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Beitrag vom 02.01.2016

FAZ

Zu Besuch in Gambia

Gegen Hexen hilft der Zaubertrank des Präsidenten

Von HANS CHRISTOPH BUCH, BANJUL

Gambia zählt zu den ärmsten Ländern der Welt; die Regierung steht am Rand des Bankrotts und leiht sich Geld zu horrenden Zinssätzen. Sein Präsident hat Gambia zum islamischen Staat erklärt. Aber was heißt das eigentlich? Ein Besuch.
Die gute Nachricht vorab: Der Präsident von Gambia, der englischsprachigen Enklave im frankophonen Senegal, hat sich nach reiflicher Überlegung, wie er sagt, gegen weibliche Genitalverstümmelung ausgesprochen, wie die traditionell übliche Beschneidung junger Frauen und Mädchen hierzulande heißt. Die schlechte Nachricht: Gleichzeitig erklärte der Präsident sein Land zum islamischen Staat. Wie passt beides zusammen? Cheikh Alhadj Professor Dr. Yahya Abdul-Aziz Jemus Junkung Jammeh Babili Mansa, so der volle Name des Präsidenten - sein christlicher Vorname ist Alphonse - war stets für Überraschungen gut, seit er sich als neunundzwanzigjähriger Leutnant an die Macht putschte. Er versprach Ausrottung von Hunger, Armut und Arbeitslosigkeit, stattdessen werden Kritiker ausgerottet oder mundtot gemacht.

Gambia ist ein colonial backwater, wie man auf Englisch sagt, im wahren Sinn des Worts: nicht nur, weil Gezeitenströme den Fluss versalzen und in Brackwasser verwandeln. Die Mangrovenwälder, natürliches Habitat seltener Pflanzen und Tiere, wurden zu Holzkohle verarbeitet und müssen mühsam aufgeforstet werden, und die Wüste ist auf dem Vormarsch. Der Harmattan, ein staubtrockener Saharawind, überzieht die Feuchtgebiete mit Sand, der sich auf Mangobäumen und Kokospalmen, aber auch den Clubsesseln und Sofas ablagert, die überall zum Verkauf stehen, Prestigeobjekte aus der Konkursmasse des britischen Empire. Am Straßenrand die üblichen Verdächtigen: Bürogebäude der Vereinten Nationen, deren Unterorganisationen zahlreich vertreten sind, weil Gambia zu den ärmsten Ländern der Welt gehört. Daneben die EU-Mission, deren Botschafterin ausgewiesen wurde, als sie sich erfrechte, Menschenrechtsverletzungen anzuprangern. Und gesichert durch mannshohe Mauern und Nato-Draht die selbsternannten Schutzmächte England und Vereinigte Staaten, zu denen sich neuerdings China gesellt, alle drei „not amused“ von der Erklärung des Präsidenten, Gambia sei ein „islamischer Staat“ - was immer das bedeuten mag.

Die größte Moschee des Landes trägt den Namen ihres Sponsors, des saudischen Königs Fahd, auch Qatar und andere Golfstaaten haben hier Koranschulen und Moscheen errichtet, während der libanesische Geschäftsmann Hussein Tajudeen mit Profiten aus Gambia die schiitische Hizbullah-Miliz finanziert. Es gibt indische und arabische Restaurants, aber auch katholische Kirchen, anglikanische Schulen und evangelikale Gebetshäuser ohne die anderswo übliche Sicherheitsarchitektur, dazwischen der unkontrollierte, kaum durchschaubare Wildwuchs der Hilfsdienste und Nichtregierungsorganisationen, deren keineswegs selbstlose Arbeit den Laden am Laufen hält, sowie Versicherungen und Banken aus Afrika oder dem Mittleren Osten, die vom Chaos profitieren, indem sie der am Rand des Bankrotts lavierenden Regierung Geld leihen - zum horrenden Zinssatz von 22 Prozent.

Welche Frau ist die First Lady?

Nicht nur Staatsbetriebe wie Fähren, Wasser- und Elektrizitätswerke sind pleite, auch die Firmen und lukrativen Ländereien, die Präsident Jammeh, der reichste Unternehmer und Grundbesitzer des Landes, sich unter den Nagel riss, schreiben rote Zahlen. Außer Erdnüssen, einer Hinterlassenschaft der Kolonialzeit, exportiert Gambia nichts, im Gegenteil: Selbst Grundnahrungsmittel wie Reis müssen importiert werden, trotz großspurig verkündeter Agrar-Autarkie. Einzige Devisenquelle ist der Tourismus, der sich nur langsam vom durch Ebola bewirkten Rückgang erholt. Obwohl die Seuche Gambia verschonte, wird erst jetzt, mit Verspätung, über Früherkennung und Vorbeugung informiert, und der Staatschef behauptet allen Ernstes, einen Zaubertrank gegen Hexen und ein Heilmittel gegen Aids erfunden zu haben, das er an willkürlich aufgegriffenen Passanten ausprobieren lässt.

Gleichzeitig vergleicht Jammeh Schwule und Lesben mit Moskitos, die er abklatschen will. Und während sein Volk darüber rätselte, welche seiner drei Frauen die First Lady ist, erklärte er von heute auf morgen den Gebrauch von Plastiktüten für illegal - dass Stoffbeutel Geld kosten, steht auf einem anderen Blatt. Um sein Image zu verbessern, erließ er nach dem Besuch des amerikanischen Bürgerrechtlers Jesse Jackson eine Amnestie für Ex-Minister, Mörder und Vergewaltiger; aber hohe Richter, Generäle und Studenten, die sich in Internetforen despektierlich über den Präsidenten äußerten, bleiben im Folterzentrum Two Miles inhaftiert, und die Amnestierten dürfen Gambia nicht verlassen, weil ihre Ausweise ungültig sind. Wegen technischer Pannen werden keine neuen ausgestellt. Das ist nicht mal eine Ausrede!

„Jeder will weg von hier, lieber heute als morgen, egal wohin“, sagt Pabi, ein achtundzwanzigjähriger Rap-Sänger, der sich mit dem Verkauf gebrauchter Handys und Laptops ein schmales Zubrot verdient. Einen Job kriege nur, wer Minister oder Beamte besticht; außer bei Armee und Polizei gebe es keine Arbeit, und auch die werde schlecht oder gar nicht bezahlt. „,Gib mir was fürs Wochenende‘, sagte heute Morgen ein Soldat, der stundenlang am Checkpoint in der prallen Sonne stand, und ich bot ihm einen Schluck Wasser an.“ 95 von hundert Jugendlichen wollten auswandern, fügt Pabi auf Nachfrage hinzu, aber nur fünf erreichten Europa und schickten Geld an ihre Familien, die sich die Reisekosten vom Munde abgespart haben.

„Schauen Sie sich den Flughafen an!“

„Zwei Wege“, so sagt Pabi, „führen ins Gelobte Land - der Mittelweg mit Flugzeug und Visum über Griechenland und die Türkei, oder der Todesmarsch durch die Sahara und die lebensgefährliche Fahrt übers Mittelmeer.“ Back way heißt der Fachausdruck dafür, und unter diesem Motto findet ein Open-Air-Konzert statt, um Solidarität mit den Opfern zu bekunden. Ein Freund von ihm, sagt Pabi, habe den Todesmarsch überlebt und ihm erzählt, wie eine junge Frau aus Eritrea ihr Baby verdursten sah und ihr Bargeld verschluckte, als sie Banditen in die Hände fiel. Zur Strafe wurde sie vergewaltigt, und die Räuber ließen sie mit aufgeschnittenem Bauch, dem sie das Geld entnahmen, am Wegrand zurück. „Ich könnte weinen, wenn ich an Mutter Afrika denke, aber ich habe keine Zeit dazu, denn ich muss das Haus meiner in Deutschland lebenden Schwester vor Dieben schützen.“

Der Kontrast ist unübersehbar: Das von Pabi gehütete Haus liegt am Rand eines Bolzplatzes, auf dem Kinder Fußball spielen und magere Ziegen weiden, während beißender Rauch von einer benachbarten Müllhalde aufsteigt. Ganz anders die Villa des christlichen Libanesen Charbène Hajj, der in Gambia aufwuchs und schon in dritter Generation hier lebt. Grimmige Wachhunde, die sich beim Näherkommen als harmlos erweisen, schützen das am Meeresufer gelegene Grundstück, das Hajjs Großvater für einen Apfel und ein Ei erwarb. Hinter der hohen Mauer wächst ein tropischer Paradiesgarten, in dem Wasser plätschert. Der Gastgeber führt uns durch die moderne Einbauküche zum reich gedeckten Tisch. Er zeigt auf den mit Lichterketten verzierten Weihnachtsbaum: eine Plastiktanne, weil Nadelbäume aus London sündhaft teuer sind.

Die Einstufung Gambias als islamischer Staat habe nichts zu bedeuten, sagt Hajj. Christen und Muslime lebten hier friedlich zusammen, und auch die Muslime tränken gerne Bier: „Prost!“ Ob er den Staatschef persönlich kenne? „Ich bin ihm nie begegnet. Aber bei allem Schlechten, was man über ihn sagt, müssen Sie bedenken, dass das Stehlen und Plündern nach jedem Machtwechsel neu beginnt. Jammeh hat Gambia modernisiert - schauen Sie sich den Flughafen an!“ Hajj nimmt seine Tochter in den Arm und schaukelt sie auf den Knien. „Man lässt mich und meine Familie in Ruhe. Hoffen wir, dass es so bleibt - Inschallah!“

Hans Christoph Buch ist Schriftsteller. Sein Essay „Boat People – Literatur als Geisterschiff“ erschien 2014 in der Frankfurter Verlagsanstalt.