Gbagbos schwarze Kassen
Elfenbeinküste
Neue Zürcher Zeitung
Ungeregelte Geldflüsse aus dem Kakao-Export halten den ivoirischen Manipulator an der Macht
Côte d'Ivoires Nachbarstaaten haben dem abgewählten Präsidenten Laurent Gbagbo den Geldhahn zugedreht. Wie lange sich sein Regime dennoch halten kann, wird auch vom Bestand irregulär abgezweigter Gelder abhängen.
Markus M. Haefliger, Nairobi
Die Staaten der Westafrikanischen Währungsunion, die den CFA-Franc als gemeinsame Währung benutzen, haben, wie berichtet, kurz vor Weihnachten den Zugang des abgewählten ivoirischen Präsidenten Gbagbo zu Staatskrediten blockiert. Die Massnahme trifft das alte Regime von allen Sanktionen am empfindlichsten, zumindest so lange, wie es bei der Drohung Nigerias und anderer Staaten bleibt, den Regimewechsel zugunsten des gewählten Präsidenten Ouattara mit Militärgewalt durchzusetzen. Ohne Zentralbankkredite kann Gbagbo früher oder später seinen Staatsapparat und die ihm loyal ergebenen Truppen und Gendarmen nicht mehr bezahlen.
Houphouët-Boignys Erbe
Die Frage ist, wann dem Usurpator die Mittel ausgehen. Nächsten Monat? Im März? Oder erst, wenn die Erlöse der diesjährigen Kakaoernte versiegen? Es gibt Berichte, wonach schon im Dezember einigen Staatsangestellten nicht die vollen Löhne ausbezahlt worden seien, aber dies sind Gerüchte. Tatsächlich weiss kein Aussenstehender, wann es für Gbagbo kritisch wird. Das liegt an den schwarzen Kassen, die der unrechtmässige Staatschef während des Jahrzehnts seiner Herrschaft äufnen und unter dem Vorwand bürgerkriegsähnlicher Wirren vermehren konnte.
Die Geldvorräte werden nicht ausschliesslich, aber hauptsächlich durch den Kakaosektor finanziert. Côte d'Ivoire, das mit ungefähr 40 Prozent der weltweiten Ernte nach wie vor das führende Produktionsland für Kakao ist, exportiert pro Jahr mehr als eine Million Tonnen Kakaobohnen und Kakaomasse. Die Erlöse beliefen sich in den letzten Jahren auf umgerechnet zwischen 1,8 und 2,3 Milliarden Franken pro Jahr und machten damit mehr als ein Drittel der ivoirischen Exporteinnahmen aus.
Die Korruption in dem Sektor war schon unter dem Gründerpräsidenten Houphouët-Boigny (1960 bis 1993) legendär. Damals bezahlte die Kakaobehörde den Kakaobauern für ihre Lieferungen einen fixen Preis, der 25 Prozent der auf dem Weltmarkt erzielten Erlöse ausmachte. Rund 10 Prozent gingen an Zwischenhändler, der grosse Rest wurde über einen Strang staatlicher Organisationen zur Regulierung der Produktion, des Handels und der Ausfuhr verteilt. Die entsprechenden Regiebetriebe verfügten über eigene Kassen, etwa zum Ausgleich von Preisschwankungen, unterhielten Tarnfirmen und tätigten ohne öffentliche Kontrolle Transaktionen. Bei den innenpolitischen Konflikten nach dem Tod Houphouët-Boignys ging es vor allem auch darum, wer
Zugang zum Geflecht dieser «filière du cacao» erhalten würde.
Nachdem Gbagbo, ein Gegner Houphouët-Boignys, im Jahr 2000 an die Macht gekommen war, versprach er eine Reform des Kakaosektors. Tatsächlich verlieh er der Schröpfung bloss eine ausgeklügeltere Form. Er «liberalisierte» den Bereich, vervielfältigte aber gleichzeitig die Zahl der Abgaben und Steuern. So rahmten trotz der Abkehr von fixen Preisen parastaatliche Kakao-Organisationen die Preishaussen auf dem Weltmarkt ab, während die Kakaobauern dabei leer ausgingen. Was die Regiebetriebe selber angeht, schuf Gbagbo anstelle von deren zwei gleich deren fünf. Er auferlegte beispielsweise den Exporteuren eine Abgabe, die innerhalb von drei Jahren auf 141 CFA-Francs (31 Rappen) pro Kilo verzehnfacht wurde. Die entsprechenden Einnahmen allein belaufen sich in guten Jahren auf umgerechnet über 430 Millionen Franken.
Brüssel beisst auf Granit
Experten der Nichtregierungsorganisation Global Witness berechneten 2007 die durch den Kakaosektor erbrachten Staatseinnahmen auf insgesamt über 1,5 Milliarden Franken pro Jahr. Als Gbagbo 2008 von Brüssel forderte, dass die EU die Präsidentenwahlen mit 200 Milliarden CFA-Francs (460 Millionen Franken) finanzieren solle, wies der EU-Kommissar für Entwicklung, Louis Michel, das Ansinnen mit dem Hinweis zurück, dass dafür besser die dreimal höhere Summe angezapft werden sollte, die aus schwarzen Kakaokassen stamme und auf Bankkonten in Europa deponiert sei. Die EU finanzierte die zurückliegenden Wahlen dann trotzdem mit. Brüssel hatte 2004 eine Rechnungsprüfung des Kakaosektors verlangt. Nachdem die Bourse du Café et du Cacao, einer der genannten Regiebetriebe, Einsicht in die Bücher verweigert hatte, stellte die EU die Hilfe für den Sektor ein.
Gbagbo lässt die Kakaoeinnahmen durch unsichtbare Kanäle fliessen, die nach Belieben abgezweigt werden können. So gehören die parastaatlichen Kakaobetriebe rechtlich mehrheitlich zum Privatsektor. Zahlungen unterstehen keiner öffentlichen Kontrolle, umso mehr aber der informellen Aufsicht durch Parteigänger Gbagbos. Nach der bewaffneten Rebellion von 2002 wurden die Fonds der Betriebe, die zuvor bei der Westafrikanischen Zentralbank deponiert gewesen waren, in der ivoirischen Caisse autonome d'amortissement (CAA) hinterlegt, um ausländische Kontrollen zu umgehen. Unter dem Vorwand der Kriegsanstrengungen lieh die CAA daraufhin Geld an den Finanzdienst des Präsidialamts.
In Gbagbos Regierungszeit fielen mehrere Skandale, bei denen Geld aus dem Kakaobereich abgezweigt wurde. Der erste Bericht der Uno-Kommission zur Überprüfung eines gegen Côte d'Ivoire verhängten Waffenembargos stellte 2004 fest, dass 180 Millionen Dollar für den Kauf von Waffen abgeführt worden waren. Daraufhin liess Gbagbo den Posten Sicherheit ganz aus dem Budget tilgen. Laut dem IMF machten die versteckten Militärausgaben bis zum Friedensabkommen von Ouagadougou 2007 etwa 10 Prozent der tatsächlichen Staatsausgaben aus. Im gleichen Jahr wurde die Fulton-Affäre bekannt. Dabei wollte eine Kasse der parastaatlichen Kakaoproduzenten-Vereinigung eine Schokoladefabrik von Nestlé in Amerika übernehmen, angeblich, um die Wertschöpfung aus dem Kakao zu erhöhen. Der Handel fiel ins Wasser, aber zuvor waren 100 Milliarden CFA-Francs (250 Millionen Franken) in private Taschen abgezweigt worden.
Das Geld fliesst weiter
Es fehlen Schätzungen darüber, welcher Anteil der irregulären Gelder einerseits für Waffenkäufe, die Bezahlung von Söldnern, Milizen und Aktivisten der «Jeunes Patriotes», Gbagbos Stosstrupp, sowie für politische Zwecke wie Gbagbos Wahlkampf ausgegeben wurde. Im Hinblick auf Letzteren wurde beispielsweise vor zwei Jahren die sogenannte Registriertaxe, eine Abgabe für das Einschreiben von Kakaolieferungen für die Ausfuhr, im Handumdrehen verdoppelt. Andererseits dürften auch die Beträge, die Gbagbo auf die hohe Kante legen konnte, beträchtlich sein.
Vor allem sprudeln die Geldquellen weiterhin und fliessen in irreguläre Kanäle. Die ausländischen Wirtschaftssanktionen unterbinden die Abgaben des Kakaosektors nicht, soweit diese nicht über die Zentralbank der Westafrikanischen Währungsunion fliessen. Der Export von Kakao aus dem Hafen der Wirtschaftsmetropole Abidjan und der Hafenstadt San Pedro im Westen wird derweil – trotz der Krise – beinahe wie üblich abgewickelt.