Plündern als Prinzip
Afrika
Die Zeit 44/2017
Afrikanische Journalisten dokumentieren in einem neuen Bericht Verbrechen der Mächtigen in ihren Heimatländern. Typisch Afrika?
Von Angela Köckritz
Der Kongo ist das größte Land Afrikas und verfügt über sagenhafte Bodenschätze. Trotzdem leben die meisten seiner Einwohner in Armut. Woran kann das liegen?
Dazu eine kleine Anekdote: Im Jahr 2009 wollte das kanadische Bergbauunternehmen First Quantum dem Staat der Demokratischen Republik Kongo die fälligen Steuern für den Kupferabbau zahlen. 60 Millionen Dollar, Geld, das ein Land, dessen Einwohner durchschnittlich weniger als 500 Dollar pro Jahr verdienen, sicher für vieles hätte gebrauchen können. Die kongolesische Steuerbehörde aber teilte dem Unternehmen mit, es solle dem Behördenchef vier Millionen zahlen, der Regierung sechs Millionen und den Rest behalten. Als sich das Unternehmen auf den Deal nicht einlassen wollte, warfen ihm die Behörden "Fehlverhalten" vor. Die Mine wurde beschlagnahmt und an den israelischen Bergbautycoon Dan Gertler verkauft. Er ist ein enger Vertrauter der Regierungselite und trägt den klingenden Spitznamen "Mr Grab".
Die Geschichte kommt Ihnen bekannt vor? Sie haben so was schon einmal gehört, nur vielleicht mit anderen Namen, eventuell sogar in einem anderen afrikanischen Land? Kein Wunder. Der große Raubzug findet in vielen afrikanischen Ländern statt, und wenn die Diebe erfolgreich sind, dann, weil sie ganz oben sitzen, weil sie auf Sicherheitskräfte, Verwaltung, ja, den ganzen Staatsapparat zugreifen können. In den Panama Papers, die im vergangenen Jahr an die Öffentlichkeit gelangten und Einblicke in weltweit organisierte Geschäfte um Geldwäsche, Steuerhinterziehung und -vermeidung gewährten, finden sich zahlreiche Namen von Personen, die sich im Dunstkreis afrikanischer Politiker bewegen – "Mr Grab" Dan Gertler taucht allein 200-mal auf. Genauso übrigens wie Jaynet Kabila, Zwillingsschwester des kongolesischen Präsidenten Joseph Kabila.
Das hat ein Kollektiv afrikanischer Investigativjournalisten nun dazu veranlasst, die zweifelhafte Rolle zu untersuchen, die Politiker im Wirtschaftsleben von sieben afrikanischen Länder spielen. Die Studie African Oligarchs des African Investigative Publishing Collective, des kenianischen Verlags Africa Uncensored und des ZAM Magazines erzählt Geschichten von Raub, Ausbeutung, krummen Geschäften und Gewalt.
Neben der Anekdote um das Bergbauunternehmen aus dem Kongo wird da etwa der Fall des südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma erzählt, der gemeinsam mit seinen Buddys, den indischstämmigen Gupta-Brüdern, ein wahres Geldwäsche-Imperium errichtet hat. Schlüsselpositionen besetzte Zuma mit alten Bekannten, der Steuerbehörde steht beispielsweise der frühere Babysitter seiner Kinder vor. Alle Teile des weit verzweigten Patronagenetzwerkes arbeiten auf ein Ziel hin: making baba happy. Zuma, den Landesvater, glücklich zu machen.
Oder der Fall Botswana, wo die Einkünfte aus der Luxustourismus-Industrie – Oprah Winfrey und Prinz Harry machten hier schon Urlaub – gar nicht erst in die Staatskasse gelangen, sondern direkt in Steueroasen wandern. Und zwar zu Händen einer Firma, an der der Präsident und seine Freunde beteiligt sind.
Auf mehr als 30 Seiten entsteht ein Sittenbild korrupter Eliten, die sich geschmeidig des internationalen Finanzsystems zu bedienen wissen, um abenteuerliche Summen Schwarzgeld verschwinden zu lassen. Der frühere südafrikanische Finanzminister Pravin Gordhan schätzt, dass Zuma und seine Buddys sieben Milliarden US-Dollar außer Landes geschafft haben.
Die Kontrollmechanismen sind zu schwach
Zu den untersuchten Ländern ließen sich zahlreiche weitere hinzufügen. Tatsächlich haben die beteiligten Journalisten bereits angekündigt, ihre Recherchen fortzusetzen. Wie schwer und gefährlich es für sie ist, an Informationen zu gelangen, davon zeugen ihre Biografien: Der Kongo-Korrespondent lebt mittlerweile vorwiegend in Australien, "denn er wird meist gekidnappt oder verhaftet, wenn er zurück in sein Land reist", so steht es in seinem Kurzporträt. Der Journalist, der zu Ruanda und Burundi recherchiert, bevorzugt es, anonym zu bleiben.
Die Eliten, so schreiben die Autoren, "haben sich in gewisser Weise in ebenjene koloniale Plündermaschinen verwandelt, die sie nach der Unabhängigkeit ihrer Staaten ersetzt haben". Nur: Warum ist das so?
Die Journalisten selbst wollen diese Frage am liebsten afrikanischen Schriftstellern und Philosophen überlassen: "Man könnte spekulieren, dass in dem Machtkampf, der dem zerstörerischen Kolonialismus folgte, diejenigen mit den spitzesten Ellbogen gewannen", schreiben sie in ihrer Studie. Jedes Land hat seine eigene komplexe Geschichte, in jedem ringen andere Interessengruppen um die Macht. Politische Kulturen bilden sich nicht über Nacht, vieles spielt dabei hinein. Patriarchale Gesellschaften etwa und eine Kolonialgeschichte, in der die Untertanen den Staat meist als parasitären Ausbeuter kennenlernten.
In einigen Staaten zogen die Kolonialherren willkürlich Grenzen, vereinten Ethnien in einem Staatsgebiet, die seither erbittert um die Macht streiten, wie etwa in Kenia. Löst die eine Gruppe die andere ab, folgt sie dem Credo: Now it’s our time to eat, jetzt sind wir mit dem Plündern dran. Patronagenetzwerke durchziehen die politische Kultur vieler afrikanischer Staaten. Korruption und Vetternwirtschaft sind unvermeidliche Folgen.
Schwierig ist auch das professionelle Selbstverständnis vieler Staatsdiener und Abgeordneter. In Interviews mit mehreren kongolesischen Parlamentsabgeordneten, so zeigt die Studie, gaben diese ohne Ausnahme zu, sich ihrer Aufgabe "wegen des Gehalts" angenommen zu haben, "aber auch, um zu netzwerken und geschäftliche Deals abzuschließen".
Warum ist das so? Auf diese Frage könnte es sehr viele und sehr komplexe Antworten geben – oder eine sehr einfache. Die afrikanischen Oligarchen sind auch deshalb so korrupt und kriminell, weil niemand sie daran hindert. Die Kontrollmechanismen in vielen Ländern sind zu schwach, den Parlamenten, Gerichten, Medien gelingt es oft nicht, die big men zu stoppen, zudem sind große Teile der Bevölkerung vom politischen Leben ausgeschlossen. Es sind jene Bürger, die meist nur kurz vor den Wahlen als Stimmvieh aktiviert werden, die armen und benachteiligten, die über keine oder nur wenig Bildung verfügen, von der Hand in den Mund leben und gelernt haben, dass sie vom Staat eigentlich nichts zu erwarten haben.
Den großen Raubzug der Eliten, es gibt ihn, aber nicht, weil "Afrika nun mal einfach so ist". Sondern weil die Macht der Oligarchen in den betroffenen Ländern so überwältigend groß ist.
Noch. Denn in jedem Land arbeiten Bürger darauf hin, genau das zu ändern. Rechtsanwälte, Künstler, Studenten, Journalisten, Krankenschwestern, Beamte, Arbeiter, Bauern. Nicht immer erlaubt es die politische Lage ihres Landes, dass sie ihre Meinung offen äußern. Sie kämpfen trotzdem – und bisweilen erfolgreich. Anfang des Jahres musste der abgewählte gambische Potentat Yahya Jammeh nach 22 Jahren, in denen er sein Land in jeder Hinsicht herunterwirtschaftete, die Macht abgeben – auf Druck der gambischen Bürger, aber auch der westafrikanischen Nachbarstaaten. Der Kampf zwischen Autoritarismus und Mitbestimmung wird Tag für Tag ausgefochten – auch in Afrika. Genau deshalb ist diese Studie so wichtig.
Fortsetzung folgt.