Beitrag vom 24.05.2013
Zeit Online
Entwicklungspolitik: Ministerium für Selbsthilfe
Unter dem Liberalen Dirk Niebel leidet der Ruf der deutschen Entwicklungspolitik.
Von: Matthew D. Rose | Achim Pollmeier
Der kommende Samstag sollte Dirk Niebels großer Tag werden. Am ersten "Deutschen Entwicklungstag" wollte der Minister die Entwicklungshilfe mit einem Fest "in die Mitte der Gesellschaft" heben. Sogar eine Fernsehshow war am Abend angeblich geplant. Aber offensichtlich hatte man es im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zuvor versäumt, in den internationalen Veranstaltungskalender zu schauen. Sonst hätte man gemerkt, dass am Samstag das Champions-League-Finale stattfindet, das jeder anderen TV-Veranstaltung die Show stehlen wird.
Und während in London das Wembley-Stadion seit über einem Jahr als Austragungsort feststeht, hatten Niebels Organisatoren bis vor Kurzem für die große Berliner Feier noch nicht mal einen Veranstaltungsort. Ursprünglich geplant war der Platz vorm Brandenburger Tor, doch dieser Plan wurde wegen Sicherheitsbedenken verworfen. Vor wenigen Wochen lehnte Bundestagspräsident Norbert Lammert Niebels Bitte ab, den Entwicklungstag auf dem Platz vor dem Bundestag abhalten zu dürfen. Kein parlamentarischer Bezug, und weil keine Sitzungswoche sei, könne nicht einmal mit großer Beteiligung von Abgeordneten gerechnet werden. Schließlich bekam das Ministerium eine Genehmigung für den Washingtonplatz vor dem Hauptbahnhof. Aus der so opulent angedachten Abschlussveranstaltung könnte am Ende eine ungewollte Begegnung mit grölenden Fußballfans werden: Der direkte Weg vom Hauptbahnhof zur Berliner Fanmeile führt über das Veranstaltungsgelände des Entwicklungstages.
Drei Millionen Euro lässt sich das Ministerium den Tag kosten, der "noch mehr Bürgerinnen und Bürger zum Mitmachen zu begeistern" soll. Doch die Vorbereitung von Niebels großem Tag lief offenbar an der Zivilgesellschaft vorbei. Am 13. Dezember 2012 schickte Venro, der Dachverband der entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen, einen Brandbrief ins Ministerium. Darin forderte Venro, "den deutschen NGOs Mitgestaltungsmöglichkeiten einzuräumen". Für Niebel ist Entwicklungshilfe immer auch Wirtschaftsförderung. Eine der Aufgaben des Ministeriums sieht er unter anderem darin, die Lieferung von Rohstoffen an Deutschland zu sichern. Das steht im krassen Gegensatz zu den Vorstellungen der NGOs. Martin Weber, Landeskoordinator beim Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein, nennt den Entwicklungstag ein "staatliches und zentralistisches Hochglanzevent", bei dem NGOs nur "als Schausteller die leeren Bühnen füllen sollen".
Der Entwicklungstag soll in jedem Bundesland an einem "zentralen Platz" stattfinden, unter anderem in Niebels Wahlkreis Heidelberg. Hier wurden die NGOs am 14. Mai von den Organisatoren informiert, dass Niebel, bevor er nach Berlin fliege, in Heidelberg auftreten werde. Klaus Gottermeier, Vorstandssprecher des Eine-Welt-Zentrums Heidelberg, ärgert sich über die späte Planungsänderung: "Wir hatten uns trotz großer Bedenken entschlossen, am Entwicklungstag teilzunehmen, und haben dann viel Zeit und Geld in die Vorbereitungen investiert. Jetzt müssen wir mit ansehen, wie Niebel den Entwicklungstag in Heidelberg als Wahlkampfveranstaltung missbraucht." Sie werden dennoch teilnehmen. "Jeder Gruppe bleibt es überlassen, den Protest gegen Niebel auszudrücken", sagt Gottermeier.
Anderenorts haben NGOs längst Konsequenzen gezogen. Auf der Internetseite zum Entwicklungstag in Kiel findet man nur noch eine Handvoll NGOs - der Rest boykottiert den Tag offen. Und so wird der Entwicklungstag wohl zum Teil ohne die Zivilgesellschaft stattfinden, die er doch angeblich stärken soll.
Viele wundern sich über die Personalpolitik des liberalen Ministers
Wie sich Niebel Entwicklungsarbeit konkret vorstellt, kann man dann kommenden Sonntag im Berliner Hotel Adlon beobachten. Dort wird Niebel mit dem früheren US-Präsidenten Bill Clinton eine Kooperationsvereinbarung zwischen seinem Ministerium und Clintons Stiftung unterzeichnen. Die genauen Konditionen der Kooperation standen bis zuletzt noch nicht fest - die Medien waren jedoch schon eingeladen. Das obligatorische Foto können der Minister und sein Staatssekretär Jürgen Beerfeltz in eine ganze Fotogalerie einordnen: Die Männer mit Shakira, mit Sting oder Bill Gates, mit deren Stiftungen das Ministerium öffentlichkeitswirksam kooperiert - und dafür insgesamt zweistellige Millionenbeträge bereitstellt. Konzeptionell ist diese PR-Orientierung umstritten. Etwa, weil die Gates-Stiftung wegen ihrer engen Zusammenarbeit mit Monsanto, dem größten Produzenten von genmanipuliertem Saatgut, in der Kritik steht. Andere schimpfen auf eine "Projektitis", die keiner nachhaltigen Strategie folge. Jedenfalls passt das in ein Grundmuster, das der Venro-Vorsitzende Ulrich Post auch grundsätzlich an Niebels Entwicklungspolitikstil ausmacht. "Man hat schon manchmal den Eindruck, dass dem Ministerium Sichtbarkeit inzwischen wichtiger ist als Wirksamkeit."
Noch mehr aber wundert sich Post über das Misstrauen, das ausgerechnet ein liberaler Minister den deutschen NGOs häufig entgegenbringt. Zivilgesellschaftliches Engagement ist der Inbegriff von Eigeninitiative und Subsidiarität - klassische liberale Ziele.
Es entsteht der Eindruck, dass NGOs nur pro forma eingebunden werden. Bei der Gründung der Gesellschaft Engagement Global, jener Servicestelle des Ministeriums, die den Entwicklungstag geplant hat, wurden NGOs aus der Trägerschaft der Gesellschaft bewusst herausgehalten. Zur Geschäftsführerin wurde eine Parteifreundin des Ministers ernannt: Gabriela Büssemaker, eine ehemalige Oberbürgermeisterin aus dem Kleinstädtchen Ettlingen, die keine nennenswerte Erfahrung in der Entwicklungspolitik besitzt.
Und das ist kein Einzelfall. Nachdem kurz nach den Bundestagswahlen 2009 in einem internen FDP- Strategiepapier verbittert festgestellt wurde, dass es seinerzeit "lediglich zwei Liberale in dem BMZ" gab, wurde dort die Parole ausgegeben, "jede dritte Stelle durch die FDP zu besetzen". Bisher wurden solche Größenordnungen bei Neueinstellungen als absurde Spinnerei abgetan - doch Recherchen des ARD-Magazins Monitor zeigen nun eine Welle von parteinahen Besetzungen von bisher ungeahntem Ausmaß.
Über 40 neue Mitarbeiter des BMZ entpuppten sich als Parteimitglieder oder parteinah: darunter Mitarbeiter von Bundestagsabgeordneten, gescheiterte FDP-Bundestagskandidaten, Wahlkampfmanager. Weitere kamen in dem Ministerium untergeordneten Organisationen dazu.
Zum Beispiel der ehemalige Leiter von Niebels Wahlkreisbüro in Heidelberg, Mark Heinzel. Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) stellte ihn als EZ-Scout ein. Das sind laut Ministerium "fachkundige Berater mit entwicklungspolitischem Know-how", die in Wirtschaftsverbänden eingesetzt werden. Welches "entwicklungspolitische Know-how" der promovierte Musikwissenschaftler während seiner Jahre beim FDP-Generalsekretär sammeln konnte, wollte weder er mitteilen noch das Ministerium. "Zu einzelnen Personalfragen nehmen wir aus Datenschutzgründen grundsätzlich nicht Stellung," so das Ministerium. Der Minister betont jedoch, man kenne die Parteizugehörigkeit der Mitarbeiter nicht - jede Einstellung erfolge streng nach Eignung, Befähigung und Leistung.
Wein, Grappa und teure Flüge im Namen der Entwicklungshilfe
Einige dieser Einstellungen hatte der Personalrat des Ministeriums intern kritisiert. Seitdem Niebel Anfang 2012 das Auswahlverfahren allerdings eigens hatte ändern lassen, ist der Personalrat machtlos. 25 Jahre war er gleichberechtigt in den Auswahlkommissionen vertreten gewesen. Man verlangte hervorragende Studienabschlüsse, Sprachkenntnisse, Erfahrung in der Entwicklungspolitik oder im Ausland. Vor allem aber erfolgte die Auswahl der Bewerber immer im Konsens, also mit Zustimmung des Personalrats. Ein Verfahren, auf das man im Ministerium stolz war und das weithin gelobt wurde - doch es war gesetzlich nicht vorgeschrieben. Niebel schaffte es kurzerhand ab. Niebels Personalentscheidungen werden dem Haus über Jahrzehnte erhalten bleiben, betont die entwicklungspolitische Sprecherin der Grünen, Ute Koczy: "Damit bricht man der engagierten Entwicklungspolitik das Kreuz."
Niebels größtes Personalproblem ist momentan FDP-Mitglied Tom Pätz. Den hatte Niebel Anfang 2011 gegen einigen Widerstand aus dem Aufsichtsrat in den Vorstand der GIZ berufen und kurz vorher noch schnell im BMZ verbeamtet. Pätz hat nun ein Topgehalt und das Rückkehrrecht auf einen Beamtenposten. Welche Qualifikationen ihm außer seiner Parteizugehörigkeit zu dieser steilen Karriere verholfen haben, wurde selbst im Aufsichtsrat der GIZ schon gefragt. Sein Geschäftsbereich, International Services, macht jedenfalls Millionenverluste - was nicht verhinderte, dass Pätz für das vergangene Jahr zusätzlich zu seinem Gehalt von 150.000 Euro noch einen Bonus von 27.000 Euro einstreichen konnte.
Doch das scheint Pätz nicht zu reichen. Schon 2011 gab es Aufruhr, als herauskam, dass Pätz bei internationalen Flügen erster Klasse gereist war. Daraufhin wurde ausdrücklich klargestellt, dass auch der Vorstand der GIZ maximal Businessclass fliegen solle, und das auch nur bei Langstreckenflügen über vier Stunden. Außerdem solle bei Flügen zwischen Bonn und Berlin der kostengünstige Beamten-Shuttle von Air Berlin für 85 Euro genutzt werden. Monitor stellte jedoch fest, dass Pätz im vergangenen Jahr selbst zwischen Bonn und Berlin immer wieder mit der Lufthansa in der Businessclass geflogen war - auch zum sechsfachen Preis. Was laut Reiserichtlinien der GIZ nur im Ausnahmefall erlaubt ist - bei Pätz ist es offenbar eher die Regel. Als er im August 2012 von Köln nach Zürich fliegen wollte, empfahl die hauseigene Reisestelle einen Direktflug mit Germanwings. Ein einstündiger Flug für 278 Euro. Pätz pochte offenkundig auf eine standesgemäßere Lufthansa-Verbindung. Trotz Umstieg in München und einem Preis von 1.629 Euro. Zum Geschäftsessen am Zürichsee mit einem einzigen Gesprächspartner gab es dann mitten am Tag Wein, dazu Grappa und weitere Spirituosen. Alkohol für fast 120 Euro, abgerechnet über die GIZ - und damit letztlich beim Steuerzahler.
Auf Anfrage zu den Ausschweifungen von Pätz teilt die GIZ mit, zu vielen Details könne man aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Stellung nehmen. Aber: "Für den Vorstand (…) gelten die GIZ-Reisekostenrichtlinien. Dazu gehört auch, dass in begründeten Fällen Ausnahmen gemacht werden können."
"Wenn sich jetzt die obersten Entwicklungshelfer wie die obersten Bankvorstände gerieren und jegliche Sensibilität vermissen lassen, wie man mit den wenigen Mitteln sparsam umgeht, dann fällt das auch auf Minister Niebel zurück", sagt der entwicklungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Sascha Raabe. Und GIZ-Aufsichtsratsmitglied Martin Gerster (SPD) kündigt an: "In der nächsten Aufsichtsratssitzung am 21. Juni werden wir über die Vorwürfe eingehend diskutieren." Unangenehm ist aber, dass das Abrechnungsgebaren auch den Aufsichtsratsvorsitzenden, Staatssekretär Beerfeltz, selbst betrifft: Pätz hat vergangenen Sommer ein Abendessen mit seinem Parteifreund in einem Bonner Restaurant bei der GIZ abgerechnet - inklusive einer Weinrechnung über rund 80 Euro. Und das bei Jahresgehältern zwischen 150.000 und 200.000 Euro. Wäre dieses Geld nicht besser bei den Ärmsten der Armen investiert?
Matthew D. Rose ist freier Journalist, Achim Pollmeier ist Redakteur beim WDR. Der Text basiert auf ihrer gemeinsamen Recherche für das ARD-Magazin "Monitor"