Bleibt Guinea-Bissau im Würgegriff der Narco-Kartelle?
05.12.20255
Deutsche Welle
Antonio Cascais
Als putschende Militärs am 26. November 2025 die Macht übernahmen, erklärten sie, das Land von Drogenkartellen befreien zu wollen. Doch eine DW-Recherche nährt Zweifel an diesem Narrativ.
Die neuen Militärmachthaber in Guinea-Bissau begründeten ihr Eingreifen unter anderem mit dem Schutz des Landes vor internationalen Drogenkartellen. Das Land sei im Würgegriff der internationalen Kokainmafia und zahlreiche Politiker seien verstrickt. Es gelte das zu unterbinden, behaupteten sie. "Null-Toleranz im Kampf gegen Korruption und Drogenhandel ist unser oberstes Ziel", erklärte Interimspräsident General Horta Inta-A bei seiner Amtsübernahme. DW-Hintergrundgespräche mit Experten, früheren Interpol-Ermittlern und politischen Insidern widersprechen der Darstellung der Militärjunta.
Narco-Staat Guinea-Bissau: Eine Mauer des Schweigens
Die putschenden Militärs setzten die verfassungsmäßige Ordnung in Guinea-Bissau außer Kraft und kündigten an, erst in einem Jahr zu ihr zurückzukehren. In diesem politischen Umfeld kann es sehr gefährlich sein, sich zum Thema Drogenkriminalität zu äußern. Die DW stieß bei ihren Recherchen auf eine Mauer des Schweigens: Diejenigen, die bereit waren mit der DW über das Thema zu sprechen – aufgrund der heiklen Lage meist vertraulich – zeichneten das Bild eines Staates Guinea-Bissau, in dem sich politische und militärische Akteure kaum noch von den mafiösen Strukturen trennen lassen, gegen die sie angeblich vorgehen.
Tatsächlich gilt das Land seit Jahren als eines der größten Transitgebiete für Kokain auf dem Weg von der Erzeugerregion Südamerika in die Zielregion Europa. Experten sind sich einig: Das Problem hat sich in den vergangenen Jahren zugespitzt.
Wahlen 2025: Ein Wahlkampf mit unsichtbaren Geldgebern
Schon vor dem Putsch fiel auf, wie üppig die Wahlkämpfe der verschiedenen Kandidaten für die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 23. November 2025 ausgestattet waren. In Bissau fuhren die unterschiedlichen politischen Formationen in Fahrzeugkolonnen teurer SUVs, professionell produzierte Videos liefen auf LED-Wänden, und Kundgebungen wurden mit teurer Ton- und Lichttechnik inszeniert.
Offiziell verfügen die meisten Kandidaten jedoch nur über sehr begrenzte Mittel. Es bleibt daher eine zentrale Frage: Wer finanzierte diesen kostspieligen Wahlkampf?
Die Experten verweisen auf ein System, in dem Drogengeld politische Loyalitäten finanziert – und Wahlkämpfe zu Investitionen der Kartelle werden.
Lucia Bird, Leiterin der Beobachtungsstelle Westafrika bei der in Genf ansässigen NGO "Global Initiative Against Transnational Crime", die zuletzt im August 2025 einen Bericht zur "Kokainpolitik in Guinea-Bissau" vorgelegt hat, sagt im DW-Interview: "Kokain-Geld wird seit Langem in die Wahlen in Guinea-Bissau investiert, auch in die jüngste Wahl. Internationale Drogenhändler haben verschiedene Kandidaten finanziell unterstützt. Zahlungen werden meist von guinea-bissauischen Drogenhändlern vorgenommen, eher selten von Vertretern ausländischer Drogenkartelle. Aber eins ist sicher: das Geld stammt aus dem Kokainhandel. Im Austausch zu der Wahlkampfhilfe sagen die Politiker den Drogenhändlern Unterstützung und Schutz zu." Erhebliche Summen seien geflossen. In einem Land mit einem der niedrigsten Einkommen der Welt falle das besonders ins Auge, so Lucia Bird weiter.
Ein ideales Transitland – und ein riesiges Geschäft
Vor allem Guinea-Bissaus geographische Lage macht das Land seit Jahren zum bevorzugten Umschlagplatz für südamerikanisches Kokain in Westafrika. Die lange Atlantikküste, ein kaum überwachter Luftraum und vor allem das Bijagós-Archipel mit seinen 88 vorgelagerten Inseln schaffen ideale Bedingungen für verdeckte Landungen und Umladungen.
Laut Schätzungen der "Global Initiative Against Transnational Organized Crime" gelangen monatlich zwei bis drei Tonnen Kokain über Guinea-Bissau nach Europa. Der Wert dieser Mengen ist enorm: Während Kilopreise in Westafrika relativ niedrig liegen, erreichen sie in Berlin, Paris oder London bis zu 70.000 Euro pro Kilogramm. Damit haben die durch Guinea-Bissau geschleusten Drogen auf dem europäischen Markt einen Wert von 140 bis 210 Millionen Euro pro Monat – eine Summe, die den gesamten Jahreshaushalt des Landes übersteigt.
Die Aussicht auf solche Gewinne erklärt, weshalb Kartelle und lokale Akteure seit Jahren ein enges Geflecht aus Beziehungen pflegen, das Politik, Militär und Sicherheitskräfte gleichermaßen durchdringt.
Bereits seit Monaten gab es Hinweise darauf, dass sich die Aktivitäten der Drogenkartelle in Guinea-Bissau verdichten und verschärfen. Lucia Bird bestätigt, dass in den Monaten vor den letzten Wahlen die staatlichen Maßnahmen gegen den internationalen Drogenhandel spürbar zurückgegangen seien: "Wir haben in letzter Zeit nicht viele Beschlagnahmungen gesehen. Stattdessen gab es einige Anzeichen, dass die guinea-bissauischen Zwischenhändler Geld benötigten. Im Juli gab es einen großen Diebstahl von Kokain, verbunden mit einem Mord an einem kolumbianischen Staatsangehörigen in Guinea-Bissau."
2025: Neue Festnahmen, alte Muster
Zudem häufen sich seit Beginn des Jahres Berichte über Festnahmen von Oppositionellen und zivilen Akteuren, denen vorgeworfen wurde, staatsgefährdende Informationen zu verbreiten. Einige von ihnen hatten zuvor öffentlich mutmaßliche Drogenverbindungen innerhalb der Sicherheitsapparate angeprangert.
Einer der Wenigen, die sich zurzeit immer noch trauen, mögliche Verstrickungen der bisherigen Machthaber unter dem Präsidenten und ehemaligen General Umaro Sissoco Embaló und auch der neuen Machthaber unter General Horta Inta-A mit der Drogenmafia öffentlich zu benennen ist Armando Lona. Der Koordinator der Zivilgesellschaftlichen Menschenrechtsorganisation "Frente Popular" sagte der DW: "Das Regime von Umaro Sissoco Embaló hat in den vergangen Jahren zur Stärkung des organisierten Verbrechens beigetragen. Während seiner Präsidentschaft hatten wir zwei große Drogenbeschlagnahmungen in Guinea-Bissau. Die jüngste, 2024, mitten am Tag am internationalen Flughafen von Guinea-Bissau. Es ging um ein Flugzeug, das fast drei Tonnen Kokain geladen hatte. Das war nur dank der US-amerikanischen Drogenbehörde DEA möglich. Das Regime von Sissoco Embaló ist kein gutes Beispiel für den Kampf gegen Drogen."
Die Militärs, die nun angeblich Sissoco ersetzt hätten, würden in Wirklichkeit weiterhin von Sissoco Embaló ferngesteuert, so Armando Lona weiter: "Diese Gruppe hat weder die Autonomie noch die Fähigkeiten, gegen die Drogenkartelle zu kämpfen."
Ob die Anschuldigungen gerechtfertigt sind, lässt sich derzeit kaum überprüfen. Lucia Bird mahnt zur Zurückhaltung: "Es ist noch zu früh, um zu beurteilen, was die neue Militärregierung wirklich machen wird und wie sie sich vom vorherigen System unterscheidet." Dennoch sei klar, dass der Kampf gegen den Drogenhandel ein Narrativ sei, das in der Vergangenheit immer wieder von verschiedenen Regierungen verwendet wurde, um die Zustimmung und Unterstützung der internationalen Gemeinschaft zu gewinnen.
Mehrere Gesprächspartner, darunter ein erfahrener Ermittler, beschreiben die Situation gegenüber der DW - off the record - als Rückkehr zu "alten Mustern", in denen Machtkämpfe und Drogenströme eng miteinander verbunden seien. Wer über Hintergründe der Kokainrouten offen spreche, begebe sich allerdings selbst in Gefahr, betonen sie.
Fälle, die das Image des Landes als Narco-State prägten
Die aktuelle Lage steht in einer langen Tradition von Auseinandersetzungen rund um den Kokainhandel in und über Guinea-Bissau. 2019 sorgte der Fall "Bacaizinho" für Aufsehen. Bacaizinho, so wird der Sohn des ehemaligen guinea-bissauischen Präsidenten Malam Bacai Sanha, Malam Bacai Sanha Junior, in Bissau genannt. Er bekleidete mehrere Regierungsämter und war während der Präsidentschaft seines Vaters als Berater tätig. In den Vereinigten Staaten wurde Bacaizinho wegen Drogenhandels der Prozess gemacht, nachdem er 2022 in Tansania festgenommen und in die USA ausgeliefert wurde. Mehrere Gespräche zwischen Bacaizinho, Drogenhändlern und verdeckten DEA-Ermittlern wurden abgehört, um die Anklage gegen den Präsidentensohn während einer Gerichtsverhandlung im US-Bundesstaat Texas zu untermauern. Bacaizinho verbüßt inzwischen eine Haftstrafe von 80 Monaten in den USA wegen internationaeln Drogenhandels.
Auch der frühere Marinechef Guinea-Bissaus, Bubo Na Tchuto, spielte über Jahre eine zentrale Rolle im internationalen Kokainhandel. Seine spektakuläre Festnahme durch US-Behörden 2013 – er wurde von US-Geheimagenten und der kapverdischen Polizei in internationalen Gewässern vor der Küste der Kapverden aufgegriffen – gilt bis heute als eines der deutlichsten Zeichen, wie weit die Kartelle in die militärischen Strukturen Guinea-Bissaus vorgedrungen waren. Hinweise darauf, dass Teile seiner Netzwerke später weiterarbeiteten, tauchten immer wieder auf.
Die Morde an dem Ex-Präsidenten Guinea-Bissaus, Nino Vieira, und General Batista Tagme Na Waie, im Jahr 2009, gelten ebenfalls als eng mit dem internationalen Drogenhandel verknüpft.
Kann Bissau sich vom Label "Narco-Staat" befreien?
Auch wenn die neue Militärführung verspricht, Guinea-Bissau aus dem Einfluss der Kokainkartelle zu befreien, bleiben Zweifel bestehen, ob sie der Aufgabe gewachsen ist – oder ob sie selbst Teil des Systems ist, das sie vorgeblich bekämpfen will. Die Militärführung selbst verspricht einen Neuanfang. Doch angesichts der Summen, die durch das Land fließen, und der tiefen Verwurzelung der Kartelle sind große Zweifel angebracht, ob ein solcher Kurswechsel wirklich im Interesse der neuen Militärjunta ist, die am 26. November 2025 die Macht an sich gerissen hat.
Armando Lona von der Organisation "Frente Popular": "Die Behauptung der Militärjunta, die Drogenkartelle bekämpfen zu wollen, ist nur ein Versuch, die internationale Gemeinschaft zu täuschen. Zum Glück wissen die internationalen Drogenbekämpfungsbehörden sehr gut, wer den Drogenhandel wirklich bekämpft und wer nicht."