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Beitrag vom 24.09.2015

Neue Zürcher Zeitung

Textilindustrie in Lesotho

Amerikanische Privilegien und chinesische Investoren

Als Folge amerikanischer Handelsprivilegien hat sich Lesotho zu einem führenden Textilproduzenten in Afrika entwickelt. Die Investoren sind meist Taiwaner, Fachpersonal kommt häufig aus Festlandchina.

von Markus M. Haefliger, Maseru

Nirgendwo in Afrika sind in den vergangenen Monaten Verhandlungen im amerikanischen Kongress so genau verfolgt worden wie in Lesotho. Es ging um die Verlängerung der Africa Growth and Opportunity Act (Agoa), unter der afrikanische Produzenten unter gewissen Bedingungen von amerikanischen Einfuhrzöllen befreit werden. Zu dem Gesetz hatte Präsident Clinton den Anstoss gegeben, sein Nachfolger, George W. Bush, weitete die Handelspräferenzen unter dem Stichwort «trade instead of aid» (Handel statt Hilfe) weiter aus. Im Textilbereich wurden so kontinentweit Zehntausende von Arbeitsplätzen geschaffen. Im Juni bewilligte der Kongress die Verlängerung um zehn Jahre.

Lesothos Vorteil

Lesotho atmete auf. Die Volkswirtschaft des Bergstaats, der vollständig von Südafrika eingeschlossen wird, und seiner knapp 2 Mio. Einwohner hängt stark von den Handelspräferenzen ab. Wer frühmorgens vom Zentrum der Hauptstadt Maseru aufs Land hinausfährt, dem kommen im orangen Schein der aufgehenden Sonne Tausende von Fabrikarbeiterinnen entgegen. (80% der 35 000 in dem Sektor beschäftigten Lesothoer sind Frauen.) Viele wohnen in nahen Vororten und sparen sich die Auslagen für den öffentlichen Busverkehr. Die Luft ist vom aufgewirbelten Staub der Fussgänger gesättigt. Um 7 Uhr beginnt im Caledon-Tal unterhalb Maserus, dem Industrieviertel, der neunstündige Arbeitstag.

Die Anfänge der lesothoischen Textilindustrie lägen länger zurück als die Agoa-Privilegien, sagt die Unternehmerin Jennifer Chen, die Gründerin und Besitzerin von Shinning Century Ltd., einer der ältesten Textilfabriken in Maseru. Das Unternehmen beschäftigt 500 Näherinnen und Packer und stellt aus importiertem Mischgewebe Hemden, Trainingsanzüge und Jacken für amerikanische Bekleidungsfirmen her. Chen wanderte 1988 von Taiwan nach Lesotho aus und arbeitete zunächst als Managerin in einer Kleiderfabrik, die ein Verwandter aufgezogen hatte. Die zierliche Frau ist mittlerweile lesothoische Staatsangehörige und vertritt den Textilverband Lesothos bei internationalen Handelskonferenzen.

Laut Chen begründete das Multifaserabkommen von 1974, ein internationaler Handelsvertrag für die Gewebe- und Bekleidungsbranche, den Sektor. Als einkommensschwaches Land war Lesotho frei von den Quoten, die die Produktion von Schwellenländern wie Taiwan drosseln sollten. Gleichzeitig hatten Investoren in dem Kleinstaat, der mit Südafrika eine Zollunion bildet, leichten Zugang zu Häfen und anderen Infrastrukturen in Südafrika. «Lesotho lag ideal, um die taiwanischen Produktionskapazitäten auszuweiten», sagt Chan.

Gleich lange Spiesse

Im Vergleich mit heute blieb der Wirtschaftszweig lange wenig bedeutend. Aber seither – seit 25 Jahren – ist die Zahl der Betriebe von 7 auf derzeit 52 gewachsen, Tendenz steigend. Die Agoa-Regeln förderten die Ansiedlung von Fabriken. Laut Chen können asiatische Konkurrenten auf den Weltmärkten aber eine höhere Produktivität bei niedrigeren Kosten ausspielen; ein vietnamesischer Hersteller benötige von der Auftragserteilung für eine Konfektion bis zur Auslieferung in Amerika drei Monate. «In Lesotho brauchen wir doppelt so lange», sagt Chen. Nur dank Agoa verfüge die Branche auf dem US-Markt über gleich lange Spiesse.

Da der US-Zoll Einfuhren von Fertigprodukten mit bis zu 32% belastet, fällt der Nulltarif der Agoa ins Gewicht. Dazu wurden 2004 die Ursprungsregeln gelockert. Afrikanische Kleiderhersteller können seither Gewebe von nichtprivilegierten Drittländern wie China oder Indien verarbeiten, ohne die volle Zollbefreiung zu verlieren.

Nach einer krisenbedingten Rezession 2008 und 2009 erholte sich die Branche und machte letztes Jahr mit Exporterlösen von 480 Mio. $ 56% der lesothoischen Ausfuhren und 20% des Bruttoinlandprodukts aus. (Ausser Textilien exportiert Lesotho Rohdiamanten und Trinkwasser für Südafrikas Grossstädte.) Zusammen mit Kenya ist Lesotho wertmässig wichtigster Textilproduzent in Afrika. Zwei Drittel der Ausfuhren sind für Amerika bestimmt, der Rest wird innerhalb der Southern African Customs Union (Sacu) abgesetzt.

Chinesen bilden den Hauptharst der Unternehmer, weit vor südafrikanischen Investoren. Die meisten stammen, wie Jennifer Chen, aus Taiwan; «genaugenommen 27 von 30», präzisiert Chen. In der Fremde gehen allfällige Differenzen vergessen: Taiwaner und Festlandchinesen arbeiten Hand in Hand. So importiert Shinning Century die Rohstoffe, also Mischgewebe, neben Taiwan und Malaysia auch aus der Volksrepublik China. Im Management setzt Chen im buchhalterischen Bereich auf Taiwaner und Mauritier, für den technischen Sektor auf Festlandchinesen.

Lesotho ist mit mehreren tausend Einwanderern eines der Länder in Afrika mit der höchsten Dichte an chinesischen Immigranten. Diese besitzen bis in die höchsten Bergtäler hinauf Läden und Imbissstuben und sind in den Märkten der Hauptstadt nicht zu übersehen. Es handelt sich um Festlandchinesen, die laut der Migrationsforscherin Yoon Jung Park 1990 im Sog der Taiwaner ins Land kamen. Das Verhältnis zu den Einheimischen war nicht immer einfach, 1998 und 2007 kam es zu antichinesischen Ausschreitungen. Daniel Maraisane von der Textilarbeitergewerkschaft Independent Democratic Union erklärt dies damit, dass sich die Chinesen ohne Angewöhnung sofort ans Geldverdienen gemacht hätten. «Sie waren uns fremd», sagt er, «sie mochten es am liebsten, wenn die Angestellten rund um die Uhr arbeiteten.»

Aber die Agoa-Gesetzgebung bewirkte auch hier Wunder. Die Firmen mussten sich internationalen Arbeitsstandards anpassen und Kontrollen amerikanischer Prüfer erdulden, um in den Genuss der Präferenzen zu kommen. Gewerkschaften und Unternehmer handelten freiwillige Normen aus, die von den meisten Firmen, unter ihnen alle grösseren, unterzeichnet wurden. Die Chinesen hätten sich angepasst, sagt Maraise, «einige lernen jetzt sogar Sotho (die Nationalsprache)». Jennifer Chen sagt, Chinesen kennten mittlerweile ihre Rechte und Pflichten.

Mittagszeit im Fabrikquartier

Das Los der Näherinnen bleibt freilich hart. Die Monatslöhne liegen bei 1200 Maloti (knapp 90 Fr.), bei gutem Auftragsstand kann mit Überzeit ein Zubrot verdient werden. In einer Fabrik im Industrieviertel von Maseru steht Palesa Mohasoa täglich neun Stunden an einem Tisch und untersucht fertige Trainingsanzüge auf Fehler. Mit der Arbeit, die als unqualifiziert gilt, verdient die 28-Jährige umgerechnet 79 Fr. pro Monat. Sie bringt damit alleine eine fünfköpfige Familie durch, bestehend aus der Grossmutter, die sich zu Hause um ihr Baby kümmert, und zwei Schwestern, die in die Schule gehen.

Ein jährlich erscheinender Bericht über die Einhaltung der Arbeitsnormen stellt den Unternehmen gute Noten aus, bemängelt jedoch, dass das Wohl der Textilarbeiterinnen, insbesondere derjenigen, die ihre Arbeit stehend verrichten, häufig nicht beachtet werde. Aber niemand murrt. Zur Mittagszeit strömen die Arbeiterinnen von einem Dutzend Fabriken auf die Nebenstrassen des Industrieviertels. Frauen betreiben dort Garküchen, deren Preise den Löhnen angepasst sind. Bei Clementina Moshoeshoe, die unter einem Wellblechdach kocht, kostet ein Teller Wurst mit Bohnen, Gemüsen und einer scharfen Sauce umgerechnet Fr. 1.40 Wenn die Arbeiterinnen aus dem Kopf ihre Haushaltbudgets hersagen, mit Monatsmieten und Ausgaben für den Bus von je 25 Fr., fragt man sich, wie sie durchkommen. Aber nach dem Mittagessen gehen sie mit festem Schritt und erhobenen Hauptes zurück in die Fabrik, sichtlich stolz, einen Job zu haben.