Beitrag vom 26.07.2015
Stuttgarter Nachrichten
AFRICOM
Als erstes deutsches Medium haben die Stuttgarter Nachrichten Einblick in eine Operation des umstrittenen US-Afrikakommandos genommen
Autoren: Christoph Reisinger, Rebecca Hanke, Michael Weißenborn
Halbwahres, Legenden, Märchen: Viele Geschichten haben sich in den vergangenen Monaten um Africom, das Stuttgarter Oberkommando der US-Streitkräfte für Afrika, gerankt. Dabei ging es ausschließlich um Schnüffelattacken des US-Geheimdienstes und Riesen-Datenstaubsaugers NSA in Deutschland. Oder um tödliche Angriffe mit unbemannten Flugzeugen auf mutmaßliche Terroristen in Afrika. Grund genug für die Stuttgarter Nachrichten, genau hinzusehen.
Die Vor-Ort-Recherche hat den Chefredakteur in den Africom-Einsatz gegen eine der blutrünstigsten Milizen Afrikas geführt, Joseph Konys Widerstandsarmee des Herrn (Lord’s Resistance Army, LRA) . Zunächst hinter den Kasernenzaun in Stuttgart, dann ins Zentralafrika-Hauptquartier des amerikanischen Kommandos für Spezialoperationen im ugandischen Entebbe. Weiter zu den Elite-Soldaten des US-Heeres, den Green Berets, und ihren afrikanischen Verbündeten in die Dschungel des Kongos. Und nicht zuletzt zu Kämpfern der LRA, die vor wenigen Tagen erst ihre Waffen in der Zentralafrikanischen Republik niedergelegt haben.
Der generelle Befund: Nichts widerlegt grundsätzlich die Vermutung, dass auch die NSA den Militärstützpunkt in Stuttgart-Möhringen für ihre streng geheimen Operationen nutzt. Aber der Einsatz gegen die LRA macht sichtbar, wie Africom sehr viel weiter gefassten Zielen dient.
„Diese Operation ist ein gutes Beispiel für das, was wir den Aufbau von Partner-Fähigkeiten nennen“, sagte Africom-Kommandeur David Rodriguez den Stuttgarter Nachrichten. „Das ist eine jener Aufgaben, für die das Kommando gegründet wurde“. Es gehe im Kern darum, „die Verteidigungsfähigkeit afrikanischer Staaten und regionaler Organisationen zu stärken“. Darum, durchhaltefähige Streitkräfte aufzubauen, „die Menschenrechte respektieren und der Herrschaft des Rechts folgen“.
So auch in der Auseinandersetzung mit Konys Mörderbande. Die sieht sich heute einer gemeinsamen 4000-Mann-Streitmacht (AU-RTF) jener vier afrikanischen Staaten gegenüber, in denen sie wütet: Uganda, Kongo, Südsudan und Zentralafrikanische Republik. Auf diese Truppe konzentriert sich die Unterstützung, die Africom leistet. „Ich betone, dass der Einsatz gegen die LRA afrikanisch geführt ist“, beschreibt Rodriguez das Verhältnis der Amerikaner zu ihren Partnern. Denen stehen sie mit Zivilschutz, Entwicklungshilfe, militärischer Ausbildungshilfe zur Seite. Und mit einem ausgeklügelten Programm, das LRA-Kämpfer zum Aussteigen bewegen und den Oberschurken Kony und dessen engste Gefolgsleute isolieren soll.
Rund 100 US-Soldaten sind dafür unter Africom-Führung im Einsatz. Außerdem viele private Hilfsorganisationen und die staatliche Entwicklungshilfe. Das US-Außenministerium leitet den gesamten Einsatz. Unbemannte Flugzeuge, sogenannte Drohnen, spielen auch hier eine Rolle, wie Rodriguez einräumt: „Wir nutzen fliegende Überwachungsplattformen, um alle Anstrengungen gegen die LRA zu verstärken“. Welche, wie viele, wo genau – dazu will der Vier-Sterne-General nichts sagen „mit Rücksicht auf den Schutz unser Soldaten“.
Historisch einmalig ist der Weg Amerikas in den Krieg gegen Konys LRA: Es war vor allem die Hilfsorganisation Invisible Children (Unsichtbare Kinder), die mit einer beispiellosen Mobilisierungskampagne Präsident Barack Obama zum Eingreifen getrieben hat. Von Ende 2011 an auch zum militärischen. Nicht zuletzt mit ihrem Internet-Clip „Kony 2012“, der auf Youtube fast 100 Millionen Zuschauer gefunden hat, verschaffte die Organisation den Greueln der LRA weltweite Aufmerksamkeit. Außerdem sammelt sie so viele Informationen als möglich über die Miliz.
Konys Truppe hat seit 1987 Tausende Kinder entführt, zu Killern abgerichtet oder als Sklaven missbraucht. Tausende Zivilisten wurden gnadenlos massakriert oder verstümmelt. Hunderttausende gingen im Herzen Afrikas auf die Flucht vor der LRA und verloren so ihre Heimat.
Kommandeure der von Africom unterstützten afrikanischen Eingreiftruppe bezifferten die LRA in Gesprächen mit unserer Zeitung auf „höchstens noch 150 Kämpfer“. Früher waren es mehr als 2000. Stolz verweist Africom auf die Erfolge des LRA-Aussteiger-Programms. Auch der markige Satz des Kommandeurs „Unmittelbares Ziel der Mission gegen die LRA ist es, Joseph Kony vom Schlachtfeld zu eliminieren“ findet eine Bestätigung in den jüngsten Zahlen: „Seit 2012 hat die afrikanische Eingreiftruppe drei der fünf Top-Kommandeure der LRA ausgeschaltet“, versichert Rodriguez. Africom schätzt, dass die Afrikaner im vergangenen Jahr 39 LRA-Lager zerstört haben. Außerdem sei die Zahl der Binnenflüchtlinge aus den von Kony heimgesuchten Regionen gegenüber 2012 von 440000 auf 326000 gefallen.
Africom blickt bereits weit über Kony und die LRA hinaus: „Wir lernen von unseren Afrikanischen Partnern so viel wie sie von uns. Das Wissen, das wir über die Umwelt, die Kulturen und ihre Streitkräfte gewinnen, wird uns letztlich zu besseren Partnern machen“, sagt Rodriguez. Und nennt das immer besser funktionierende Zusammenspiel in der Vier-Nationen-Truppe AU-RTF, die Kony bekämpft, ein „Nebenprodukt“ des Einsatzes. „Diese verbesserten Fähigkeiten werden alle beteiligten Länder in die Lage versetzen, enger zusammenzuarbeiten und künftigen Herausforderungen der regionalen Sicherheit effektiver denn je zuvor entgegenzutreten.“
Doch erst einmal gilt alle Konzentration einem: Joseph Kony und seiner unheimlichen Widerstandsarmee des Herrn.
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2007 gründet US-Präsident George W. Bush das neue US-Regionalkommando für Afrika. Die USA tragen damit der wachsenden geostrategischen Bedeutung des Schwarzen Kontinents Rechnung. Bei seiner Entstehung kritisieren viele afrikanische Führer, aber auch so mancher Kritiker in den USA, das Pentagon wolle Entwicklungshilfe und Diplomatie militarisieren. In Afrika wird auch befürchtet, Washington wolle dort große Stützpunkte errichten.