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Beitrag vom 26.12.2014

FAZ

Botschafterinnen in Sachen Krebs

Afrika kennt noch andere Probleme als Ebola. Gegen Viren, die Krebs auslösen, gibt es immerhin eine Impfung. Tansania führt sie jetzt ein.

von Sonja Kastilan

Keines der Kinder trägt Schuluniform. Es ist Sonntag, und so staksen Irene Damas und Yustina Alfonsi ausnahmsweise auf hohen Riemchensandalen zum Sommerkleid ins Lehrerzimmer. Sie sind elf und zwölf Jahre alt, die zehnjährige Aisha Ramadhami folgt ihnen in Flipflops. Während im Klassenraum nebenan Krankenschwestern mit Spritzen hantieren, sprechen die drei über ihren Alltag in Kindi. Das Dorf liegt in der Nähe der regionalen Hauptstadt Moshi im Norden von Tansania. Touristen besuchen die Gegend, um von hier aus den Kilimandscharo in Angriff zu nehmen, Afrikas gewaltiges Bergmassiv, das sich allerdings hinter Dunst und Wolken versteckt, als wir vormittags ankommen.

Ein Fußmarsch von vierzig bis fünfzig Minuten ist für die drei Mädchen der normale Schulweg. Sie antworten anfangs schüchtern auf die Fragen, die ihnen die Kinderärztin Frida W. Mghamba aus dem Englischen in Suaheli übersetzt. Eine möchte Lehrerin werden, bei den beiden anderen steht der Arztberuf hoch im Kurs: Sie wollen Menschen behandeln und vor Krankheiten schützen, wie sie es eben erlebt haben, als man ihnen das neue Kombinationspräparat gegen Masern und Röteln injizierte. Nein, sagen sie, es habe nicht weh getan, keiner liefen die Tränen.

Pilotprojekt in Tansania

Krank waren alle drei schon, hatten Windpocken, Erkältungen und Husten. Die Mädchen wissen, was eine Impfung bedeutet, auch wenn es ihnen jetzt, Mitte Oktober, schwerfällt, sich zu erinnern, weshalb genau sie Anfang Mai eine Injektion mit einem Impfstoff gegen humane Papillomaviren (HPV) bekommen haben. Irene, Yustina und Aisha nehmen mit Erlaubnis der Eltern an einem Demonstrationsprojekt teil, für das die Kilimandscharo-Region ausgewählt wurde. Dort ist ein Großteil der Mädchen im fraglichen Alter tatsächlich in den Schulen zu finden, wie es das Gesetz vorschreibt. Auch ist die Geographie repräsentativ für das ganze Land, neben städtischen gibt es ländliche Distrikte. Hier will das tansanische Gesundheitsministerium Erfahrungen sammeln, bevor die HPV-Impfung landesweit angeboten wird. In zwei Jahren, so lautet der Plan.

Tansania ist eines von zwölf afrikanischen Ländern, die mit Förderung der Impfallianz Gavi jetzt HPV-Pilotprojekte realisieren. In Ruanda ist diese Impfung bereits landesweit eingeführt, Uganda soll 2015 folgen. Gavi finanziert Impfprogramme in Entwicklungsländern, verhandelt dafür mit Herstellern über niedrigere Preise und arbeitet mit Organisationen wie der WHO, Unicef, dem Lions Club und der KfW zusammen. Wichtige Geldgeber sind Regierungen, und dabei spielt Deutschland keine unerhebliche Rolle: Seit 2006 wird Gavi unterstützt - und bis 2020 sollen weitere 500 Millionen Euro fließen. Im Januar 2015 findet in Berlin die Geberkonferenz unter Schirmherrschaft von Angela Merkel statt, auf der die Finanzierung bis 2020 gesichert werden soll. Mit zusätzlichen 7,5 Milliarden Dollar, um weltweit 300 Millionen Kinder zu impfen und so bis zu sechs Millionen Leben zu retten.

Unabhängig davon wurden der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC) im Oktober zwanzig Millionen Euro zugesagt, mit denen die deutsche Regierung ein Impfprogramm für Kenia, Uganda, Ruanda, Burundi und Tansania fördert, ebenfalls in Zusammenarbeit mit Gavi. Die fünf EAC-Staaten schicken auch 600 Helfer, um Westafrika im Kampf gegen Ebola beizustehen, und sie rüsten sich selbst gegen die Seuche, über die tansanische Zeitungen während unseres Aufenthaltes täglich berichten. Die Pläne für den Ernstfall stellt uns Gesundheitsminister Seif Rashid in einem Gespräch kurz dar. Als gelernter Arzt weiß er, dass eine medizinische Grundversorgung und Impfungen auch ohne die Bedrohung durch Ebola wichtig sind. Da werde man noch einiges tun müssen.

Impfen vor der Infektion

Wie erfolgreich die bisherigen Maßnahmen sind, zeigt sich in Tansania beispielsweise an der Kindersterblichkeit: Waren es im Jahr 2000 noch 132 von 1000 Neugeborenen, die keine fünf Jahre alt wurden, sind es 2012 nur noch 54 gewesen. Bei HPV liegt das Augenmerk auf der Gesundheit der Frauen und künftigen Mütter die man vor Gebärmutterhalskrebs schützen will. Es ist ein Novum, dass ein Impfstoff derart gefördert wird, der sich nicht, wie zum Beispiel das neue Masern-Röteln-Kombipräparat, gegen Krankheiten richtet, die vor allem Kinder treffen.

Gegen HPV, laut Minister Rashid ein "Schlüsselfaktor" für die Gesundheit der weiblichen Bevölkerung, kommt in Tansania eine Vakzine zum Einsatz, die in Europa seit 2006 zugelassen ist und von der nach Angaben des Herstellers weltweit inzwischen 150 Millionen Dosen ausgeliefert wurden. Das Präparat richtet sich gegen je zwei der Haupterreger von Gebärmutterhalskrebs und Genitalwarzen. Diese Papillomaviren werden vor allem sexuell übertragen, und die Impfung sollte geschehen, bevor die Möglichkeit einer Infektion besteht, also vor dem ersten Geschlechtsverkehr. Zielgruppe sind die 9- bis 13-Jährigen, wie es jetzt die Ständige Impfkommission in Deutschland ähnlich empfiehlt.

Von exakt 18 913 Mädchen dieser Altersgruppe, die man in der Kilimandscharo-Region zuvor registriert hatte, erhielten im Mai 17 638 eine erste von zwei Dosen, die nötig sind, um den Impfschutz aufzubauen. Dass ein halbes Jahr später die zweite Injektion erfolgen muss, darüber informiert unter anderem ein Faltblatt, das in Suaheli auch den Zusammenhang zwischen "Virusi" und Gebärmutterhalskrebs (Saratani ya mlango wa kizazi) erklärt.

Weltweit gibt es jedes Jahr schätzungsweise 500 000 neue Fälle, und 273 000 Frauen sterben daran, größtenteils im südlichen Afrika. Tansania gehört zu den Ländern mit hoher Inzidenz, jährlich erkranken dort mindestens 51 von 100 000 Frauen, manche Annahmen gehen sogar von 69 aus. Dabei stehen den rund 6000 Krebskranken, die pro Jahr offiziell diagnostiziert werden, mehr als 4000 Todesfälle gegenüber. Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen, wie sie in Deutschland üblich sind, lassen sich hier auf der fast dreifachen Fläche und bei 50 Millionen Einwohnern kaum umsetzen.

Nicht jedes Krankenhaus ist für Screening und Behandlung gerüstet, zudem muss auf andere Methoden als in deutschen Frauenarztpraxen zurückgegriffen werden. Und nur wenigen Frauen ist die Vorsorge überhaupt bekannt. Oder sie können es sich nicht leisten, die Reise anzutreten, um sich untersuchen und wenn nötig mit einem vergleichsweise leichten operativen Eingriff helfen zu lassen, was in einem frühen Stadium der Krankheit noch möglich ist. Prävention mit Impfstoffen lautet deshalb die Devise, oder wie es die Chefin der Impfprogramme Dafrossa Lyimo formuliert: "Wir wollen früh einen Schutzschild bilden."

Missverständnisse und Vorurteile

Die Impfrate von 93 Prozent in der ersten Runde werten die Ärztinnen Frida Mghamba und Mtumwa Mwako als Erfolg. "Obwohl wir natürlich gerne alle erreicht hätten", sagt Mwako, die in ihrer Rolle als Regional Medical Officer an dem Projekt beteiligt ist, das Mghamba wiederum im Gesundheitsministerium koordiniert. Noch konnten nicht alle Missverständnisse und Vorurteile ausgeräumt werden: "Wenn Eltern die Impfung ablehnten, dann aus religiösen Gründen oder weil sie vermeintliche Nebenwirkungen befürchteten, etwa dass ihre Töchter unfruchtbar werden", erklärt Mwako. Das Misstrauen sei völlig unbegründet, der Impfstoff erprobt und sicher, auch jetzt traten keine unerwünschten Nebeneffekte auf. "Das wird uns helfen, wenn die zweite Runde im November ansteht."

Zufrieden sind die beiden Medizinerinnen auch, weil es gelungen ist, über die Gemeindevorstände an die Schulabtrünnigen und ihre Eltern heranzutreten. "Wir haben außerdem erkannt, dass die Mädchen selbst für die Impfung Werbung machen." Sie erzählen anderen, dass die Injektion nicht schmerzt, und fordern sie auf, ebenfalls teilzunehmen. Manchmal ist eine tragische Geschichte aus der Verwandtschaft oder dem Bekanntenkreis der Grund; in einer 2012 veröffentlichten Studie aus Tansania zeigte sich, dass einige Eltern dieser Impfung vor allem deshalb zustimmen, weil sie Krebspatienten kennen.

Eine dieser jungen Botschafterinnen treffen wir am Sonntagnachmittag im Internat St. Dorcas, nicht weit von Moshi entfernt. Die elfjährige Agatha Venance, die im Mai ebenfalls gegen HPV geimpft wurde, erzählt uns, dass ihre Mutter an Gebärmutterhalskrebs gestorben ist. Fünf Monate nach der Diagnose, die Ärzte hätten nicht mehr helfen können. Agatha spricht offen über den Verlust, wünscht sich, dass andere Mädchen wie sie selbst gegen HPV geimpft werden. Ihre Schulkameradinnen folgen ihrem Beispiel, tragen die Schicksalsgeschichte weiter.

Opfer der Viren

Agathas Mutter wurde in Kenia behandelt. Dessen Hauptstadt Nairobi lag für die Familie näher als das einzige auf Krebs spezialisierte Krankenhaus Tansanias im weit entfernten Daressalam. Etwa 5480 Patienten wurden hier 2013 am Ocean Road Cancer Institute behandelt. "Und von Jahr zu Jahr werden es mehr", erklärt uns Julius Mwaiselage. Wir treffen den Chef der Abteilung für Krebsprävention und Forschung an einem Donnerstagmorgen in seinem Büro. Die Klimaanlage surrt, Sonne und der Geruch des Meeres sind ausgesperrt, wir hören traurige Fakten: "Siebzig Prozent unserer Patienten sind weiblich, und die Mehrheit von ihnen leidet an Gebärmutterhalskrebs. Meist im fortgeschrittenen Stadium. Wir behandeln die Frauen dann mit Radio- und Chemotherapien, für die sie nichts bezahlen müssen. Vielen können wir allerdings nur palliativ helfen."

Der imposante Klinikkomplex am Indischen Ozean ist ein Zeugnis der deutschen Kolonialvergangenheit. Ende des 19. Jahrhunderts wurde der alte Teil als kaiserliches Regierungskrankenhaus in Daressalam eröffnet, um eine medizinische Versorgung in Ostafrika zu gewährleisten. Auch der Infektiologe Robert Koch nutzte das Labor, als er sich der Erforschung von Malaria, Schwarzwasserfieber und Schlafkrankheit widmete. Nach dem Ersten Weltkrieg übernahmen Briten die Leitung. Nach der Unabhängigkeit 1961 stand das Hospital allen offen, 1996 wurde daraus ein Krebsinstitut, das die "Ocean Road" nach wie vor im Namen trägt, obwohl es inzwischen am "Barack Obama Drive" liegt.

Mwaiselage hält Gebärmutterhalskrebs für eine der größten Lasten des Landes. "Das Durchschnittsalter unserer Patientinnen liegt bei Mitte vierzig, doch erst vor zwei Wochen wurde eine 18-Jährige behandelt." Es fehle am Wissen über die Erreger und deren Übertragung. Dass ein Screening zur Früherkennung an mehr als 150 Einrichtungen im Land angeboten wird, hat sich noch nicht sehr weit herumgesprochen. Selbst von den rund 500 000 Frauen, die in der Viermillionenstadt Daressalam zur Zielgruppe gehören, nutzen nur wenige Prozent das Angebot. Neben einer besseren Aufklärung in der Schule setzt Mwaiselage daher große Hoffnung auf die Impfung. Denn wenn Patientinnen ins Ocean-Road-Institut kommen, haben sich die Tumoren meist schon im Unterleib ausgebreitet. Die Frauen spüren zwar Schmerzen, leiden an Entzündungen, erhalten vielleicht sogar eine Diagnose und zögern doch wochenlang. Der Weg nach Daressalam ist weit. Allein für das Busticket fehlt oft das Geld.

Das gefährliche Zögern

Spät trat auch Tabu Kitmonga Kiparu ihre Reise an. Es ist warm im Zimmer, das sich die 46-Jährige im Moment mit vier anderen Patientinnen teilt. Es ist der Gebärmutterhalskrebs, der sie zu Schicksalsgenossinnen macht. Durchs offene Fenster ist das laute Geschrei der Reiher zu hören, die im Innenhof der Anlage nisten. Mit brüchiger Stimme erzählt Tabu Kitmonga Kiparu, die aus der Kagera-Region im äußersten Nordwesten des Landes stammt, dass sie bereits zum zweiten Mal in der Klinik liegt. Ihre älteste Tochter muss sich jetzt mit 14 Jahren um die sechs Geschwister kümmern, der Vater hilft, doch ohne die Mutter dürfte es schwer werden, zumal ihr Lohn als Landarbeiterin fehlt.

Nach einer Bestrahlung durfte Tabu Kitmonga Kiparu für drei Monate nach Hause, kam zurück zur Nachuntersuchung. Sie erlitt wieder Blutungen und Schmerzen, schluckt jetzt Tabletten: Die Ärzte versuchen es mit Chemotherapie. Wenn sie nach Hause kann, möchte sie ihren Töchtern erzählen, was sie am Ocean-Road-Krebsinstitut über die Ursachen ihrer Krankheit erfahren hat. Die HPV-Impfung bleibt ihnen aber noch vorenthalten, das Pilotprojekt ist auf die Region am Kilimandscharo beschränkt. Dort erkennt man die Chance: Im November ließen sich nun 17 516 Mädchen die zweite Spritze geben.