Beitrag vom 28.05.2015
Neue Zürcher Zeitung
Demokratie in Nigeria
Inspiration für ganz Afrika
Der scheidende Präsident Jonathan hat den Weg für eine friedliche Machtübergabe geebnet. Es obliegt nun dem künftigen Präsidenten Buhari, mit demokratischer Gesinnung zu regieren.
Gastkommentar von Kofi Annan
Zum ersten Mal in der Geschichte Nigerias übergibt am Freitag ein gewählter Präsident die Macht an einen anderen gewählten Präsidenten - dies nach Wahlen, die im Grossen und Ganzen frei, fair und vergleichsweise friedlich abgelaufen sind. Insbesondere der scheidende Präsident Goodluck Jonathan verdient Anerkennung dafür, seine Niederlage rasch und elegant eingestanden zu haben. Ich war anwesend, als sich vor drei Monaten Präsident Jonathan und sein Hauptrivale, General Muhammadu Buhari, auf friedliche Wahlen geeinigt haben. Sie haben ein zwischenparteiliches Abkommen unterzeichnet, das sie und ihre Parteien dazu verpflichtete, aktive Massnahmen zu ergreifen, um Gewalt vor, während und nach den Wahlen zu verhindern. Sie einigten sich auch darauf, das Wahlergebnis zu respektieren. Es war dies eine wichtige Botschaft, die sowohl Nigeria als auch seine Nachbarn beruhigte. Meine Stiftung und ich waren erfreut, dass wir diese Bemühungen unterstützen konnten.
Doch wurde die Botschaft auch weit über Nigerias Grenzen hinaus gehört? Dass mittlerweile fast weltweit gewählt wird, ist eine der spektakulärsten Veränderungen, die ich im Laufe meines Lebens beobachten durfte. In einem Land nach dem anderen haben die Menschen ihr Leben riskiert, um wählen zu dürfen. Wahlen sind ein unerlässliches Instrument der Demokratie. Doch in den letzten Jahren haben mit Mängeln behaftete Wahlen oftmals das Vertrauen der Bürger in den demokratischen Prozess ausgehöhlt. Gewalt im Zusammenhang mit Wahlen in so unterschiedlichen Ländern wie Ägypten, der Ukraine, Thailand und zuletzt Burundi haben Folgendes gezeigt: Wahlen, die doch die Stabilität fördern und die friedliche Übergabe der Macht ermöglichen sollen, können spaltend wirken, wenn der Prozess nicht professionell, transparent und integer gehandhabt wird. Es ist nicht überraschend, dass Wahlen, wenn sie als blosse technische Übung gesehen werden, die eine Person oder Gruppe an die Macht bringen oder deren Macht erhalten sollen, zu Ernüchterung und Gewalt führen, wenn der Kontext undemokratisch bleibt.
Zwar ist keine Wahl jemals perfekt, nicht einmal in den entwickeltsten und stabilsten Demokratien. Doch die Menschen wollen, dass das Möglichste getan wird, damit ihre Wahlen fair und glaubwürdig ablaufen.
Die Erkenntnis daraus ist, dass Wahlen per se nicht genügen - selbst wenn alle technischen und organisatorischen Prozeduren respektiert werden. Der Grund dafür ist einfach: In der Demokratie geht es nicht allein um Legalität, so entscheidend Rechtsstaatlichkeit auch ist; es geht immer auch um Legitimität. Wahlen müssen eine echte Wahl bieten. Wenn Wahlen, die eine Regierung an die Macht bringen, als manipuliert oder unfair betrachtet werden und die Regierung dann nicht demokratisch regiert, wird diese auch nicht in den Genuss der Vorteile kommen, die mit der Demokratie verbunden sind. Sie wird es sogar schwerer haben, überhaupt zu regieren.
Sich entwickelnde wie etablierte Demokratien stehen gleichermassen vor der Herausforderung, sicherzustellen, dass Wahlen in einem demokratischen Bewusstsein stattfinden, dass ein Rückhalt in starken Institutionen besteht, die einen ordnungsgemässen Wahlablauf auch nachhaltig sichern können.
Der scheidende Präsident Jonathan hat den Weg für eine friedliche Machtübergabe geebnet. Es obliegt nun dem künftigen Präsidenten Buhari, mit demokratischer Gesinnung zu regieren, die öffentlichen Institutionen zu stärken und sicherzustellen, dass bei den kommenden Lokal- und Parlamentswahlen nicht in alte Verhaltensweisen zurückgefallen wird.
Lasst uns hoffen, dass Nigerias jüngste Wahlen nicht eine glückliche Ausnahme darstellen, sondern einen demokratischen Aufbruch signalisieren, der andere Staaten in Afrika und darüber hinaus inspiriert - Staaten, die ebenfalls vor der komplizierten und manchmal gefährlichen Herausforderung einer politischen Transition stehen.
Kofi Annan war von 1997 bis 2006 Uno-Generalsekretär. Er ist Vorsitzender der in Genf ansässigen Kofi Annan Foundation, die politische Führer motivieren will, sicherzustellen, dass ihre Wahlen und Friedensprozesse friedlich verlaufen.