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Pour une autre politique de développement!

Beitrag vom 19.01.2010

Süddeutsche Zeitung

Einst war er Entwicklungshelfer, jetzt ist er Ökobauer. Felix Prinz zu Löwenstein über die Katastrophe von Haiti sowie gute und schlechte Entwicklungshilfe.
Interview: S. Liebrich

Der promovierte Agrarökonom und Ökolandwirt Felix Prinz zu Löwenstein hat in den achtziger Jahren als Entwicklungshelfer in Haiti gearbeitet. Heute ist der 55-Jährige Präsident des Dachverbandes der deutschen Biolebensmittelwirtschaft BÖLW und betreibt einen Hof in Hessen.

(Auszüge)
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SZ: In welchem Zustand haben Sie das Land damals vorgefunden?
Löwenstein: Haiti lebte schon damals im Wesentlichen von dem, was von außen hereinkam. Meine Aufgabe war es, ein Bewässerungssystem wieder einzurichten und eine Selbstverwaltung der Bauern zu organisieren. Das Schwierige daran war, dass es in Haiti keinen funktionierenden Staatsapparat gab. Es galt das Recht des Stärkeren.´
SZ: Der Hunger in armen Ländern hat also vor allem politische Ursachen?
Löwenstein: Ganz überwiegend. Ein wesentliches Problem in vielen armen Ländern ist die fehlende Rechtssicherheit. In Haiti ist das ein Hauptgrund für die entsetzliche Bodenerosion: Weil der einzelne Bauer keinen sicheren Eigentumstitel für seine Äcker hat, fehlt der Anreiz, sie zu schützen. Denn wenn er den Wert seiner Flächen erhöht, wächst die Gefahr, dass sie ihm von einem Mächtigeren weggenommen werden.
SZ: Haiti ist seit Jahrzehnten auf Entwicklungshilfe angewiesen. Doch alle Bemühungen scheinen vergeblich.
Löwenstein: Das Beispiel Haiti zeigt auch, dass es naiv ist zu glauben, dass sich mit Hilfe von Geld und Technologie irgendwie alle Probleme lösen lassen.
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SZ: Einige Kritiker vertreten die Ansicht, dass die Entwicklungshilfe armen Ländern mehr schadet als nutzt.
Löwenstein: Das kann man nicht so generalisierend sagen. Es gibt viele Beispiele, wie durch falsche Hilfe Schaden angerichtet und nichts als Abhängigkeit erzeugt wurde. Ich kann Ihnen aber auch von Projekten berichten, die den Menschen wirklich helfen.
SZ: Was unterscheidet denn gute von schlechter Entwicklungshilfe?
Löwenstein: Schwierig wird es vor allem dort, wo korrupte staatliche Stellen involviert sind und ein großer Teil des Geldes über die europäischen Bankkonten der Mächtigen in unsere eigenen Volkswirtschaften zurückkehrt. Hinzu kommt, dass sich die Regierenden fast nie trauen, eine eigene Vision von der Entwicklung ihres Landes zu entwickeln, um dann zu entscheiden, welche Hilfe sie weiterbringt und welche nicht.
SZ: Die Entwicklungshilfe der Bundesrepublik beschränkt sich im Wesentlichen darauf, finanzielle Mittel bereitzustellen. Ist das der falsche Ansatz?
Löwenstein: Entwicklungshilfe wird nicht besser, nur weil wir einen bestimmten Prozentsatz unseres Bruttosozialproduktes abliefern. Es ist einfacher, materielle Hilfe zu leisten, eine Straße oder einen Brunnen zu bauen, als in den Köpfen der Menschen etwas zu bewegen. Doch gerade Letzteres ist entscheidend für Fortschritt und Wohlstand. Das erfordert aber einen langen Atem.
SZ: Fehlen langfristige Konzepte?
Löwenstein: Eindeutig. Die Helfer stehen immer unter Zeitdruck. Das ist ein großes Problem. Sie müssen beweisen, dass sie etwas geleistet haben - und das nicht erst in zehn Jahren, sondern möglichst innerhalb von zwei oder drei Jahren. Die meisten agieren nach der Fallschirmspringer-Methode: Von oben einspringen, aber ohne Verankerung in der Gesellschaft.
SZ: Besonders umstritten sind Hilfslieferungen von Lebensmittel, weil sie lokale Märkte kaputt machen. Wäre es besser, ganz darauf zu verzichten?
Löwenstein: Wenn nach einer Katastrophe alles zusammenbricht, sind Nahrungsmittelhilfen kurzfristig sicher berechtigt und auch notwendig. Meist dienen sie aber eher unserer Überschussentsorgung und richten großen Schaden an. Vor 30 Jahren habe ich auf Haiti selbst miterlebt, wie Hilfslieferungen von Milchpulver aus den USA in kürzester Zeit die Existenz einer kleinen lokalen Molkerei vernichtet haben. Auch unsere Billigexporte haben viel mit dem Zustand armer Länder zu tun.
SZ: Lebensmittelausfuhren zu Dumpingpreisen sind nur möglich, weil Landwirte in Europa und den USA massiv subventioniert werden. Wir tragen also selbst dazu bei, Hunger und Armut in der Dritten Welt zu verschärfen.
Löwenstein: Schuld daran ist unser perverses Agrarsystem. Wir bauen auf 1,2 Millionen Hektar in Südamerika Sojabohnen an, die wir nach Europa transportieren, um damit mehr Fleisch und Milch herzustellen, als wir benötigen. Den Überschuss pressen wir dann mit Exportbeihilfen auf die Märkte der Dritten Welt. Das ist doch absurd.
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