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Pour une autre politique de développement!

Beitrag vom 17.08.2015

IPG (Internationale Politik und Gesellschaft) Journal

Mit Sex-Streik zum Erfolg

Warum Frauen in Afrika endlich mehr mitbestimmen sollten. Und wo sie es bereits tun.

von Volker Seitz

Kompetenz kann nicht der Grund dafür sein, dass in Afrika Männer die Regierungen dominieren. Die wenig überzeugenden Ergebnisse der Regierungsverantwortung in den letzten fast 60 Jahren seit der Unabhängigkeit haben klar gezeigt: Nachdem die Männer es in Afrika nicht geschafft haben, trotz vorhandener Ressourcen für die breite Bevölkerung bescheidenen Wohlstand zu schaffen, ist es an der Zeit, eine stärkere Beteiligung der Frauen in den Blickpunkt zu rücken.

Ich habe immer wieder erlebt, dass Frauen in Afrika einen nüchternen Blick für das Machbare – und nicht so sehr das Wünschbare – haben. Sie können handfeste und umsetzbare politische und wirtschaftliche Entwicklungskonzepte definieren, die in die angestammten und vertrauten afrikanischen Gesellschaftsstrukturen der Menschen passen und deshalb bleibende Wirkungen entfalten können.

Mit der liberianischen Präsidentin und Friedensnobelpreisträgerin Ellen Johnson Sirleaf ist schon einmal ein Anfang gemacht. Waffenruhe, Bildung und Infrastruktur waren die Schwerpunkte ihrer Regierung in den ersten Jahren nach dem Bürgerkrieg. Liberia hat wieder ein halbwegs befahrbares Straßennetz, in der Hauptstadt ein leidlich funktionierendes Wasser- und Stromnetz; es wurden Krankenhäuser und Schulen gebaut. Frauen in der Politik sind nicht die besseren Menschen – Frau Johnson Sirleaf hat drei Söhnen und ihrem Bruder hohe lukrative Posten zugeschanzt –, aber sie investieren in der Regel mehr in Gesundheit und Bildung. Deshalb ist der Beitrag, den Frauen in Afrika zum gesellschaftlichen Wohlergehen leisten, meist größer als der von Männern.

Was geht uns das an?

Trotz der in Glanzbroschüren der Entwicklungshilfeindustrie sehr geläufigen Formulierung „Frauen stärken“ bleibt es meist bei rhetorischen Forderungen, und die Hilfe kommt in erster Linie staatlichen Strukturen und damit wieder Männern zugute. Die männlichen Eliten Afrikas lösen die Versprechen gegenüber den Geberländern nur halbherzig, unzureichend oder gar nicht ein. Die Frauen werden gerne auf ihre traditionell fürsorgende Rolle reduziert. Die Geber sollten darauf dringen, dass den Frauen die Chance gegeben wird, es besser zu machen.

Afrika ist ein Kontinent, auf dem das Recht auf Bildung in vielen Ländern, insbesondere für Frauen, nicht geachtet wird. Es symbolisiert berufliche Aufstiegsmöglichkeiten, den Schutz vor Ausbeutung, die Chance sich zu emanzipieren, die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln und eine Grundlage zu schaffen für ein besseres Leben. Traditionelle Rollenbilder müssen – auch mit Auflagen durch Entwicklungshilfe – aufgebrochen werden, Frauen sollten ganz neue Beteiligungschancen bekommen. Die Frauen in Afrika müssen die Chance erhalten zu erfahren, welche Rechte sie haben und welche Rechte sie fordern sollten und wie diese politisch durchgesetzt werden können. Sie müssen sich gegen ihre in alten Denk-und Verhaltensmustern verharrenden Politiker, Ehemänner, Kollegen und Vorgesetzten durchsetzen können. Die alte (Männer-) Riege zieht alle Register der Volksbeeinflussung, spielt die ethnische Karte, um sich so lange wie möglich an der Macht zu halten. Dazu dient ihr nicht zuletzt das Geld, das sie in den Jahren ihrer Staatsführung anhäufte.

So schlimm ist es

Newsweek hat 2011 im Rahmen der Untersuchung „Global Women's Progress“ eine Liste von 20 Ländern veröffentlicht, in denen es besser wäre, nicht als Frau geboren zu werden. Unter den Ländern mit der größten Geschlechterkluft sind allein 15 afrikanische Staaten. Geprüft wurden der Zugang zu Bildung, gesundheitliche Aspekte, Gleichberechtigung, Teilhabe an politischen Ämtern und der Wirtschaft. Im Tschad, dem Schlusslicht, haben die Frauen „beinahe keine gesetzlich verankerten Rechte“ und schon zehnjährige Mädchen werden verheiratet. Das gilt auch für den Niger. Nach einem wegweisenden Urteil hat der Gerichtshof der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) den Staat Niger der Duldung von Menschenhandel und Sklaverei schuldig gesprochen. Die Klägerin Adidjatou Mani Koraou war im Alter von zwölf Jahren für rund 370 Euro an einen Mann verkauft worden, der sie zu seiner fünften Ehefrau machte. Zwei Kinder bekam sie von ihm. Nach zehn Jahren erfuhr sie, dass Sklaverei im Niger illegal sei. Mit Hilfe von Menschenrechtsorganisationen verklagte sie den Staat Niger, weil er sie nicht gegen Sklaverei geschützt habe. Das Gericht wies den nigrischen Staat an, der Klägerin umgerechnet 15.000 Euro Schadensersatz zu zahlen.

In den Verfassungen der meisten afrikanischen Länder wird die Gleichstellung der Frau zwar garantiert. Dies hat aber nicht zu mehr Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse und zu einer Verbesserung der Lebensrealität der Masse der Frauen geführt. Verfassungen sind immer dann am nützlichsten, wenn Rechtsregeln tatsächlich eingehalten werden. Wenn eine Frau ihre Rechte in Anspruch nehmen will, wird sie als „unafrikanisch“ betrachtet. Der ugandische „Ethikminister“ Simon Lokodo meinte, dass es natürlich sei, Frauen zu vergewaltigen oder sie zu „disziplinieren“, wenn sie Männer durch ihre Kleidung „irritieren“. In Uganda werden Frauen regelmäßig auf der Straße entkleidet, festgenommen und wegen ihrer Kleidung bestraft.

Der Mann ist nach althergebrachten Denkweisen der unumstrittene Chef der Familie, selbst wenn die Frau den täglichen Überlebenskampf organisiert. 80 Prozent der Nahrung werden in Afrika unbezahlt von Frauen produziert, aber sie besitzen weniger als 10 Prozent der Felder. Wenn sie vom Feld zurückkommen, sammeln sie Feuerholz, gehen weite Wege, um Wasser zu holen, machen Essen, fegen Haus und Hof und erziehen die Kinder. Weltbankstudien haben belegt, dass Frauen im ländlichen Senegal, in Mosambik und Uganda im Durchschnitt 16 Stunden in der Woche allein mit Wasserholen verbringen. Andere Studien zeigen, dass Frauen südlich der Sahara mehr auf ihren Köpfen transportierten, als im gleichen Zeitraum in Fahrzeugen transportiert wurde. Oft verfügen Frauen nicht über einfachste Technologien wie Schubkarren und Getreidemühlen, die ihnen Zeit und mühsame Plackerei ersparen würden. Der anstrengende Feuchtreisanbau ist in Westafrika reine Frauensache.

Wenn sie Zugang zu Bildung, Besitz, Kredit sowie Recht auf Boden und Erbschaft bekommen, sind Frauen in Afrika weitaus produktiver als Männer. Auch die Ausgestaltung von Ehe- und Familienrecht spielt eine zentrale Rolle und beeinflusst maßgeblich die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Frauen. Sie haben sich als zuverlässige Geschäftspartner bei sogenannten Mikrokrediten erwiesen. Die Rückzahlungsquote liegt, nicht zuletzt weil fast alle Kreditnehmer Frauen sind, bei fast 99 Prozent. Sie sind, obwohl benachteiligt, die Konstante im Leben ihrer Familie und zuverlässige Arbeiterinnen für den Erhalt und die Weiterentwicklung ihrer Gesellschaft. Sie haben inzwischen erkannt, wie wichtig es ist, dass sie ins Licht der Öffentlichkeit treten und sich zum Beispiel in der Politik engagieren.

Sexuelle Enthaltsamkeit als politisches Druckmittel

Die Frauen entdecken, dass sie Rechte haben. Sie gewinnen Selbstvertrauen und die Kraft, sich zu wehren. In drei Ländern haben Frauen das Schlafzimmer als Druckmittel in der Politik eingesetzt. Wie Aristophanes‘ Lysistrata mobilisierte 2003 die spätere Friedensnobelpreisträgerin Leymah Gbowee ihre Geschlechtsgenossinnen in Liberia zu einem Sex-Streik, um die Politiker nach einem 14-jährigen Bürgerkrieg zu einem Friedensschluss zu zwingen. Auch in Kenia riefen 2009 Frauenorganisationen zu einem einwöchigen Sex-Streit auf. Sie wollten ihre Männer dazu bringen, Druck auf die Politiker auszuüben, damit diese ihre „Streitigkeiten beenden und das Land verantwortungsvoll regieren“. Sie fürchteten eine Wiederholung der blutigen Unruhen, bei denen 2008 nach den Präsidentenwahlen mehr als tausend Menschen getötet worden waren. In Togo wollten 2012 die Frauen durch Abstinenz den Rücktritt des Präsidenten, dessen Familie seit 1967 das Land regiert, erzwingen. Diese machtvolle Art, sich Gehör zu verschaffen, war immerhin in Liberia und Kenia erfolgreich.

Besser gebildete Frauen heiraten später, bekommen weniger und gesündere Kinder. Sie lernen, sich zu wehren und sich vor Krankheiten wie Malaria und Aids zu schützen. Sie lernen, wie sich durch hygienebewusstes Verhalten Krankheiten vermeiden lassen. Leider wird ihnen – nicht nur in religiös fundamentalistisch geprägten Staaten – die aktive Rolle in der Familienplanung und damit der Kampf gegen die Bevölkerungsexplosion verwehrt. Hillary Clinton forderte daher auf dem Gipfel „Rio+20“ im Juni 2012 zu Recht: „Frauen sind der wichtigste Motor einer nachhaltigen Entwicklung, und müssen deshalb in die Lage sein, über ihre Fortpflanzung selbst entscheiden zu dürfen.“

Ohne die Frauen bricht die Wirtschaft wie ein Kartenhaus zusammen

Einige starke Frauen – meist ledig, verwitwet oder geschieden – in Togo, Ghana oder Nigeria haben bereits vor drei Jahrzehnten begriffen, dass „Frauen, die nichts fordern, beim Wort genommen werden. Sie bekommen nichts“ (Simone de Beauvoir). Durch exklusiven Stoffhandel sind sie wohlhabend geworden. Nach ihren Mercedes-Karossen werden sie als „Nana oder Mama Benz“ bezeichnet. In Ghana wird niemand Präsident, der nicht das Wohlwollen der Marktfrauen hat. In Kamerun sind fast das gesamte Transportwesen und die Druckereien in Frauenhand. In Togo und Benin gehört ein großer Teil der Fischfangflotte den Fischhändlerinnen des Landes.

Eine erkleckliche Zahl junger Frauen Afrikas ist gebildet, reist um die Welt, informiert sich durch das Internet und scheint eine schier unerschöpfliche Energie und Kraft zu haben. Diese Frauen machen Karriere, werden finanziell unabhängig und bestimmen ihr Leben selbst. Die Globalisierung bedeutet für sie Zugang zu Informationstechnologien, besonders im Internet. Sie trägt zur gesellschaftlichen Veränderung bei und bietet neue Chancen politischer Mitgestaltung für Frauen, neue Möglichkeiten gesellschaftlicher Entwicklung hin zu mehr Gleichberechtigung. Unter Männern spricht sich langsam herum, dass eine gut ausgebildete Frau mehr Einkommen für die Familie erzielt. Umtriebige Geschäftsfrauen nutzen Mobiltelefone, um Kundenkontakte zu pflegen, Marktpreise in anderen Regionen herauszufinden, Rechnungen zu bezahlen, und bringen dank der Informations- und Kommunikationstechnologien Familie und Geschäft problemlos unter einen Hut. Nochmals ist Hillary Clinton zu zitieren: „Wenn alle afrikanischen Frauen, vom Kap bis Kairo, sich entschlössen, eine Woche nicht zu arbeiten, würde die gesamte Wirtschaft des Kontinents wie ein Kartenhaus zusammenfallen.”

Ruanda macht es vor

In Ruanda werden die Talente und Fähigkeiten der Frauen besser als anderswo in Afrika genutzt. Wie viele andere Gesellschaften in Afrika war auch die ruandische traditionell patriarchal, und Frauen wurden lange als geringerwertig angesehen. Heute ist Ruanda ein Musterbeispiel der Gleichberechtigung. In keinem Land der Welt gibt es mehr Frauen in entscheidenden Positionen als in Ruanda. Das ist einer der Hauptgründe für den Aufstieg des Landes zu einer der fortschrittlichsten Nationen Afrikas. Frauen sind in Entscheidungen eingebunden. Dies befördert Fortschritt und Wachstum erheblich. Das Land ist zwar arm an Bodenschätzen, aber emsiger Fleiß -insbesondere der Frauen- ist überall. Das Parlament war 2008 die erste Volksvertretung der Welt, in der mehr weibliche als männliche Abgeordnete saßen, bei den letzten Wahlen gewannen die Frauen fast zwei Drittel der Sitze, im Senat sind es vierzig Prozent. Die Weltbank hat festgestellt, dass die Korruptionsrate umso niedriger ist, je größer der Frauenanteil in einem Parlament ist. Die Ministerien für Auswärtiges, Gesundheit, Familie, Landwirtschaft und Energie sind allesamt in Frauenhand. Die Außenministerin Louise Mushikiwabo (56) wird als potenzielle Nachfolgerin von Präsident Paul Kagame gehandelt, wenn dessen letzte Amtszeit 2017 endet.

Die ruandische Botschaft in Berlin wurde von 2009 bis 2015 von einer Frau geleitet, die perfekt deutsch spricht. In Ruanda ist es völlig normal, dass viele hohe Justizbeamte Frauen sind. Hotelmanager, viele Unternehmer sind Frauen. Nicht nur die Washington Post glaubt, dass Frauen in Ruanda, trotz einiger demokratischer Defizite, für den Aufschwung zu einem der fortschrittlichsten Staatswesen Afrikas verantwortlich sind.