Palastrevolte in Libreville
Gabun
FAZ
Der Präsidentenclan ist zu sagenhaftem Reichtum gelangt. Auch nach dem Sturz von Ali Bongo werden vermutlich einige weiterhin die Fäden im Staat ziehen.
Von Claudia Bröll
Omar Bongo wusste, wie man in Afrika auftrumpfte. Als Gabun den Gipfel der „Organisation für Afrikanische Einheit“, des Vorgängers der Afrikanischen Union, 1977 ausrichtete, ließ der Gastgeber gleich mehrere Luxushotels und einen neuen Präsidentenpalast mit privatem Nachtklub bauen. Die Spendierfreudigkeit verschaffte der Hauptstadt Libreville viele Jahre lang den Ruf einer etwas dekadenten, aber sympathischen Metropole. Hinter den schönen Fassaden der Regierungsgebäude freilich breiteten sich aber schon damals die Armenviertel aus.
Mehr als ein halbes Jahrhundert hat die Familie den Staat mit heute 2,5 Millionen Einwohnern regiert, seit 2009 ist der Sohn Omar Bongos, Ali, an der Macht gewesen. Mit dem Sturz seiner Regierung in der vergangenen Woche könnte die Bongo-Ära in dem kleinen Land mit den großen Ölvorkommen Geschichte sein. Am Montag wird der General der Republikanischen Garde, Brice Fence Oligui Nguema, in Libreville als Übergangspräsident vereidigt. Der 64 Jahre alte Ali Bongo befindet sich weiterhin im Hausarrest, aus dem er sich bisher nur mit einer einzigen verzweifelten Videobotschaft meldete.
Höchster Champagner-Konsum der Welt
Der Aufstieg und mögliche Sturz der Familie gleicht Dynastien wie den dos Santos im ebenfalls ölreichen Angola. In Gabun verhalfen besonders gute Beziehungen zur ehemaligen Kolonialmacht Frankreich und zu französischen Erdölkonzernen dem Clan zu sagenhaftem Reichtum. Wie die französische Zeitung „Le Monde“ einst berichtete, floss in den Siebziger- und Achtzigerjahren ein Viertel der Staatseinnahmen direkt an die politische Elite und ihren Zirkel. Zwischenzeitlich konnte sich Gabun mit dem höchsten Champagner-Konsum je Kopf auf der Welt brüsten.
Korruptionsvorwürfe gegen hochrangige Beamte und Familienmitglieder gab es immer wieder, wobei vor allem die französische Polizei ermittelte. Nach einem Polizeibericht 2007 besaß die Bongo-Familie allein in Frankreich 39 Immobilien, die meisten an der Côte d’Azur und in den besten Vierteln von Paris. In einem Gerichtsverfahren in Genf etliche Jahre später trat zutage, dass Omar Bongo und sein Sohn Ali innerhalb von fünf Jahren mehr als 100 Millionen Dollar für Flüge mit Privatjets ausgegeben hatten. Regelmäßig flog der damalige Patriarch in einer Boeing 777 nach Paris, um seine Frau zu besuchen, wobei ein Trip angeblich 2 Millionen Dollar kostete.
Abgesehen von einem schillernden Lebensstil war das Geld nützlich, um Loyalität zu erkaufen. Nahezu alle wichtigen Posten im Militär und im Staat sind bis heute aus dem riesigen Bongo-Clan – Omar Bongo hatte mehr als 50 Kinder – besetzt. Den Vorsitz des Verfassungsgerichts beispielsweise hat seit 1991 Marie-Madeleine Mborantsuo inne. Die Juristin und frühere Schönheitskönigin hat zwei Kinder von Omar Bongo. Auch sie befindet sich seit dem Putsch im Hausarrest. Selbst der Oppositionskandidat in den ebenfalls höchst umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2016 war mit der Familie verbandelt. Mit Ali Bongos älterer Halbschwester, Pascaline, hat er zwei Kinder.
Videos mit Koffern voller Geld
Ali Bongo hatte nach dem Tod des Vaters eine Wende angekündigt. Doch von Zurückhaltung war nicht viel zu sehen. Im vergangenen Jahr gab es weitere Anklagen in Frankreich gegen Familienmitglieder wegen Veruntreuung und Korruption. In der vergangenen Woche tauchten unmittelbar nach dem Putsch Videos mit Koffern voller Geld auf, mit denen Verbündete das Weite suchen wollten.
Zuletzt unternahm der Präsident Anstrengungen, sowohl die Wirtschaft als auch die internationalen Beziehungen über Frankreich hinaus zu diversifizieren. So wurde Gabun 2022 gemeinsam mit Togo in den Commonwealth, den Verbund überwiegend ehemaliger britischer Kolonien, aufgenommen. Zu deren Aufnahmekriterien gehören etwa der „Einsatz für Demokratie und demokratische Prozesse einschließlich freier und fairer Wahlen“ sowie Rechtsstaatlichkeit und gute Regierungsführung.
In wirtschaftlicher Hinsicht sticht Gabun in der Region hervor. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt je Kopf stand das Land 2022 an dritter Stelle in Afrika, nach den Seychellen und Äquatorialguinea. Öl und Mangan sind die wichtigsten Exportprodukte. Wie andernorts hatten die Corona-Pandemie und der sinkende Ölpreis dem Wirtschaftswachstum einen kräftigen Dämpfer verpasst. Seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine steigen zudem die Preise in die Höhe, sodass der Präsident ein eigenes Ministerium für den Kampf gegen steigende Lebenshaltungskosten schuf und Preisobergrenzen für Importwaren einführte. Von den reichen Bodenschätzen profitierte jedoch weiterhin nur ein kleiner Teil der Bevölkerung. Jeder dritte Einwohner lebte von weniger als 2 Dollar am Tag, fast 40 Prozent der jüngeren Gabuner haben keine Arbeit.
Oppositionsführer spricht von „Familienangelegenheit“
So gingen nach dem Staatsstreich Hunderte Menschen jubelnd auf die Straßen, einige umarmten Soldaten. Offenkundig hatten die Putschisten die Meinung vieler ausgedrückt, als sie Ali Bongo eine „unberechenbare und unverantwortliche Regierungsführung“ vorwarfen, die das Land ins Chaos stürzen könne. Später erklärten sie, Personen aus dem Umfeld des Präsidenten seien wegen „schweren Verrats an staatlichen Institutionen, massiver Veruntreuung öffentlicher Gelder und internationaler finanzieller Veruntreuung“ verhaftet worden.
Beobachter aber halten den Putsch mittlerweile eher für eine Palastrevolte, ausgelöst durch die immer heftigeren Rivalitäten innerhalb der Präsidentenfamilie. Ziel des Putsches sei der enge Zirkel um den Präsidenten, seine Ehefrau Sylvia und ihren Sohn Noureddin gewesen. Der Sohn, ein in Großbritannien ausgebildeter Geschäftsmann, spielte eine immer wichtigere Rolle als Präsidentenberater, seit sein Vater 2018 einen Schlaganfall erlitten hatte, von dem er bis heute geschwächt zu sein scheint.
Der in der Präsidentschaftswahl im August unterlegene Oppositionskandidat, Albert Ondo Ossa, ist ebenfalls dieser Ansicht. In einem Interview mit dem Fernsehsender Al Jazeera sprach er von einer „Familienangelegenheit“, in der einige Mitglieder die anderen ersetzten. Eigentlich habe er selbst die Wahl gewonnen. Aus seiner Sicht fanden zwei Putsche statt: erst die Manipulation der Wahl und dann die Machtübernahme durch das Militär. Einem französischen Sender sagte er, hinter dem Putsch stecke die Halbschwester Pascaline. Gerüchten zufolge hat sie das Land verlassen.
Auch der neue Machthaber ist ein vermögender Mann
Tatsächlich ist auch der neue Machthaber Nguema kein Außenstehender, sondern ein Vetter von Ali Bongo und der frühere Bodyguard von Omar Bongo. Nach dessen Tod schickte ihn der neue Präsident als Militär-Attaché in die Botschaft von Dakar. Offenkundig wollte er ihn im Machtgerangel loswerden. Erst zehn Jahre später – nach dem Schlaganfall und einem gescheiterten Putschversuch – holte man Nguema zurück. Zuerst löste er einen Halbbruder des Präsidenten an der Spitze eines „Geheimdienstes“ innerhalb der Republikanischen Garde ab, sechs Monate später übernahm er die Führung. Nach Recherchen eines Journalistennetzwerks, des „Organized Crime & Corruption Reporting Project“, ist auch Nguema ein vermögender Mann mit zahlreichen Immobilien in den USA.
Seine Machtübernahme scheint jetzt schnell und reibungslos zu verlaufen. Wacker kündigte der Oppositionsführer – der erste ohne offensichtliche Beziehungen zum Präsidentenclan – vor der Vereidigung an, „diplomatische Kanäle“ im In- und Ausland zu nutzen, um zu einer verfassungsmäßigen Ordnung zu gelangen. Außerdem forderte er die Auflösung der Wahlkommission, um das echte Ergebnis der Präsidentschaftswahl offenzulegen, nachdem er schon am Wahltag von Betrug gesprochen hatte. Nach offiziellen Angaben hatte er 30 Prozent der Stimmen erlangt, der Amtsinhaber 64 Prozent. Bei den Wahlen hatte die Regierung internationalen Beobachtern und Journalisten kaum Zugang gewährt, nach dem Urnengang wurde zudem das Internet abgeschaltet.
Zu Demonstrationen gegen die neuen Machthaber rief Ondo Ossa aber vermutlich bewusst nicht auf. Einiges deutet darauf hin, dass Nguema den Putsch lange vorbereitet hatte und seine Soldaten Ausschreitungen schnell niederschlagen würden. Er werde von seinen Truppen sehr geschätzt und habe die Garde sowohl mit Personal als auch mit Gerät bestens ausgerüstet, fand das Onlinemedium „Africa Report“ heraus. Noch kurz vor den Wahlen und dem Putsch hatte er vier Panzerwagen angeschafft und fast 700 neue „Agenten“ rekrutiert.