Russland lotst Hunderte von Afrikanern mit einem Trick in den Ukraine-Krieg – unter anderem mithilfe einer Präsidententochter
2.12.25 NZZ
Mehr als 1400 Afrikaner aus 36 Ländern kämpfen angeblich für Russland – deutlich mehr als bisher angenommen. Ein bizarres Familiendrama in Südafrikas Elite wirft Licht auf die Rekrutierung.
Samuel Misteli, Nairobi
Die jungen Männer dachten, sie würden aus Südafrika nach Russland reisen, um dort während eines Jahres als Bodyguards ausgebildet zu werden. Nach einigen Wochen in Russland merkten sie dann, dass etwas nicht stimmen konnte. Sie sollten Armeeuniformen anziehen, erhielten Gewehre. Sie wurden nach Rostow gebracht, eine Stadt im Süden Russlands, nahe der ukrainischen Grenze. Wenig später fanden sie sich an der Front im Ukraine-Krieg wieder.
So haben es in den vergangenen Wochen einige aus einer Gruppe von siebzehn Südafrikanern verschiedenen Medien erzählt. Anfang November hatte Südafrikas Regierung gesagt, sie habe Hilferufe von den offenbar getäuschten Männern – zwischen 20 und 39 Jahre alt – erhalten. Die Regierung kündigte eine Untersuchung an.
Die Südafrikaner gehören zu Hunderten von Afrikanern, die in der Ukraine auf der Seite Russlands kämpfen. Mindestens 1400 aus 36 afrikanischen Ländern seien es, schrieb der ukrainische Aussenminister Andri Sibiha Anfang November auf X. Damit kämpfen deutlich mehr Afrikaner in der Ukraine als zuvor bekannt. Manche von ihnen wussten, dass sie in die russische Armee eintreten würden. Viele aber hatten offenbar keine Ahnung, dass sie in Schützengräben in der Ostukraine um ihr Leben kämpfen würden.
So auch im Fall der siebzehn Südafrikaner, deren Geschichte Ende November eine überraschende Wendung nahm. Weil die Tochter von einem der bekanntesten afrikanischen Politiker der letzten Jahrzehnte eine zentrale Rolle spielte in ihrer Geschichte.
Eine Halbschwester geht zur Polizei
Duduzile Zuma-Sambudla gehört in Südafrika zum politischen Hochadel, ihr Vater ist Jacob Zuma, Präsident des Landes von 2009 bis 2018. Jacob Zuma hat mindestens 20 Kinder aus sechs Ehen, die 43-jährige Duduzile Zuma-Sambudla sei seine Lieblingstochter, heisst es manchmal. Diese ist inzwischen selber prominente Politikerin, sie wurde 2024 für die Partei ihres Vaters, uMkhonto weSizwe (MK), ins südafrikanische Parlament gewählt. MK ist zurzeit die grösste Oppositionspartei in Südafrika.
Ende November wurde Duduzile Zuma-Sambudla angezeigt. Zuma-Sambudla, so der Vorwurf, habe die siebzehn Männer unter falschem Vorwand nach Russland gelockt. Dort seien sie ohne ihre Einwilligung einer russischen Söldnergruppe übergeben worden, die in der Ukraine kämpft.
Die Anzeige erstattet hatte eine Halbschwester der Politikerin. So wurde aus der Geschichte der siebzehn Männer auch ein Familiendrama. Umso mehr, als die Halbschwester in ihrer Anzeige auch behauptete, bei acht der siebzehn Männer handele es sich um Familienmitglieder.
Eine prominente südafrikanische Politikerin, die ihre eigenen Familienmitglieder in den Ukraine-Krieg schickt? Zuma-Sambudla reagierte, indem sie ihrerseits zur Polizei ging. Sie sei «ein Opfer von Täuschung, Falschdarstellung und Manipulation» eines Bekannten, der sie dazu gebracht habe, die Männer zu rekrutieren, gab sie zu Protokoll. Sie habe geglaubt, es handle sich um einen regulären Trainingskurs für Bodyguards. Zuma-Sambudla sagte, sie sei auch selber nach Russland gereist, um einen Monat lang an dem Training teilzunehmen. «Ich sah keine Kampfhandlungen, wurde nicht in den Krieg geschickt», sagte sie laut südafrikanischen Medien bei der Polizei.
Die Zumas – eine russlandfreundliche Familie
Mehrere der Männer erzählten der südafrikanischen Nachrichtenplattform News24, sie hätten die Politikerin tatsächlich in Russland gesehen. Diese habe sie dazu gebracht, auf Russisch verfasste Verträge zu unterschreiben, die sie nicht verstanden hätten. Zuma-Sambudla habe ihnen gesagt, sie werde das ganze Jahr mit ihnen trainieren – sei dann aber bald nicht mehr aufgetaucht.
Skandale sind nichts Neues für die Zuma-Familie. 2006 stand Jacob Zuma vor Gericht, weil er angeblich eine HIV-positive Familienfreundin vergewaltigt hatte. Zuma sagte aus, er habe nach dem Geschlechtsverkehr geduscht, um eine Ansteckung mit dem Virus abzuwenden. Zuma wurde freigesprochen, unter anderem weil seine Tochter Duduzile zu seinen Gunsten aussagte.
Zumas gesamte Präsidentschaft war von Korruptionsvorwürfen begleitet. Er überstand eine Reihe von Misstrauensvoten, trat 2018 schliesslich auf Druck seiner eigenen Partei, des African National Congress, zurück.
Duduzile Zuma-Sambudla hatte schon vor den Russland-Vorwürfen ihre eigenen Probleme mit der Justiz. Im November stand sie wegen Anstiftung zum Terrorismus vor Gericht. Sie soll auf Social Media Unruhen im Juli 2021 angeheizt haben, die sich gegen die Verhaftung ihres Vaters richteten. Bei den Protesten wurden 350 Personen getötet. Im Gerichtssaal trug Zuma-Sambudla ein T-Shirt mit der Aufschrift «moderne Terroristin».
Zuma-Sambudla ist – wie auch ihr Vater – eine Unterstützerin von Wladimir Putins Regierung. Im Mai schrieb sie auf X: «Ich stehe zu Russland», daneben Bilder des Hermitage-Museums in St. Petersburg. Am Freitag trat Zuma-Sambudla aus Südafrikas Parlament zurück. Dies sei kein Schuldeingeständnis, hiess es bei einer Pressekonferenz.
Afrikanerinnen und Asiatinnen bauen Drohnen
Russland hatte mit der Rekrutierung von Afrikanern schon bald nach Beginn des Angriffs auf die Ukraine begonnen. Die Bemühungen scheinen sich im Verlauf des Krieges verstärkt zu haben. Die 1400, die der ukrainische Aussenminister im November nannte, sind laut diesem eine konservative Schätzung.
Die Rekrutierung von Afrikanern geschieht auf verschiedene Arten. Einige wurden in Gefängnissen angeworben, wo sie zum Beispiel wegen Drogendelikten sassen. Anderen wurden Militärverträge angeboten, nachdem ihre Aufenthaltsbewilligungen abgelaufen waren.
In Afrika wirbt Russland offenbar mit einem Netzwerk aus Brokern und Rekrutierern junge Männer in vielen Ländern an. Das Reservoir ist riesig, Millionen junger Afrikaner träumen von Arbeitsplätzen im Ausland.
Viele der Angeworbenen wissen offenbar nicht, dass sie für Russland in den Ukraine-Krieg ziehen sollen. Rekruten, die mit Medien gesprochen haben, berichten davon, dass ihnen Stellen in Fabriken, hohe Löhne und zum Teil russische Pässe versprochen wurden. Sie erzählen oft auch, dass sie Verträge auf Russisch unterzeichnen mussten, deren Inhalt sie nicht verstanden.
Russland wird auch vorgeworfen, junge Frauen in Social-Media-Kampagnen Jobs im Gastgewerbe versprochen zu haben, sie dann aber tatsächlich in Drohnenfabriken geschickt zu haben. Laut manchen Schätzungen haben mehr als 1000 Frauen aus Afrika und Südasien in Waffenfabriken in der Sonderwirtschaftszone Alabuga in der russischen Teilrepublik Tatarstan gearbeitet oder tun dies immer noch.
Afrika und Südasien sind lange nicht die einzigen Weltregionen, in denen Russland rekrutiert. Nordkoreas Regierung soll 15 000 Soldaten für den Krieg geschickt haben – Hunderte von ihnen sind offenbar im Kampf getötet worden. Die deutsche Friedrich-Naumann-Stiftung hat Ende November einen Bericht veröffentlicht, in dem sie schätzt, dass Russland auch zwischen 5000 und 25 000 Kubaner für den Krieg angeworben hat.
Auf der ukrainischen Seite kämpfen ebenfalls Ausländer, Freiwillige aus europäischen Ländern und aus den USA zum Beispiel. Das ukrainische Militär hat auch rund 2000 kolumbianische Soldaten geholt, um die nach fast vier Jahren Krieg immer schwieriger gewordene Rekrutierung einheimischer Soldaten auszugleichen.