Beitrag vom 16.09.2009
Die Weltwoche, Ausgabe 38/09
Entwicklungshilfe
Grauzonen einer Partnerschaft
Die Schweizer Entwicklungshilfe gleicht einem monopolähnlichen Gebilde. Zwischen Bund und privaten Hilfswerken bestehen enge Verflechtungen. Finanzmittel werden mit hoher Wahrscheinlichkeit zweckentfremdet, notwendige Kontrollen fehlen. Dies zeigt ein neuer Bericht.
Die Entwicklungshilfe steht seit längerem in der Kritik. Neben grundsätzlichen Fragen nach ihrem Sinn und Zweck, wie sie kürzlich etwa die Afrikanerin Dambisa Moyo aufgeworfen hat («Entwicklungshilfe ist tödlich», Weltwoche Nr. 24/09), stehen die konkreten Abläufe zur Debatte. Ein besonderes Augenmerk gilt der Zusammenarbeit des Staates mit privaten Hilfsorganisationen, auch in der Schweiz. Denn der Bund, allen voran die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza), ist die wichtigste Einnahmequelle der Hilfswerke. In deren Kassen fliessen mehr Steuergelder als Spenden und Mitgliederbeiträge.
Dabei geht es um ansehnliche Summen. Im Jahr 2007 gab die Deza für bilaterale Entwicklungszusammenarbeit rund 580 Millionen Franken aus. Fast ein Drittel davon, nämlich 180 Millionen, zahlte sie an schweizerische Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Das Bild, das manche von sogenannt privaten Hilfswerken haben mögen, täuscht also. Die Nichtregierungsorganisationen leben zu einem grossen Teil auf Kosten der Regierung. Es besteht ein enges, oft schwer durchschaubares Geflecht gegenseitiger Abhängigkeiten. Denn auch die Deza ist auf die privaten Partner angewiesen, diese entlasten sie in der Durchführung konkreter Projekte und unterstützen sie politisch.
Über die Grauzone dieser Partnerschaft war bisher eher wenig bekannt. Doch nun liegt ein umfangreicher, mutiger Bericht vor, der Licht ins Halbdunkel wirft. Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-S) hat die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) im Jahr 2008 beauftragt, «die Geldflüsse, Mittelverwendung und Abhängigkeitsverhältnisse» zwischen der Verwaltung und den Hilfswerken zu untersuchen («Zusammenarbeit der Bundesverwaltung mit Nichtregierungsorganisationen»). Geprüft werden sollte insbesondere, ob der Bund «möglichen Zweckentfremdungen der Mittel» und der «Entstehung traditionsfester Subventionierungen oder Monopolen und anderen Kooperationsrisiken angemessen vorbeugt».
Ernüchternde Resultate
In der Untersuchung werden neben einer grundsätzlichen ökonomischen Analyse vierzehn konkrete «Kooperationen» zwischen Bund und NGOs unter die Lupe genommen. Sechs davon fielen in die Verantwortung der Deza; daneben wurden, um Vergleichsmöglichkeiten zu schaffen, das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) und das Bundesamt für Umwelt (Bafu) in die Untersuchung mit einbezogen (mit fünf beziehungsweise drei Kooperationen).
Die Resultate fallen ernüchternd aus, besonders für die im Zentrum des Interesses stehende Deza, mit einem Jahresbudget von 1,4 Milliarden Franken (2008) der Gigant unter den Bundesämtern. «Bemerkenswert ist, dass die Steuerungsmassnahmen nur in 5 der 14 untersuchten Fälle hinreichend sind, um Zweckentfremdungen in grösserem Ausmass auszuschliessen», heisst es im Bericht. «Die Vorkehrungen gegen die Entstehung von Monopolsituationen erachten wir sogar in nur einem der 14 Fälle als ausreichend.»
Pikant: Bei der Deza genügten die Kontrollen bei keiner einzigen der untersuchten Kooperationen. In den Kernbereichen der Prüfung versagte der Koloss aus dem Aussendepartement von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey (SP) vollständig. Auf die von der PVK gestellte Frage: «Sind die Vorkehrungen geeignet, um Zweckentfremdungen in grösserem Ausmass auszuschliessen?», lautet die Antwort sechsmal «Nein». Bei der zweiten zentralen Frage: «Genügen die Vorkehrungen der Verwaltung gegen die Risiken monopolähnlicher Stellungen?», heisst die Antwort wiederum «Nein». Und zwar ebenfalls in sämtlichen untersuchten Fällen der Zusammenarbeit (betroffen sind je zweimal die Hilfswerke Helvetas und Heks sowie je einmal Intercooperation und Brot für alle).
Das «Fehlen griffiger interner Kontrollmechanismen» und «grosse Ermessensspielräume» für Beamte schon auf niederer Stufe hätten zu der «kritischen Konstellation» geführt, urteilt der Bericht. Das gelte für beide Formen der Zusammenarbeit mit Hilfswerken: für die sogenannten Mandate, welche die NGOs im Auftrag der Deza ausführen, wie auch für die Programmbeiträge, das heisst Finanzhilfen an eigene Aktivitäten der privaten Helfer. Allein für diese Form der Subventionierung gibt der Bund jährlich 60 Millionen Franken aus, für die Mandate sind es gar 120 Millionen. Für beide Budgetposten lautet das Verdikt: «Die seitens der Deza angewendeten Kontrollen sind [. . .] nicht in der Lage, sicherzustellen, dass die Mittel für den vorgesehenen Zweck eingesetzt werden.» Der Grund: Der Bund verteile das Geld, ohne den NGOs «Auflagen für die Betriebsbuchhaltung» zu machen. Eine «Nachprüfbarkeit der abgerechneten Aufwände» könne daher nicht garantiert werden.
Mit andern Worten: Die Deza stellt den Hilfswerken eine Art Blankoscheck aus, sie bekommen jährlich 180 Millionen Franken überwiesen, ohne dass die Verwaltung in der Lage wäre, die Verwendung der Mittel zu überwachen.
Überdies entsteht der Eindruck von Wildwuchs und mangelnder Kommunikation zwischen den einzelnen Abteilungen der Verwaltung. «Es gibt Deza-intern keine Stelle, die eine Gesamtsicht aller Mandate und Programme hat. Keine Stelle kann integral nachprüfen, ob eine NGO gleiche Aufwände sowohl über den Programmbeitrag der Deza als auch in Mandaten der Deza abrechnet. Es erfolgt auch keine diesbezügliche Abstimmung mit andern Bundesämtern, die gleiche NGOs mandatieren.» Der Bund zahlt den Hilfswerken mithin mehr oder weniger blind Geld aus, er weiss nicht einmal, ob dasselbe Projekt einer NGO unter verschiedenen Titeln allenfalls mehrfach begünstigt wird.
Ineffiziente Strukturen
«Eigentlich müsste die Vergabe und Überwachung von Projekten an Dritte (NGOs und weitere externe Partner) in Anbetracht des grossen Volumens an Finanzhilfen und Mandaten eine der Kernkompetenzen der Deza sein», heisst es im Bericht. Doch dies sei nicht so. «Insbesondere im Bereich der finanziellen Überwachung sowie im Vergabeverfahren» weise die Deza «deutliche Schwächen» auf, obwohl «erhebliche personelle und andere Ressourcen» eingesetzt würden. Ein deutlicher Hinweis auf ineffiziente Strukturen, einen zwar teuren, aber wenig zielgerichtet arbeitenden Verwaltungsapparat.
Bisheriges Fazit: In der Zusammenarbeit des Bundes mit schweizerischen Nichtregierungsorganisationen besteht das Risiko «latent drohender Zweckentfremdungen», wirkungsvolle Mechanismen zur Kontrolle der Mittelflüsse fehlen weitgehend.
Hinzu kommt ein zweiter zentraler Befund der Studie: In Jahrzehnten der Kooperation zwischen dem Staat und den NGOs im Bereich der Entwicklungshilfe sei eine Art «Monopolsituation» entstanden, ein kartellähnliches Gebilde, in dem der Wettbewerb kaum mehr spiele. Es falle auf, «dass auf Ausschreibungen sehr oft verzichtet wird und die Mandate in der Regel freihändig vergeben werden». Rund 80 Prozent der Erstvergaben würden auf diese Weise unter Umgehung jeglichen Wettbewerbs erteilt. Dies widerspreche der Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen (VoeB), wonach Mandate über 50 000 Franken grundsätzlich ausgeschrieben werden müssen.
Die Realität aber sieht anders aus. Der Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zeichnet das Bild einer engen, an Vetternwirtschaft erinnernden Zusammenarbeit der Verwaltung mit den privaten Entwicklungshelfern. Auszugehen sei von «sehr partnerschaftlichen Verhältnissen der Verantwortlichen des Bundes und der NGOs», die zuständigen Dienststellen hätten «oft langjährige Beziehungen zu den Kooperationspartnern» - was «in besonderem Mass für die Sektion NGO der Deza» zutreffe.
Die engen Verflechtungen hätten zu einer «traditionsfesten, monopolähnlichen Stellung» der Hilfswerke geführt. Bundesgelder erhält also meist nicht, wer aufgrund einer Ausschreibung die besten Leistungen erfüllt, sondern derjenige, der immer schon Beiträge bekommen hat. Wer einmal Teil und Profiteur des Hilfskartells geworden ist, darf regelmässig mit weiteren Zuschüssen rechnen.
Der Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle bestätigt somit den Verdacht auf filzähnliche Strukturen, auf ein Klima, das notwendiger Kritik und Kontrolle nicht eben förderlich ist. Die Beamten seien «einem moralischen Druck ausgesetzt, die Bundesmittel für die NGOs nicht zu kürzen». Ein Druck, der «noch dadurch erhöht» werde, «dass einige NGOs politisch stark vernetzt sind bzw. Zugang zu Personen haben, die einen gewissen Einfluss auf die Verwaltung ausüben können».
«Hochsignifikante negative Korrelation»
Unter diesen «Rahmenbedingungen», bilanziert der Bericht, würden Bundesmittel «auch bei Mängeln kaum wesentlich» gekürzt. Die Steuergelder fliessen so oder so, unabhängig von Qualität und «Inhalt» der unterstützten Projekte und Programme.
Die Untersuchung der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle müsste eigentlich ein Alarmzeichen sein für die Politik, könnte man meinen. Die hohen Risiken, dass Steuergelder zweckentfremdet werden und in «monopolähnlichen Strukturen» versickern, scheinen einer solide arbeitenden Bürokratie unwürdig zu sein. Bisher allerdings hat der Bericht erstaunlich geringe Reaktionen hervorgerufen.
Das überrascht umso mehr, als die aktuellen Befunde frühere Resultate bestätigen. Im vergangenen Herbst veröffentlichte die unabhängige Expertengruppe IDEAS (Independent Development Experts Association) eine Pionierstudie, in der erstmals die Transparenz der wichtigsten Schweizer Hilfswerke untersucht wurde («Spenden ins Blaue», Weltwoche Nr. 45/08).
Dabei kam heraus, dass Spender und Öffentlichkeit nur sehr unzureichend über die konkrete Verwendung der Gelder informiert würden. Besonders brisant: Die IDEAS-Studie stellte eine «statistisch hochsignifikante negative Korrelation» fest zwischen dem Anteil an Deza-Geldern und der Transparenz der Hilfswerke. Einfacher ausgedrückt: Je mehr Gelder eine NGO vom Staat erhält, desto unklarer bleibt, wofür die Mittel überhaupt ausgegeben werden.
Vor dem Hintergrund der Zustände, welche nun die Parlamentarische Verwaltungskontrolle ausleuchtete, braucht man sich darüber kaum mehr zu wundern. Offenbar weiss ja nicht einmal der Geldgeber genau, wohin die Bundesmittel fliessen.