Beitrag vom 13.02.2012
Allgemeine Zeitung, Windhoek
Südafrika verliert den Anschluss an die Wachstumsstars
Als begnadeter Redner wird Jacob Zuma gewiss nicht in die Geschichte eingehen. Die Ansprachen des südafrikanischen Präsidenten wimmeln vor Gemeinplätzen und (leeren) Versprechen, seine gut einstündige Rede zur Lage der Nation vergangene Woche machte da keine Ausnahme.
Wieder einmal erschöpfte sie sich vor allem in einer Zusammenfassung des Erreichten. Etwas konkreter wurde Zuma nur bei der Vorstellung eines 300 Milliarden Rand teuren Infrastrukturprogramms. Allerdings sind die dabei ins Auge gefassten Projekte ganz auf den Staat zugeschnitten, obwohl dieser in der Vergangenheit gewaltige Probleme bei der Umsetzung hatte. Die Gründe dafür erwähnte Zuma hingegen allenfalls ganz am Rande: die Korruption, das enorme Ausmaß der Bürokratie und die Tatsache, dass die Hautfarbe am Kap heute mehr zählt als die Kompetenz des Einzelnen.
In gewisser Weise war die Rede auch symptomatisch für die politische Strategie Zumas: So versucht er stets, niemanden vor den Kopf zu stoßen und geht genau deshalb Probleme meist gar nicht erst an. Dabei sucht Südafrika seit Jahren einen Staatschef, der das von den ständigen Machtkämpfen im regierenden ANC zerrissene Land zusammenführt - und ihm eine klarere Richtung gibt. Die Wirtschaft wächst inzwischen weniger als drei Prozent im Jahr, weit langsamer als andere Schwellenländer wie etwa Chile, Vietnam oder die Türkei. Dabei bräuchte Südafrika laut Weltbank ein Wachstum von mindestens sieben Prozent, um die tiefe Armut im Land zu verringern. Denn gut Zweidrittel der 50 Millionen Menschen leben noch immer unter der Armutsgrenze.
Längst ist die Arbeitslosigkeit, die offiziell bei 25% verharrt, aber versteckt bei mindestens 40% liegt, strukturell tief im System verankert, weil der mit den militanten Gewerkschaften verbündete ANC sich vehement gegen jedwede Lockerung des hoffnungslos überregulierten Arbeitsmarktes stemmt. Im Gegenteil: Von Jahr zu Jahr wird die staatliche Einmischung in die Wirtschaft am Kap stärker. Dabei bräuchte Südafrika nach Angaben der Weltbank über einen langen Zeitraum ein hohes Wirtschaftswachstum von mindestens sieben Prozent, um die tiefe Armut im Land zumindest ansatzweise zu verringern. Noch immer leben über Zweidrittel der schwarzen Südafrikaner unter der Armutsgrenze, was Besuchern der Erste-Welt-Enklave Kapstadt, die als einzige Metropole im Land von der liberalen Opposition regiert wird, oft verborgen bleibt.
Während vor allem die Löhne im ineffizienten Staatsapparat mit zehn Prozent weit über der Inflationsrate von zuletzt sechs Prozent gestiegen sind und damit im Schnitt mittlerweile um 45% über dem Privatsektor liegen, fällt die Produktivität - allein um fast zehn Prozent in den letzten drei Jahren. Im Gegensatz zur internationalen Konkurrenz wird Südafrika damit immer weniger wettbewerbsfähig. Statt die aufgeblähten Staatsunternehmen zu privatisieren, versucht die Regierung, behäbige Staatsbetriebe wie den Strommonopolisten Eskom oder den Transportriesen Transnet nun sogar nach dem Vorbild Chinas noch stärker zu kontrollieren. Wie sehr die Dinge inzwischen aus dem Ruder laufen, wird daran sichtbar, dass der bereits jetzt aufgeblähte Staat letztes Jahr 80% der wenigen neuen Jobs schuf. Dabei sitzen die Unternehmen am Kap auf Bergen von Geld.
Statt Anreize zu schaffen, wird der Privatsektor und allen voran die Minenindustrie jedoch vom Staat fast überall hinausgedrängt - und mit immer neuen Arbeitsgesetzen und Abgaben drangsaliert. Kein Wunder, dass viele erfolgreichen Unternehmen wie etwa die privaten Krankenhausbetreiber Netcare und Mediclinic vor allem im Nahen Osten und in Europa expandieren, weil sie sich daheim unerwünscht fühlen. Dabei gibt es gerade im staatlichen Gesundheitswesen am Kap enorme Defizite, wie die verheerenden Zustände am staatlichen Baragwanath-Hospital in Johannesburg zeigen, dem größten auf der südlichen Halbkugel.
Noch hat Südafrika trotz der immer höheren Staatsausgaben kein Schuldenproblem griechischen Ausmaßes. Allerdings haben sich die staatlichen Schulden am Sozialprodukt binnen weniger als fünf Jahre von 23% auf etwa 40% fast verdoppelt - und dürften angesichts der immer höheren Sozialausgaben und der vor dem Urnengang 2014 erwarteten Wahlgeschenke weiter in Richtung der kritischen 60% eskalieren. Wie schwer die Sorgen der Investoren wiegen, zeigt sich zum einen am Eintrocknen der Direktinvestitionen wie Fabriken, und zum anderen daran, dass Südafrikas lebenswichtige Bergbaubranche mitten im größten Rohstoffboom seit 50 Jahren zwischen 2002 und 2008 leicht schrumpfte, während 20 andere Rohstoffnationen im gleichen Zeitraum um durchschnittlich fünf Prozent pro Jahr wuchsen. Dies ist vor allem deshalb beunruhigend, weil der Bergbau noch immer rund 60 Prozent zu den Exporterlösen des Landes beisteuert.
Ebenso bedrückend ist, dass trotz einer Neuausrichtung der zuvor konfusen Aids-Politik noch immer jedes Jahr mehr als 350000 Südafrikaner an der tödlichen Immunschwächekrankheit sterben. Nachdem Zumas Vorgänger Thabo Mbeki, ein Aids-Dissident, das Thema jahrelang ignorierte und den amerikanischen FBI für die Ausbreitung der Seuche in Afrika verantwortlich gemacht hatte, werden unter Zuma nun zumindest mehr Anti-Aids-Medikamente verteilt. An den hohen Ansteckungsraten hat sich jedoch kaum etwas geändert: Noch immer infizieren sich jeden Tag mehr als 1000 Südafrikaner mit dem Virus (In Deutschland sind es rund 2500 im Jahr).
Vor allem aber scheint Zuma aus der enormen Dominanz des ANC im Land einen unzulässigen Besitzanspruch seiner Partei auf den gesamten südafrikanischen Staat abzuleiten. Dass kurz vor seiner Wahl im Jahre 2009 (aus fadenscheinigen Gründen) eingestellte Korruptionsverfahren gegen ihn war bereits ein ominöses Zeichen für den immer größeren Druck, den der ANC auf die Justiz ausübt. Immer wieder haben Zuma und seine Partei zuletzt den besonderen Status der Richter gegeißelt, wenn diese seine Personalentscheidungen aufhoben oder die Regierung anderweitig maßregelten.
Unter Beobachtern gelten die Verbalattacken als Indiz dafür, dass weder Zuma noch weite Teile seiner Partei das Konzept der Gewaltenteilung in einer freiheitlichen Demokratie verstehen. Vieles wie etwa der versuchte Maulkorb für die Presse, deuten vielmehr darauf hin, dass der ANC die Macht am Kap unverdünnt will - und sich der für eine Demokratie zum Überleben notwendigen "checks and balances" nun mit allen Mitteln zu entledigen sucht.
Von Wolfgang Drechsler