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Pour une autre politique de développement!

Beitrag vom 22.05.2013

Neue Osnabrücker Zeitung

Arm und blöd?

Wie eine 3sat-Dokumentation zur Entwicklungshilfe grandios scheitert

Autor: Thomas Klatt

Berlin. Zur besten Sendezeit hätte es ein wichtiger Beitrag über Sinn und Nutzen von Entwicklungshilfe sein können. Doch die 3sat-Dokumentation "Versuchslabor Armut" scheitert an der Umsetzung des Themas.

Gerade die Deutschen sind seit Langem Spendenweltmeister und würden wohl gerne mehr darüber erfahren, ob und wie ihre guten Gaben Jahr um Jahr vernünftig eingesetzt werden. Stattdessen widmet sich der Bildungssender 3sat dem sehr speziellen Thema der Armutsforschung in Entwicklungsländern.

Dabei nimmt der Film einzig die französische Entwicklungsökonomin Esther Duflo in den Blick, die am Massachusetts Institute of Technology lehrt und trotz ihres mit Anfang 40 noch relativ jungen Alters als eine der international einflussreichsten Ökonominnen der Welt gilt. Zusammen mit ihrem indischen Kollegen Abhijit Banerjee gründete sie am gleichen Standort 2003 das Poverty Action Lab, eine Art internationale Forschungseinrichtung zur Armutsforschung.

Und die ist offenbar dringlicher denn je. Obwohl es seit gut 50 Jahren globale Entwicklungshilfe gibt und die sogenannte Erste Welt Hunderte Milliarden harte Währung in die sogenannte Dritte Welt gepumpt hat, wird die Not nicht weniger. Im Gegenteil, längst ist klar, dass die von den Vereinten Nationen zur Jahrtausendwende formulierten Millenniumsziele, etwa bis 2015 den Hunger auf der Welt zu halbieren, nicht mal ansatzweise erreicht werden.

Die Hilfe für die Armen funktioniere eben nicht, weil wir die Welt der Armen nicht verstehen, meint Duflo. Für sie und ihr Team sind die Entwicklungsländer ein riesiges Freiland-Labor. Ähnlich wie in der Medikamentenforschung führen sie Doppel-Blind-Studien durch, um nicht die Wirksamkeit von Pillen, sondern die Effizienz von Entwicklungshilfe zu testen. Weit über 300 sogenannte randomisierte Kontrollexperimente hat sie schon mit ihrem Team unternommen. Die eine Kontrollgruppe kriegt ein bisschen was, zum Beispiel eine Nähmaschine oder Ziegen oder ein wenig medizinische Hilfe oder mit Eisen angereichertes Salz - die andere eben nicht, und nach ein bis zwei Jahren wird geschaut, was gewirkt hat.

So einfach ist das. Für die einen hat Duflo damit die Armutsforschung revolutioniert. Andere wie der Saarbrücker Soziologe Stefan Silvestrini, der als alleiniger Gegenpol nur kurz im Film auftaucht, kritisiert diese Feldversuche mit den Armen. Menschen seien nun mal keine Ratten, und die Forscherin Duflo würde mit ihrer Forschung ein wenig Gott spielen. Außerdem werde die Kultur der jeweiligen Länder nicht berücksichtigt. Was als vermeintliches Forschungsergebnis in Nord-Indien gilt, kann im Süden des riesigen Landes oder gar in Afrika schon wieder ganz anders aussehen. Zumal nicht sicher ist, inwieweit die Armen überhaupt gefragt wurden, ob sie sich irgendeiner Erforschung zur Verfügung stellen wollen.

In impertinenter Einseitigkeit nimmt die 3sat-Doku die Haltung der Forschenden ein. An keiner Stelle hinterfragt der Film die paternalistische Sicht des Westens, als seien Arme per se blöd und hilfsbedürftig, als hätten sie keine eigene Meinung und warteten den ganzen Tag allein auf Hilfe von außen. Nicht einmal werden die Betroffenen selbst gefragt, wie sie zur Entwicklungshilfe stehen und was ihnen ihrer Meinung nach helfen könnte.

Da hätte man zum Beispiel James Shikwati, Gründer des Inter Region Economic Network in Nairobi, zu Wort kommen lassen können. Er fordert ganz klar: Stoppt die Entwicklungshilfe! Denn die vermeintliche Unterstützung aus den reichen Staaten unterminiere das Selbstbewusstsein der Menschen in seiner Heimat. Entwicklungshilfe zementiere die Unmündigkeit und Abhängigkeit der Nehmenden. Wer über Jahrzehnte nur gelernt habe, auf die nächste Hilfslieferung und das nächste Projekt zu warten, werde kaum noch Eigeninitiativen ergreifen, um die eigene Familie, das eigene Dorf, das eigene Land voranzubringen.

Die armen Länder seien aber reich, reich an Natur, Kultur und Bodenschätzen, argumentiert Shikwati. Mit der Entwicklungshilfe aber sicherten sich die Geber zuerst den Zugriff auf diesen Reichtum der armen Länder. Entwicklungshilfe sei damit eine Art stiller Erpressung.

Auch wenn der 3sat-Film nur Indien im Blick hat - sollten denn auf dem ganzen Subkontinent nicht auch einheimische Kritiker zu finden gewesen sein? Dass reiche Staaten nicht einfach nur aus reiner Nächstenliebe helfen, sondern es je um die Sicherung eigener Interessen geht, man denke auch an geostrategische Argumente, will der Film gar nicht wissen. Irgendwie geht es eben bei der Armutsforschung um Effektivitätssteigerung. Warum und für wen das genau von Interesse ist, wird nicht thematisiert. Letztlich weiß der Film selbst nicht, was er will.

Zwar klingt zarte Kritik an Esther Duflo und ihrer neuen Methode der Entwicklungsökonomie an. Doch letztlich legt sich mit einlullender Indien-Musik unterlegten Bildern der altbekannte Hilfsschleier über den Zuschauer. Irgendwie wollen ja doch alle nur helfen, die armen Inder brauchen uns, und die Filmemacher hatten auf öffentlich-rechtliche Gebührenkosten wenigstens einen schönen Dreh. Schade, dieses wichtige Thema hätte eine dramaturgisch intelligentere Umsetzung verdient.

Versuchslabor Armut, 3sat, Donnerstag, 23. Mai, 20.15 Uhr.