn die internationalen Gutmenschen ihren Hashtag einem afrikanischen Problem widmen», schreibt sie, «sollten sie die Resultate der ‹Bring Back Our Girls›-Kampagne bedenken.»