Beitrag vom 02.01.2017
FAZ
Botswana
Termitenhügel und Hochkaräter
Reich, friedlich, stabil: Botswana gilt als Musterknabe Afrikas / Niedrige Diamantenpreise hemmen die Entwicklung
von Claudia Bröll
KAPSTADT, 1. Januar. Die Empfangshalle in Gaborones Flughafen Sir Seretse Khama ist so riesig, dass Lautsprecherdurchsagen wie in einer Kathedrale widerhallen. Früher ähnelte der Flughafen in Botswanas Hauptstadt einem Vorortbahnhof. Heute sehen Passagiere nach der Landung als Erstes ein imposantes Gebäude aus reichlich Glas. Viel los ist trotzdem nicht. Nur etwa 20 Linienmaschinen landen am Tag, mehr als die Hälfte kommt aus dem 350 Kilometer entfernten südafrikanischen Johannesburg.
Botswana ist trocken, staubig, dünn besiedelt. Nur zwei Millionen Menschen leben in dem Land, das größer ist als Spanien. Das sind drei je Quadratkilometer. Doch im botswanischen Steppensand liegt der Stoff, aus dem die funkelnden Träume von Straßen wie der Fifth Avenue in New York oder der Londoner New Bond Street gewebt sind: Diamanten. Größer und schöner als die aus den meisten anderen Förderländern der Erde. Vor kurzem hat ein Minenkonzern in Botswana ein fast tennisballgroßes Prachtstück aufgespürt. Übertrumpft wird es nur von dem 1905 in Südafrika entdeckten Cullinan-Diamanten, der in den Kronjuwelen der britischen Königin landete.
Geologen hatten in Zeiten, als Botswana noch britische Kolonie war, jeden Quadratkilometer des kargen Landes nach Diamanten durchkämmt. Der erste Fund im Jahr 1967 war dann nicht nur für die Diamantenbranche eine Sensation. Die wertvollen Steinchen katapultierten Botswana vom Armenhaus Afrikas zu einem Land mit mittlerem Einkommen. Vor 50 Jahren gab es gerade einmal zwölf Kilometer geteerte Straßen, ein Arzt kümmerte sich um 50 000 Menschen, es herrschte bittere Armut. Jetzt beträgt das Bruttoinlandsprodukt je Kopf mehr als 7000 Dollar – mehr als im ölreichen Nigeria oder in Südafrika.
Reich fühlen sich die Einwohner Botswanas trotzdem nicht. Das frustriere vor allem junge Leute, erzählt Bogolo Kenewendo. Die 29 Jahre alte Frau ist eine Senkrechtstarterin in ihrem Heimatland. Dank eines Stipendiums konnte sie nach dem Studium in Botswana in die Vereinigten Staaten gehen, studierte Volkswirtschaftslehre. Nach ihrer Rückkehr machte sie sich in ihrer Heimat einen Namen als Ökonomin, Aktivistin für Frauenrechte und als politische Kommentatorin. Die Kritik der forschen jungen Frau gefiel Staatspräsident Ian Khama und den Veteranen der regierenden Botswana Democratic Party (BDP) nicht immer. Trotzdem brachte die Partei sie Anfang November ins Parlament als mit Abstand jüngste Abgeordnete. „Die Menschen in Botswana sind traditionell friedfertig. Wir lernen von Kindesbeinen an, demütig zu sein“, erzählt sie, „doch wir Jungen wollen uns nicht mehr ducken. Wir wollen endlich vorankommen.“
Botswana wird oft als Musterland in Afrika bezeichnet. Während im Nachbarland Südafrika ständig protestiert und gestreikt wird, haben Aufstände beim nördlichen Nachbarn Seltenheitswert. Wahlen bringen keine Überraschungen. Die BDP gewinnt seit einem halben Jahrhundert, seit der Unabhängigkeit von Großbritannien. Womöglich liegt es daran, dass es ein so ruhiger Flecken Erde ist. In Gaborone ragen mehr Termitenhügel als Hochhäuser in die Höhe.
Das Land schneidet aber auch gemessen an der Staatsführung gut ab. Im Mo-Ibrahim-Index gehört es zu den besten drei in Afrika, im Korruptionsindex von Transparency International liegt es auf dem gleichen Rang wie Portugal, weit vor anderen afrikanischen Staaten. Ratingagenturen halten die Kreditwürdigkeit für vergleichbar mit derjenigen von Lettland oder Malta. Dank der Rohstoffeinnahmen ist in den vergangenen Jahren viel Geld in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur geflossen. Trotzdem leben die meisten Einwohner in ärmlichen Verhältnissen. Die HIV-Infektionsrate gehört zu den höchsten auf der Welt, jeder dritte junge Botswaner hat keine Arbeit.
An der Ausbeutung durch die Rohstoffkonzerne liegt es nicht. Tatsächlich hat die Regierung mit dem führenden Diamantenkonzern De Beers außergewöhnliche Vereinbarungen getroffen. Als Anteilseigner an De Beers und am Gemeinschaftsunternehmen Debswana verdient der Staat am Diamantengeschäft direkt mit und hat ein gewichtiges Wort mitzusprechen. So setzte die Regierung 2012 durch, dass De Beers seine zentralen Sortier- und Verkaufsaktivitäten nach Botswana verlegt. Im Gegenzug wurde die Förderlizenz um zehn Jahre verlängert. Statt nach London müssen die Diamanteneinkäufer aus aller Welt jetzt ins tiefe Afrika reisen. Ein Teil der Produktion muss in Botswana geschliffen werden.
Doch die Botswaner haben Pech: Ihre Bemühungen fallen ausgerechnet in eine der schwersten Krisen in der Diamantenbranche. Vor allem in China lässt die Nachfrage nach, die Rohdiamantenpreise sinken. Auch müssen sich die Branchenneulinge in Botswana gegen eine harte Konkurrenz der Schleifer in Indien behaupten. Ein junger Betrieb nach dem anderen gibt auf.
Die Gesamtwirtschaft ist vom Niedergang der Diamantenpreise hart getroffen. Im vergangenen Jahr schrumpfte Botswanas Wirtschaftsleistung um 0,3 Prozent. In vielen Minenkonzernen kommt es zu Massenentlassungen. Bogolo Kenewendo bestärkt die Krise in ihrem Elan. „Wir haben immer gewusst, dass die Konzentration auf einen Rohstoff ihre Tücken hat“, sagt sie. „Jetzt brauchen wir noch dringender Alternativen.“
Hoffnungen setzt die Regierung in den Tourismus, die Landwirtschaft und andere Rohstoffe wie Kohle. Aus Sicht der Jungabgeordneten sind aber auch schmerzhafte Reformen nötig. „Unser Staatsapparat ist viel zu groß. Wenn wir uns für eine Zeit ohne Diamanten rüsten wollen, müssen wir ihn verkleinern“, sagt sie. Um die Privatwirtschaft anzulocken, müsse die Regierung die Standortqualität besser vermarkten und Unternehmen den roten Teppich ausrollen. Ein Dauerärgernis für ausländische Investoren ist die schleppende Erteilung von Arbeitsvisa. „Wenn Mauritius und Singapur das schaffen, dann können wir das auch“, sagt Kenewendo.
Die Hauptstadt Gaborone hat sich verändert, seit Diamanteneinkäufer regelmäßig einfliegen. Werbetafeln für funkelnden Schmuck stehen am Straßenrand. Limousinen mit Geschäftsleuten rauschen an grasenden Ziegen vorbei. Einige Restaurants und Hotels haben eröffnet. Taxiunternehmer Ebrahim Masi freut sich über den Trubel. Vor zehn Jahren hätte er vom Taxigeschäft nicht leben können. Jetzt hat er weitere Autos angeschafft, interessiert sich für die Uber-Idee. „Es tut sich etwas“, sagt er zuversichtlich. „Es geht uns besser als unseren Eltern und Großeltern.“ Ob es reicht, eine der Erfolgsgeschichten in Afrika fortzuschreiben? Neu sind die Reformideen nicht. Und die Zeit drängt. Im Gegensatz zu Diamanten sind Diamantenminen nicht unvergänglich. Der große Schatz in Botswanas Erde ist bereits merklich kleiner geworden. Claudia Bröll