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Pour une autre politique de développement!

Beitrag vom 09.04.2009

Rheinischer Merkur

INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT
Berliner Beziehungskrise

Die auf dem G-20-Gipfel zugesagten zusätzlichen Milliarden lösen keine Freude aus. Die Unterstützung des Schwarzen Kontinents wird zum Wahlkampfthema.
VON ASTRID PRANGE
Endlich einmal eine positive Nachricht: Mitten in der Finanzkrise haben die Industrieländer ihre Ausgaben für Entwicklungshilfe erhöht. Auf dem G-20-Gipfel in London beschlossen die Staats- und Regierungschefs ein 1,1 Billionen Dollar schweres Hilfspaket.
Weltbank und Entwicklungsbanken werden mit 100 Milliarden Dollar für Armutsbekämpfung und Ernährungssicherung ausgestattet, der Internationale Währungsfonds (IWF) bekommt 750 Milliarden Dollar, und für Handelsbürgschaften werden 250 Milliarden bereitgestellt.

Doch trotz der zusätzlichen Milliarden will hierzulande keine echte Freude aufkommen. Im Gegenteil. Entwicklungspolitik avanciert zum Wahlkampf- und Streitthema. Der Unmut richtet sich vor allem gegen Heidemarie Wieczorek-Zeul, Chefin des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), die 2009 als einzige Ministerin im Kabinett eine Steigerung ihres Etats um 679 Millionen Euro durchsetzen konnte.

"Noch höhere Hilfen schaden mehr, als sie Nutzen stiften", ist Afrika-Kenner Volker Seitz überzeugt. "Wir wollen unser Gewissen beruhigen, helfen damit aber den Armen nicht." Nach 17 Jahren als Botschafter in verschiedenen afrikanischen Ländern stellt Seitz die bisherige Praxis der Entwicklungspolitik in seinem Buch "Afrika wird armregiert" komplett infrage. "Es gibt weder eine kritische Bestandsaufnahme der bisherigen Hilfe", so der Diplomat, "noch wird hinterfragt, warum die Hilfe kaum etwas bewirkt hat."

Schützenhilfe erhält Seitz sogar aus Afrika: Der kenianische Ökonom James Shikwati und seine sambische Kollegin Dambisa Moyo stimmen der Grundsatzkritik zu. In einem Interview mit der "New York Times" machte die Bankerin Moyo kürzlich westliche Entwicklungshilfe und Korruption für die Armut südlich der Sahara verantwortlich. "Warum sollte Sambias Staatsoberhaupt Rupiah Banda sich darum bemühen, Staatsanleihen auf dem freien Kapitalmarkt zu platzieren, wenn er bei der Weltbank ohne großen Aufwand einen Kredit bekommen kann?" Beide fordern, die Entwicklungshilfe komplett abzuschaffen. Die Zahlungen machten Afrika auf Dauer abhängig und nutzten "zuallererst den Gebern und nicht den Empfängern".

Seitz, Shikwati und Moyo gehören zu den Befürwortern des sogenannten Bonner Aufrufs, der erstmals im November 2008 und dann im März 2009 in einer aktualisierten Fassung veröffentlicht wurde. Rund 80 Fachleute aus dem Bereich der Entwicklungszusammenarbeit haben das provokante Papier unterzeichnet, das eine vernichtende Bilanz zieht: "Nach einem halben Jahrhundert Entwicklungshilfe für Afrika stellen wir fest, dass unsere Politik versagt hat", heißt es dort im ersten Satz. Statt eine ineffiziente Zentralbürokratie zu stärken, solle das BMZ stärker auf Kirchen, lokale Selbsthilfeinitiativen und nicht staatliche Organisationen (NROs) setzen.

Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hat für solche Anregungen wenig Verständnis. "Der Bonner Aufruf hat mit einer Entwicklungspolitik, die auf der Höhe der Zeit ist, wenig zu tun", kanzelt sie die Kritiker ab. "Es wäre naiv zu glauben, dass den Folgen der globalen Wirtschaftskrise in den Entwicklungsländern allein mit mehr Privatinitiative oder durch zivilgesellschaftliche Organisationen entgegengetreten werden könne - so wichtig diese auch sind."

Die entwicklungspolitische Sprecherin der Grünen vermutet, dass hinter dem Aufruf parteipolitische Interessen stehen. "FDP und CDU wollen das BMZ zerschlagen. Die FDP würde es am liebsten ins Auswärtige Amt eingliedern", meint Ute Koczy. In bestimmten Kreisen bestehe deshalb Interesse daran, die Leistungen der Entwicklungszusammenarbeit schlecht zu reden. Die grüne Abgeordnete, die auch dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit im Bundestag angehört, ist sichtlich genervt von der Konkurrenz zwischen BMZ und Auswärtigem Amt. "Ohne diese Rivalität würde die Zusammenarbeit vor Ort besser funktionieren", klagt Koczy und mahnt eine bessere Absprache an.

Eckhard Deutscher, Vorsitzender des Entwicklungsausschusses bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris, ist entsetzt von den "Omnipotenzphantasien" der Aufruf-Initiatoren. "Entwicklungspolitik allein kann weder die Welt verändern noch die Armut in Afrika abschaffen", stellt Deutscher klar. Ulrich Post von der Welthungerhilfe (DWH) in Bonn sieht das genauso. "Entwicklungspolitik wird regelmäßig für Sachen verantwortlich gemacht, für die sie gar nichts kann", hat er beobachtet. "Mit unseren bescheidenen Mitteln", so Post, "können wir gar nicht so viel ausrichten."

Im Vergleich zu den milliardenschweren Konjunkturprogrammen der Finanzkrise nehmen sich die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit in der Tat eher bescheiden aus. Die weltweiten Leistungen für Entwicklungszusammenarbeit summierten sich 2008 auf rund 88 Milliarden Euro. Deutschland ist mit einem Beitrag von 10,2 Milliarden Euro mittlerweile zum zweitgrößten Geber aufgestiegen.

Der CDU-Abgeordnete Christian Ruck versucht zwischen den streitenden Parteien eine Brücke zu bauen. "Wer glaubt, Entwicklungshilfe allein könne ein schlüsselfertiges Afrika aufbauen, ist auf dem Holzweg", stellt der Vorsitzende der CDU-Arbeitsgruppe Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung klar. Es ginge lediglich darum, die Eigenanstrengungen der Partner zu unterstützen. Ruck: "Geld allein bringt die Entwicklung nicht voran." Ohne Geld geht es allerdings auch nicht. Um die Wirksamkeit der knappen Mittel zu steigern, sind sich immerhin alle Experten einig, dass die Zusammenarbeit der Geber untereinander deutlich verbessert werden muss. Eckhard Deutscher hat nach langjährigen Erfahrungen bei der Weltbank und beim Industrieländerklub OECD erkannt, dass "die Hilfsindustrie selbst für Experten nicht mehr überschaubar ist".

Auch die Hilfsorganisationen räumen Reformbedarf ein. "Dass wir mit so vielen verschiedenen Organisationen arbeiten, versteht kein Afrikaner", weiß Welthungerhilfe-Sprecher Post. Die Nichtregierungsorganisationen (NRO) müssten ihre Arbeit vor Ort ebenfalls besser koordinieren.

Über mangelnde Förderung durch das BMZ, was im Bonner Aufruf angeprangert wird, will sich jedoch aus der NRO-Szene keiner so recht beklagen. "Der Ansatz des Aufrufs, der Staat ist korrupt, also übernehmen die NROs die Arbeit, ist unsinnig", meint Wilfred Steen vom Evangelischen Entwicklungsdienst (EED). "Wir können und wollen nicht die Schulversorgung in Afrika übernehmen", so Steen. Dies sei Aufgabe des Staates. CDU-Entwicklungsexperte Christian Ruck schlägt vor, sich bei der staatlichen Zusammenarbeit künftig auf 60 Länder zu beschränken, was bei vielen Experten auf Zustimmung stößt. Das BMZ ins Auswärtige Amt integrieren will er allerdings nicht. Im Gegenteil, er will es als Schlüsselministerium aufwerten, "das alle entwicklungspolitischen Aktivitäten der Bundesregierung koordiniert".

Von der vernichtenden Bilanz der Aufruf-Initiatoren ist Ruck ebenfalls weit entfernt: "Für jeden Euro, den wir in die Entwicklung unserer Partner investieren, fließen mindestens drei Euro in Form von Aufträgen an unsere Unternehmen zurück", rechnet er vor. Schon heute würden mit einem Umfang von zehn Milliarden Euro deutscher öffentlicher Entwicklungsleistungen rund 250 000 Arbeitsplätze in Deutschland gesichert.

So schön die Erfolgsbilanz ist - sie bietet zugleich eine enorme Angriffsfläche. Denn offiziell ist die deutsche Entwicklungshilfe der Armutsbekämpfung und nicht der Wirtschaftsförderung verpflichtet. Anscheinend haben James Shikwati und Dambisa Moyo den Nagel auf den Kopf getroffen.

Internet: www.bonner-aufruf.eu

Lesetipp: Volker Seitz: Afrika wird armregiert. dtv, München 2009. 280 Seiten, 14,90 Euro.